Startschuss zur Pollenallergiesaison

Rund ein Viertel der Menschen in Österreich leidet an einer Pollenallergie, Tendenz steigend. Die Gründe für den Anstieg in den vergangenen Jahrzehnten sind vielfältig. Bessere Möglichkeiten zur Diagnose und eine häufigere Inanspruchnahme haben ebenso Einfluss auf die offiziellen Zahlen wie der Klimawandel und vermutlich auch übermäßige Hygienemaßnahmen (Hygienehypothese, abseits des Themas COVID-19 zu betrachten). Ob moderne Ernährungstrends auch eine Rolle spielen – Stichwort stark verarbeitete Lebensmittel und Zusatzstoffe – ist bis dato noch nicht geklärt.
Allergien sind Überreaktionen von bestimmten Zellen im Körper. Dabei spielen Mastzellen eine wichtige Rolle. Bei Erstkontakt mit einem Allergen kommt es zur Sensibilisierung der betroffenen Person. Durch Interaktion verschiedener Zellen des Immunsystems werden IgE-Antikörper gebildet, die an Oberflächenrezeptoren von Mastzellen binden. Diese werden gleichsam in eine Art der Alarmbereitschaft versetzt, vorerst ohne allergische Reaktion. Bei Folgekontakt mit dem Allergen werden die gebundenen IgE-Antikörper quervernetzt, wodurch die Mastzellen aktiviert werden. Sie schütten daraufhin Histamin und weitere Botenstoffe aus, die dann auch für die bekannten unangenehmen Symptome sorgen.1

 

Neue Erkenntnisse zum Bauernhofeffekt

„Der Bauernhofeffekt besagt, dass das Leben im Umkreis von etwa 300 Metern eines Bauernhofs mit Kuhstall vor Allergien, Asthma und atopischen Sensibilisierungen schützen kann“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim vom Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung an der MedUni Wien. „In einer aktuellen Studie konnten wir erstmals nachweisen, dass ein von Kühen abgesondertes Protein, Beta-Lactoglobulin (BLG), eines der Schlüsselmoleküle für den sogenannten Bauernhofeffekt gegen Allergien‘ darstellt.“ BLG, eine Haupt-Proteinkomponente in der Molke, war prominent im gesammelten Stallstaub und auch in der Umgebungsluft nachweisbar. Es gehört zur Proteinfamilie der Lipocaline. Jensen-Jarolim: „Lipocaline haben eine wichtige Funktion in der natürlichen Immunabwehr. Sie sind wie Taschen aufgebaut, in denen sie kleine Moleküle wie Eisen, Vitamin A und Zink binden können. Wir haben die Entdeckung gemacht, dass beladene Lipocaline wie BLG Schutzfunktionen gegen allergische Symptome verleihen, während sie unbeladen sogar allergen sein können.“

 

Die ARIA-Guidelines (ARIA: Allergic Rhinitis and its Impact on Asthma) teilen die allergische Rhinitis in intermittierend oder persistierend ein. Die persistierende Rhinitis liegt vor, wenn die Symptome öfter als vier Tage pro Woche und über mehr als vier Wochen pro Jahr bestehen. Hinsichtlich des Schweregrades der Erkrankung wird zwischen leicht und mäßig-schwer unterschieden. Für diese Einteilung spielen Faktoren wie die Beeinträchtigung des Schlafes und von Alltagsaktivitäten eine Rolle.2

Im Unterschied zu einer Intoleranz kommt es bei der Allergie zur Reaktion der körpereigenen Abwehr, also einer immunologischen Reaktion. Bei einer Intoleranz ist das eigene Immunsystem nicht beteiligt, sondern es fehlen dem Körper Enzyme oder Transportproteine, um bestimmte Stoffe abzubauen.3 Für die Aufklärung ist diese Unterscheidung wichtig, da in der Bevölkerung vielfach die Tendenz besteht, Unverträglichkeiten unter dem Begriff der Allergie zu subsumieren.

Einfluss des Klimawandels

Im Zuge des vonstattengehenden Klimawandels ist mit einer leichteren Ausbreitung von pflanzlichen und tierischen Allergenen zu rechnen.4 Infolge eines Anstieges der Durchschnittstemperaturen beginnt die Blütezeit einiger Pflanzen früher als etwa vor 25 Jahren.5 Sie dürfte auch intensiver ausfallen.6 Dies verlängert die Phase der Symptome für Pollenallergiker. Weiters haben sich Pflanzen verbreitet, die früher in unseren Breiten nicht heimisch waren, wie etwa die Beifuß-Ambrosie (Beifußblättriges Traubenkraut, Ragweed). Außerdem wurde beobachtet, dass ein Anstieg des atmosphärischen CO2-Gehalts zu einer Zunahme der Pollenproduktion von allergieauslösenden Pflanzenarten führt.5 Insgesamt ist damit zu rechnen, dass klimatische Veränderungen den menschlichen Atemwegen zu schaffen machen (werden). Weitere Pflanzen könnten im Sinne von Mediterranisierung heimisch werden oder intensiver blühen, und Schadstoffemissionen erreichen an heißen Tagen Spitzenwerte, was die Belastung insgesamt deutlich verstärkt.6

