„Das Gesundheitswesen muss attraktiver werden.“

Was bedeutet für Sie Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen?
Es geht im engeren Sinn darum, dass die notwendige medizinische und pflegerische Leistung sowie die diagnostische Versorgung für die Versicherten der ÖGK sichergestellt sind. Im weiteren Rahmen soll die Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung in herausfordernden Zeiten leistbar und sicher sein. Dazu braucht es zum Beispiel auch eine Anpassung von Strukturen, damit wir die richtige Diagnose und Therapie beim richtigen Patienten zur richtigen Zeit erbringen können.

Welche Rolle spielen dabei Medizinprodukte?
Aus der Verständniswelt des Versicherten ist alles, was zur Diagnose und Therapie gehört, wichtig. Patienten wollen gesund bleiben oder gesund werden sowie im Falle von Krankheit dennoch eine gute Lebensqualität haben. Wie sich die Komponenten dabei zusammensetzen, kann der Patient oft nur bedingt mitentscheiden. Das ist keine mangelnde Wertschätzung, sondern die individuelle Prioritäten. Ein Medizinprodukt hat damit denselben Stellenwert wie ein Medikament oder das Know-how, sich für die passende Therapie zu entscheiden. Nehmen wir als Beispiel Diabetes: Dem Betroffenen ist es wichtig, dass eine kontinuierliche Blutzuckermessung möglich ist und zu wissen, dass der Blutzucker gut eingestellt ist. Wir versuchen, unseren bestmöglichen Beitrag zu leisten, dass chronische Krankheiten vermieden und Menschen möglichst lange in guter Gesundheit erhalten werden.

Wo liegen im Hinblick auf die Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen die großen Herausforderungen?
In diesem Zusammenhang spielen Human Resources eine große Rolle. Medizinprodukte sind nur so gut, solange wir ausreichend Personal haben, das sie auch anwenden kann. Eine zentrale Frage, die wir uns stellen müssen, ist daher, wie wir junge Menschen für einen Beruf im Gesundheitswesen motivieren können, denn die Rahmenbedingungen sind wenig attraktiv. Es ist eine große Herausforderung, mit unregelmäßigen Arbeitszeiten, hoher Verantwortung und Zeitdruck umzugehen. Wir müssen Angebote finden, die Wertschätzung ausdrücken, Arbeitszeitmodelle, die Beruf und Familie in Einklang bringen können. Wir haben hier noch sehr konservative Denkmodelle und erwarten, dass sich der Nachwuchs schon einstellen wird. Qualifizierte Arbeitskräfte kommen aber nicht von alleine!

Welche Rolle spielt die Digitalisierung?
Das ist ein facettenreiches Thema. Einerseits nimmt sie in der Gesellschaft viel Raum ein und wir erzeugen neue Abhängigkeiten. Daher kommen neue Themen auf uns zu, wie etwa der Umgang mit Blackouts. Es entstehen neue Krankheitsbilder – Handynacken, Handydaumen oder vermehrte Kurzsichtigkeit oder zunehmende Adipositas schon im Kindesalter sind Folgen der Digitalisierung.
Andererseits haben wir mehr Information, mehr Entscheidungsgrundlagen und das medizinische Wissen entwickelt sich durch die globale Vernetzung viel rasant weiter.

Hat sich diese Sichtweise aufgrund der Pandemie verändert?
Die Pandemie hat zweifelsohne einen Digitalisierungsschub ausgelöst, der nicht mehr umkehrbar ist. Videokonsultationen sind nur ein Beispiel. Dabei gilt es, die innovationsskeptischen Bevölkerungsgruppen nicht zu verlieren. Fehlen digitale Skills oder Zugänge, so darf sich das nicht auf die Zugänglichkeit zu Leistungen auswirken. Auch die Ängste rund um den Datenschutz müssen wir ernst nehmen. Hier braucht es noch viel Aufklärung und vertrauensbildende Maßnahmen.
Wir verfolgen aktiv die Entwicklungen rund um digitale Gesundheitsanwendungen (DIGAs), die zum Teil auch schon in medizinischen Leitlinien abgebildet werden. Wir bemühen uns, in der ÖGK Rahmenbedingungen herzustellen, wie DIGAs zu bewerten sind und welche Erstattungsformen möglich sind. Dazu müssen wir die Wirksamkeit und die Anwendungsfrequenz evaluieren, um rasch klare Aussagen treffen zu können, die für Verschreiber, Anwender und Hersteller wichtig sind.

Wo gibt es Hemmnisse?
Das Abstecken des Rahmens ist eine Herausforderung, denn dazu brauchen wir mehr Erfahrung, Zeit und Personal. Es laufen derzeit Pilotprojekte und wir beobachten gespannt, wie die Bevölkerung das neue Angebot annimmt.

Was muss aus Ihrer Sicht nun der nächste Schritt konkret sein, um das Thema Digitalisierung und Versorgungssicherheit besser zu verknüpfen?

Sinnvolle Praxisprojekte umzusetzen, die zeigen, was möglich ist. Wir haben viele engagierte Mediziner, doch das Thema muss auch in die Breite kommen. Dazu braucht es Information, Bildung und Gesundheitskompetenz bei den Usern.