Neues in der Impfstoff-Pipeline

Die Europäische Kommission hat auch letztes Jahr wieder das Vertrauen der Europäer:innen in Impfungen hinsichtlich Wichtigkeit, Effektivität und Sicherheit abgefragt. Von 27 untersuchten EU-Ländern rangiert die Allgemeinbevölkerung Österreich im hinteren Drittel (19/27), bei den befragten Health Care Professionals (HCPs) gar nur auf dem vorletzten Rang.

Generell unterscheiden sich die Angaben je nach Impfstoff, z. B. erntet der kombinierte MMR-Impfstoff weit mehr Vertrauen als etwa die COVID-, die Influenza- oder die HPV-Impfung. So empfehlen laut der Veröffentlichung etwa nur zwei Drittel der HCPs eine Influenzaimpfung und knapp drei Viertel eine COVID-Impfung für Schwangere, obwohl beide ausdrücklich im Impfplan Österreich auch für diese Zielgruppe empfohlen werden. Der Österreichische Verband der Impfstoffhersteller (ÖVIH) schlägt daher im Einklang mit dem Dachverband Vaccines Europe Maßnahmen vor, um den Impfschutz von Erwachsenen in Zukunft deutlich zu verbessern. Das beinhaltet etwa Strategien zur Integration von Erwachsenenimpfungen in die nationalen Impfprogramme sowie deren (raschere) Erstattung, Informations- und Aufklärungskampagnen hinsichtlich des Nutzens von Impfungen und der volkswirtschaftlichen Kosten von impfpräventablen Erkrankungen, vereinfachten Zugang zu Impfungen (etwa Betriebsimpfungen oder Impfungen bei der/dem Fachärzt:in) sowie einen Ausbau des digitalen Impfpasses.

Vakzinkandidaten in der Pipeline

Ende letzten Jahres publizierte Vaccines Europe erstmals einen Pipeline-Review seiner 15 Mitglieder. So befinden sich mit Stand Ende Juli 2022 etwa 100 Vakzinkandidaten in Entwicklung, die auf unterschiedlichen Technologien basieren und diverse Problemfelder wie die Belastung durch Atemwegserkrankungen, antimikrobielle Resistenzen, die Alterung der Bevölkerung, den Klimawandel sowie zoonotische Infektionen adressieren.

80 % der Impfstoffkandidaten zielen auf die erwachsene Bevölkerung ab, knapp die Hälfte auf Infektionen, für die es noch keine zugelassenen Vakzine gibt. Beispielsweise befindet sich je ein Kandidat gegen das Zytomegalievirus (CMV) und HIV in Phase III der klinischen Entwicklung, etliche weitere in früheren Stadien. Hochinteressant wäre natürlich auch ein Vakzin gegen das Epstein-Barr-Virus (ein Kandidat in Phase I). Im Hinblick auf die Reisemedizin befinden sich etwa zwei Impfstoffkandidaten gegen das Chikungunya-Virus in Entwicklung, einer davon in Phase III. Erst kürzlich wurde auch ein weiterer neuer Impfstoff gegen das Dengue-Fieber zugelassen.

Spannende Bemühungen gibt es hinsichtlich arzneimittelresistenter Infektionskrankheiten:
Es wird intensiv an neuen bzw. weiteren Vakzinen gegen Klebsiella pneumoniae, C. difficile, Staphylococcus ­aureus, Shigella spp., extraintestinal pathogene Escherichia coli und Streptococcus pneumoniae geforscht. So gibt es etwa drei Kandidaten gegen Clostridioides-difficile-Infektionen, je einer in Phase I, II und III. Noch in den Kinderschuhen steckt die Forschung an therapeutischen Vakzinen, die das eigene Immunsystem gegenüber Infektionskrankheiten (Hepatitis B, HSV) oder Krebs (z. B. Glioblastom, Hautkrebs) aktivieren sollen, jedoch existieren laut Vaccines Europe zum Teil bereits vielversprechende Studienergebnisse aus den Phasen I und II.

Der Klimawandel begünstigt u. a. das Auftreten von Infektionskrankheiten, die durch diverse Mücken übertragen werden; es befinden sich Kandidaten gegen Malaria und gegen Zika in Entwicklung (beide Phase II). Geschätzte 60 % der Infektionskrankheiten sind tierischen Ursprungs, solche Zoonosen können potenziell Ursprung von Epidemien und Pandemien sein. Die beispiellose Geschwindigkeit der Entwicklung mehrerer COVID-19-Impfstoffe ist bekannt, es sind zukünftig Kombinationsimpfstoffe (SARS-CoV-2 + Influenza) zu erwarten. Darüber hinaus widmet sich ein Vakzinkandidat MERS-CoV, weitere dem Ebolavirus und dem Nipah-Virus. Besonders interessant für unsere Breiten ist der Phase-III-Kandidat gegen die von Zecken übertragene Lyme-Borreliose.

Impfstoffe gegen Atemwegsinfekte

Gerade die aktuelle prekäre Situation der Dreifachbelastung des Gesundheitswesens durch Corona-, Influenza- und RS-Viren verdeutlicht die Wichtigkeit von Impfungen gegen Atemwegserkrankungen (rund 50 Pipeline-Kandidaten adressieren Influenza, Parainfluenza, RSV, Corona). Nach Angaben von Vaccines Europe befinden sich allein zehn Vakzine zur Prophylaxe von RS-Viren in Entwicklung, sechs davon bereits in Phase III (Stand 07/2022). Ein Impfstoffkandidat hat Ende Oktober bei der EMA um beschleunigte Zulassung angesucht, der Zeitrahmen für die Evaluierung beträgt im beschleunigten Verfahren 150 statt 210 Tage.