Brexit und die Folgen für das österreichische Gesundheitswesen

Am 23. Juni 2016 haben die Briten bei einem Referendum mit rund 52 Prozent der Stimmen für den Brexit – den Austritt aus der Europäischen Union – gestimmt. Nach mehr als 40 Jahren Mitgliedschaft werden die Briten als erstes Land die Europäische Union verlassen. Die einzelnen Schritte eines Austritts aus der EU regelt Artikel 50 des EU-Vertrags. Die Austrittsverhandlungen, die die britische Premierministerin Theresa May Ende März 2017 formal eingeleitet hat, müssen nach spätestens zwei Jahren abgeschlossen sein. Großbritannien wollte am 29. März 2019 die EU verlassen, mangels einer Einigung zu den Modalitäten ist nun der 31. Oktober 2019 vereinbart.

Ein früheres Ausscheiden bleibt jedoch nach wie vor möglich. Voraussetzung ist, dass das britische Parlament das mit der EU ausgehandelte Austritts- und Übergangsabkommen vorher annimmt. Nach wie vor steht auch die Gefahr eines „harten Brexits“ im Raum, also eines Ausscheidens des Vereinigten Königreiches aus der EU ohne eine vertragliche Regelung. Sollte das britische Parlament das Abkommen nicht bis zum 31. Oktober 2019 annehmen, würden die gefürchteten Konsequenzen eines „harten Brexits“ zum 1. November 2019 eintreten. In diesem Fall würden rund 30 Prozent der Medizinprodukte ihre Zulassung in Österreich verlieren. Die AUSTROMED warnt vor Versorgungsengpässen und appelliert an die Politik, Lösungen zum Wohl der Patienten zu finden.

Eine Branche, zwei Systeme

Rund 30 Prozent aller in der EU gehandelten Medizinprodukte – darunter Implantate, Herzschrittmacher und In-vitro-Diagnostik – werden derzeit in Großbritannien zertifiziert. Tritt Großbritannien ohne entsprechendes Abkommen aus der EU aus, verlieren diese Produkte ihre Zulassung und stehen somit nicht mehr auf dem europäischen Markt zur Verfügung. „Hinzu kommt die Tatsache, dass der derzeit geltende Rechtsrahmen über Medizinprodukte aktualisiert wird. Die neue EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) und die In-vitro-Diagnostika-Verordnung (IVDR) werden 2020 bzw. 2022 Gültigkeit erlangen. Großbritannien wird mit dem Brexit zum Drittstaat – ein Umstand, der das zwischenstaatliche Prozessgefüge gehörig durcheinanderbringt und es aufwendiger machen wird, die bisherigen Geschäftsbeziehungen reibungslos weiterzuführen“, erklärt Mag. Philipp Lindinger, AUSTROMED-Geschäftsführer. Die Warnung vor Versorgungsengpässen ist keinesfalls Stimmungsmache, sondern basiert auf realistischen Erwartungen der Experten innerhalb der AUSTROMED. Daher fordern die Interessensvertreter rasche Lösungen auf EU-Ebene. Im Idealfall übernimmt das Vereinigte Königreich das EU-27-Regulierungssystem für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika, einschließlich der entsprechenden sekundären Gesetzgebung und Leitlinien. Eine vollständige Konvergenz des Regulierungsrahmens wäre dadurch gewährleistet.

Lager gut gefüllt

„Zentrales Anliegen der AUSTROMED ist die Patienten- und Produktsicherheit“, betont AUSTROMED-Präsident Gerald Gschlössl. „An den Produkten selbst ändert sich ja durch den Brexit nichts, lediglich die Bürokratie kommt der Medizinproduktebranche hier in die Quere. Hier ist die Politik gefragt, vor allem im Sinne der Patienten, die sich auf eine sichere Versorgung verlassen.“ Da nach wie vor niemand weiß, wann und in welcher Form der Brexit vollzogen wird, hat sich die Medizinprodukte-Branche in Österreich auf ein No-Deal-Szenario vorbereitet: „Die Lager unserer Händler sind großteils gut gefüllt und können als kurzfristiger Puffer dienen. Auch Gesundheitseinrichtungen wären gut beraten, sich so auf einen ,No Deal‘ vorzubereiten“, betont Gschlössl.

Volle Lager können aber nur eine Übergangslösung sein. Um die Versorgungssicherheit mit Medizinprodukten in Österreich wie auch in der gesamten EU nach dem Brexit dauerhaft zu gewährleisten, fordert die AUSTROMED gemeinsam mit der MedTech Europe, dem europäischen Dachverband der Medizintechnikbranche, eine Verlängerung des Brexit-Übergangszeitraums bis mindestens Ende 2020. Weiters wird die Beibehaltung der Zulassung von Medizinprodukten in der EU mit CE-Kennzeichnung gefordert. Wenn eine in Großbritannien ansässige Benannte Stelle ein Medizinprodukt genehmigt hat, darf dieser Status durch den Brexit nicht „verfallen“. Die Umsetzung eines Handelsabkommens für das Gesundheitswesen sowie übereinstimmende regulatorische Rahmenbedingungen für den Marktzugang von Medizinprodukten in die EU und nach Großbritannien sind ebenfalls wichtige Forderungen der Interessenvertretungen. „Bilaterale Lösungen oder eine Art zwischenstaatliche ‚Kulanz‘ werden nicht ausreichend sein“, sagt Gschlössl. „Eine Lösung kann nur auf europäischer Ebene stattfinden. Wir fordern daher die EU-Kommission auf, im Sinne der Versorgungssicherheit für die Patienten tätig zu werden.“

 

Die Forderungen der AUSTROMED:

  • Verlängerung des Brexit-Übergangszeitraums bis mindestens Ende 2020
  • Beibehaltung der Zulassung von Medizinprodukten in der EU mit CE-Kennzeichnung
  • Umsetzung eines Handelsabkommens für das Gesundheitswesen
  • Übereinstimmende regulatorische Rahmenbedingungen für den Markt­zugang von Medizinprodukten in die EU und nach Großbritannien