Selbstmedikation

Für die Selbstbehandlung durch die Betroffenen steht in der Apotheke eine breite Palette an verlässlichen Optionen zur Verfügung. Wichtig ist schon die Vorbereitung auf die starke Zeit der Pollenexposition. Hier stellen Extrakte der Traganthwurzel (Astragalus membranaceus) eine bewährte Option dar. Sie wirken immunmodulierend und einer überschießenden Reaktion des Immunsystems entgegen. Die Einnahme beginnt am besten schon vor der zu erwartenden Pollenallergiesaion und wird bis zum Abklingen der Exposition fortgesetzt.

Ein guter Begleiter in den schweren Wochen der Pollenallergie ist Fexofenadin, ein Antihistaminikum der zweiten Generation, das in Studien durch seine hohe Wirksamkeit bei allergischen Symptomen überzeugt hat. Rasche und effektive Linderung bewirkt auch die Substanz Loratadin. Gut wirksam sind weiters Levocetirizin, Desloratadin sowie Cetirizin. Außerdem sollte die Nasenschleimhaut regelmäßig gespült und mit reizlindernden Stoffen behandelt werden.

Da bei einer (Pollen-)Allergie häufig die Augen betroffen sind, sollten Augentropfen Bestandteil jeder Hausapotheke des Allergikers sein. Der Wirkstoff Cromoglicat greift in den Mechanismus der allergischen Reaktion ein, indem die Freisetzung von Histamin gehemmt wird. Die Substanz bietet damit einen guten Basisschutz und ist eine sinnvolle Maßnahme bei allergisch bedingter Bindehautentzündung.

Für viele Patienten sind homöopathische Arzneimittel eine wirksame Option. Zur Auswahl stehen lokal applizierbare Augentropfen und Nasensprays sowie orale Homöopathika. Dabei können unspezifische Antiallergika sowohl im Akutstadium als auch prophylaktisch eingesetzt werden. Vor allem zur Prophylaxe kann bei starken Beschwerden eine individuelle Konstitutionsbehandlung durch den Homöopathen empfohlen werden. Augentrost (Euphrasia officinalis) findet bei geröteten, brennenden Augen mit scharfem, heißem Tränenfluss – wie dies etwa bei allergischen Bindehautreizungen der Fall ist – erfolgreich Anwendung.

Reduzierung der Exposition

Neben der medikamentösen Therapie werden auch Tipps zur Allergenvermeidung im Alltag von Kunden gerne angenommen. Gerade in der Zeit der Pollenallergie kann man eine Exposition zwar nicht auf null reduzieren, aber die Belastung zumindest verringern. So sollten etwa Kleidung und Schuhe, die im Freien getragen worden sind, nicht im Wohnbereich benutzt werden. Am besten wechselt man Kleidung und Schuhe im Eingangsbereich des Hauses oder der Wohnung. Wäsche sollte nur in Innenräumen zum Trocknen aufgehängt werden, keinesfalls im Freien. Sonnenbrillen und Kopfbedeckung bieten Schutz vor Pollen in der Luft. Pollenfilter im Auto sind ebenfalls eine gute Maßnahme. Eine weitere Option sind Pollengitter für die Fenster. Es erweist sich zudem als hilfreich, die Haare nach längerer oder stärkerer Exposition vor der Nachtruhe zu waschen, um die Verteilung der Pollen auf dem Kopfkissen zu vermeiden. Gelüftet werden sollte je nach Pollenbelastung beziehungsweise der aktuellen Pollenkonzentration der Luft; die Zeit während oder unmittelbar nach einem Regenguss ist ideal zum Durchlüften.

Um sich einen Überblick über die aktuelle Pollenbelastung, die jeweiligen Blütezeiten und die saisonale Verbreitung der Flug­pollen zu verschaffen, ist ein Pollenflug-Kalender sehr hilfreich. Außerdem kann auch jederzeit der Pollenwarndienst (www.pollenwarndienst.at) dabei helfen, über tagesaktuelle Belastungen informiert zu sein.

