SARS-CoV-2: Aerosolforscher melden sich zu Wort

Viel war in den vergangenen Monaten über Aerosole und ihre Verteilung in Innenräumen zu lesen. Meist wurde man darüber von Virologen in Nachrichtensendungen und Talkshows informiert und aufgeklärt. Nun hat sich in Deutschland die Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF, Association for Aerosol Research) an die Öffentlichkeit gewendet. Grund dafür: Aus Sicht der GAeF werden in der öffentlichen Diskussion einige Dinge vermischt, und man möchte das notwendige Expertenwissen beitragen, weil die möglichen Übertragungswege Maßnahmen zur Unterbindung nahelegen. In einem nun veröffentlichten Positionspapier wird die Thematik rein aus Sicht der Aerosolforschung betrachtet, ohne medizinische, epidemiologische und virologische Schlüsse zu ziehen. Dargestellt werden auch die verschiedenen Prozesse in einem Aerosol – sie sind wichtig, um die Rolle von Aerosolpartikeln als Übertragungsweg von SARS-CoV-2 zu verstehen.

Aerosol und Aerosolpartikel

Das Wort Aerosol bedarf einer exakteren Formulierung. Physikalisch gesehen handelt es sich um ein heterogenes Gemisch aus Partikeln zusammen mit dem sie umgebenden Gas oder Gasgemisch, also zum Beispiel Luft. So ist beispielsweise die den Menschen umgebende Luftmit darin verteiltem Feinstaub ein Aerosol. Die Partikel, die dieses Aerosol bilden, sind Feststoffe (etwa Ruß) oder flüssige Tropfen. In der öffentlichen Diskussion wird jedoch fälschlicherweise der Begriff Aerosol verwendet, wenn eigentlich nur die Aerosolpartikel gemeint sind. Im Lauf eines Tages atmet der Mensch rund 100 Milliarden Partikel ein. Die Wirkung dieser Partikel hängt von Anzahl, Größe, Masse und chemischer Zusammensetzung ab. Die Mehrzahl der atmosphärischen Aerosolpartikel ist kleiner als 1 µm. Mineralstaub, aber auch Bakterien sind meist größer als 1 µm. Die Größe von Pollen liegt zwischen 10 µm und 60 µm. SARS-CoV-2-Viren haben Größen zwischen 0,06 µm und 0,14 µm. Gegebenenfalls sind sie auch kleiner. Ein unterschiedliches Verhalten von Aerosolpartikeln < 5 µm und Tröpfchen > 5 µm, wie oft in der öffentlichen Diskussion formuliert, wird von der GAeF als nicht sinnvoll angesehen. Das gilt sowohl für das Transportverhalten als auch für die Infektiosität.1

Halbwertszeit bis zu 3 Stunden

Während die exhalierte Partikelgröße – die Größe des Partikels direkt nach dem Ausatmen – für die Abscheidung in einer Maske beim Ausatmen relevant ist, muss die durch Trocknung verringerte Größe für die Aufenthaltsdauer der Aerosolpartikel in der Umgebungsluft berücksichtigt werden. Im Atmungstrakt haben die Partikel aufgrund der warmen und feuchten Bedingungen einen hohen Wassergehalt. Nach dem Ausatmen kommt es zur Verdunstung, die Partikel schrumpfen entsprechend der Lufttemperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit. Forscher haben herausgefunden, dass SARS-CoV-2-Viren Halbwertszeiten von 1–1,1 Stunden in einem Aerosol haben. In anderen Publikationen ist von Halbwertszeiten von 0,5–3 Stunden die Rede. Dies bezog sich allerdings auf Tageslicht. In Dunkelheit blieben die Viren über deutlich längere Zeiten stabil. In einer Untersuchung stellte man fest, dass sich Sportler in einer slowenischen Sporthalle infizierten, nachdem eine infizierte Person dort gespielt hatte. Man vermutet, dass unter bestimmten Bedingungen luftgetragene SARS-CoV-2-Viren 16 Stunden lang infektiös bleiben können. Ebenfalls spannend sind die Ergebnisse von Untersuchungen in Krankenhäusern. In den Zimmern und sogar auf den Fluren wurden Viren in der Luft nachgewiesen, obwohl bei 75 % der Patienten keine Viren im Exhalat festgestellt werden konnten. Weiters wurden infektiöse SARS-CoV-2-Viren in luftgetragenen ­Aerosolpartikeln in einer Entfernung von 4,8 m von einem COVID-19-Patienten im Krankenhaus nachgewiesen.1