 

Brandneue Studie: erhöhte Pollenkonzentration – erhöhte COVID-19-Zahlen

Solange die Bevölkerung nicht durchgeimpft ist, stehen im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie harte Wochen im Frühling bevor. Grund dafür ist ein erhöhtes Risiko für eine Infektion durch das vermehrte Auftreten von Pollen in der Außenluft, wie ein internationales Team von Forschern des Helmholtz Zentrums München und der Technischen Universität München herausgefunden hat. Bereits im Frühjahr 2020 wurden Daten zu Pollenkonzentrationen in der Luft, meteorologischen Bedingungen und SARS-CoV-2-Infektionen gesammelt. In Berechnungen einbezogen wurden auch Daten zu Besiedelungsdichte und Effekten von Lockdowns.

Insgesamt flossen Pollendaten von 130 Stationen in 31 Ländern ein. Die Ergebnisse der Auswertungen wurden nun veröffentlicht und sind bemerkenswert. Demnach erklären luftgetragene Pollen im Schnitt 44 % der Varianz der Infektionsdaten. Zum Teil spielten Luftfeuchtigkeit und Lufttemperatur eine Rolle.

In manchen deutschen Städten kamen zeitweise pro Tag rund 500 Pollen auf einen Kubikmeter. Dies führte zu einem Anstieg der Infektionsraten um über 20 %. Lockdown-Regelungen konnten die dadurch ausgelösten Infektionen senken, teilweise wurden die Zahlen dadurch sogar halbiert (bei gleicher Pollenkonzentration in der Luft). Es stellt sich nun die Frage, wie dieses Phänomen erklärbar ist und welche Gegenmaßnahmen Allergiker treffen können. Der Grund für die erhöhten Infektionsraten ist simpel: Beim Pollenflug reagiert die Körperabwehr nur in abgeschwächter Form auf Atemwegsviren. Gelangt ein Virus in den Organismus, produzieren infizierte Zellen im Normalfall Signalproteine. Die antiviralen Interferone sorgen gleichsam für einen Aufruf an benachbarte Zellen, die antivirale Abwehr zu verstärken. Zudem wird eine ausbalancierte inflammatorische Reaktion aktiviert. Bei hoher Pollenkonzentration jedoch werden weniger dieser antiviralen Interferone produziert und auch die Entzündungsreaktion wird beeinträchtigt. Betroffen von dieser Reaktion des Körpers sind alle – gleichgültig ob eine Pollenallergie besteht oder nicht. Besonders Hochrisikogruppen sollten aber über die Problematik aufgeklärt werden, raten die Studienautoren.

Um sich zu schützen, raten sie zu Staubfiltermasken. Dies gelte ganz besonders bei hoher Pollenkonzentration, weil das Virus von den Atemwegen ferngehalten werden kann. Insgesamt sind die Ergebnisse dieser Studie bahnbrechend. Sie eröffnen völlig neue Wege für die Prävention und Kontrolle der Erkrankung mit dem neuartigen Coronavirus.

Quelle: Pressemitteilung des Helmholtz Zentrum München, 9. 3. Auf: https://www.helmholtz-muenchen.de/aktuelles/uebersicht/pressemitteilungnews/article/49333/index.html; Originalpublikation: Damialis A, Gilles S, Sofiev M et al., Higher airborne pollen concentrations correlated with increased SARS-CoV-2 infection rates, as evidenced from 31 countries across the globe. PNAS March 23, 2021 118 (12) e2019034118, DOI: 10.1073/pnas.2019034118

 


Literatur:

  1. Schebesta A, Swoboda I, Total allergisch: Wissenswertes zu Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten, 5. 8. 2020 Auf: https://www.openscience.or.at/de/wissen/medizin-mensch-ernaehrung/2020-08-05-total-allergisch-wissenswertes-zu-allergien-und-nahrungsmittelunvertraeglichkeiten?c=medizin-mensch-ernaehrung%2F%2F
  2. Niederberger-Leppin V, Gangl K, Diagnostik und Therapie der allergischen Rhinitis. J Pneumolog. 2016; 4(1)
  3. Medizinische Universität Wien: https://www.meduniwien.ac.at/hp/nahrungsmittelallergie/nahrungsmittelallergie/was-ist-der-unterschied-zwischen-einer-allergie-und-einer-intoleranz/
  4. Hutter HP, Moshammer H, Wallner P, Klimawandel und Gesundheit. Auswirkungen. Risiken. Perspektiven. Manz Verlag 2017
  5. Allergieinformationsdienst des Helmholtz Zentrum München: Auswirkungen des Klimawandels.
  6. Hartl S, Klimawandel verstärkt Risiko für Allergien und Asthma. Österreichische Gesellschaft für Pneumologie. Auf: https://www.ogp.at/klimawandel-verstaerkt-risiko-fuer-allergien-und-asthma/