All diese Ergebnisse zeigen das hohe Risiko einer Infektion in Innenräumen. Darauf verweist die GAeF in ihrer Stellungnahme mit Nachdruck. Man beruft sich dabei auf eine Arbeit von Qian et al.2, in der festgestellt wurde, dass COVID-19-Infektionen im Wesentlichen ein Phänomen in Innenräumen sind. Außerhalb geschlossener Räume treten nahezu keine Ansteckungen auf. Dazu eine anschauliche Zahl: Von über 7.000 dokumentierten Infektionen fand nur eine einzige im Außenbereich statt. Grund dafür ist die schnelle Verdünnung von mit Viren beladenen Aerosolpartikeln im Außenraum – sie führt zu einer deutlichen Senkung des Infektionsrisikos. Bei größeren Menschenansammlungen mit geringem Abstand ist eine Ansteckung aber auch im Freien nicht ausgeschlossen, betonen die Aerosolforscher.1

Husten und Singen: kein Unterschied zwischen Innenraum und Außenraum

Worin liegt nun die viel beschworene Gefahr beim Husten, Singen und lauten Sprechen? Auch darauf gibt das Papier eine Antwort. Hier werden Tropfen ausgestoßen, deren Durchmesser größer als 100 µm sind und die sich nicht mehr wie Aerosolpartikel verhalten. Aufgrund ihres im Vergleich zu Aerosolpartikeln deutlich größeren Volumens können sie entsprechend mehr Viren enthalten. Ein entscheidender Parameter ist auch die Flugbahn: Nimmt man eine Höhe von 1,7 Meter an, in der ein Tropfen ausgestoßen wird, wird klar, dass ein Abstand von 1,5 Meter zwischen Menschen sehr knapp bemessen ist, heißt es im Positionspapier. Bei Tröpfchen mit einem Durchmesser von über ­100 µm spielt die zuvor erwähnte Verdünnung keine Rolle mehr. Im Hinblick auf eine Infektion mit diesen Tröpfchen ist es unerheblich, ob man sich Innen oder Außen befindet …1

Abstand in Innenräumen vergrößern, Stoßlüften effektiv

Eine der wichtigen Botschaften der GAeF lautet daher: Abstandhalten. Dadurch werden direkt ausgeatmete Viren verdünnt. Der vorgeschriebene Mindestabstand sollte bei längeren Zusammenkünften und in Innenräumen mit verringerter Luftbewegung sogar vergrößert und durch weitere Maßnahmen ergänzt werden. Dazu zählt unter anderem das Lüften (auch Quer- und Stoßlüften ist effektiv), aber auch die Verwendung von Luftreinigern. Masken helfen dabei, einen Teil der exhalierten Partikel zu filtern, wodurch die Konzentration der Viren im Raum sinkt. Ausgeatmete Aerosolpartikel sind durch ihre Feuchtigkeit relativ groß und könnten auch von einfachen Masken effizient zurückgehalten werden. Aber sie schrumpfen bei längerer Verweilzeit in der Raumluft, weshalb Atemschutzmasken erforderlich sind, die auch für feine Partikel eine hohe Abscheidung zeigen (zum Beispiel FFP2-Masken). Gesichtsvisiere werden (ohne das zusätzliche Tragen einer Maske) von der GAeF hinsichtlich Aerosolpartikel als weitgehend nutzlos angesehen. Gleiches gilt für mobile oder fest installierte Plexiglasscheiben. Sie würden nur kurzfristig die kleinräumige Ausbreitung eines Aerosols verhindern, etwa im Kassenbereich eines Supermarkts.1


Literatur:

  1. Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Aerosolforschung. zum Verständnis der Rolle von Aerosolpartikeln beim SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen
  2. Qian H, Miao T, Liu L et al., Indoor transmission of SARS-CoV-2. Indoor Air. 2020 Oct 31. DOI: 10.1111/ina.12766