Disruptive Chirurgie – Versprechen und Ausblick

Das diesjährige Dreiländertreffen der Gesellschaften für minimalinvasive Chirurgie Anfang Jänner im Design Center in Linz fand unter hoher Beteiligung von Chirurgen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz und Vorträgen zahlreicher Experten statt. Unter dem Titel „Disruptive Chirurgie – Versprechen und Ausblick“ wurden vor allem auch Techniken, die neu und innovativ, aber oft noch nicht etabliert sind, beleuchtet. Prim. Doz. Andreas Shamiyeh hat als Kongresspräsident und Hausherr in Linz dieses Thema bewusst gewählt. Einige Innovationen mit disruptivem Potenzial im Überblick:

1. Single Incision – die „narbenfreie Chirurgie“

Vor genau zehn Jahren wurden die ersten Operationen in Österreich (Universitätsklinik Innsbruck, KH Barmherzige Brüder Salzburg) in dieser Technik durchgeführt, die den Bauchnabel als natürliche Narbe als Zugang in den Bauchraum nutzt. Der Vorteil für Patienten liegt vor allem in der Kosmetik und geringeren Schmerzen. Inzwischen ist bewiesen, dass sämtliche Bauchoperationen in dieser Technik sicher durchgeführt werden können. Für den Chirurgen ist dies allerdings mit entsprechendem Aufwand und einer Lernkurve verbunden und letztlich haben nur wenige Zentren diesen Aufwand auf sich genommen und führen dies nun hochspezialisiert durch. Mit je über 4.000 Fällen in dieser Technik haben Spitäler wie das KH Barmherzige Brüder Salzburg, KH Barmherzige Schwestern Wien, KH Kufstein oder das Kantonsspital St. Gallen/Rorschach diese Lernkurven längst überwunden.
Die Zugangssysteme (Ports), die dafür entwickelt wurden, haben sich auf jene fokussiert, die eine Schutzfolie integriert und einen abnehmbaren Deckel mit mehreren Zugangstrokaren für die Operation anbieten. Zum Teil haben sie auch Eingang in die konventionelle minimalinvasive Chirurgie gefunden aufgrund der Praktikabilität während der Operation, beispielsweise bei Dickdarmoperationen. Einbringen und Abbergen von Instrumenten, Nadeln, Tupfern oder dem Operations­präparat selbst mit der Möglichkeit, umgehend die Operation fortsetzen zu können, sind überzeugend.
Darüber hinaus sind in abgewandelter Form Modelle dieser Ports entwickelt worden, die im Rahmen einer anderen Innovation dringlichst benötigt wurden und umgehend Eingang gefunden haben – in der Operation des tiefen Mastdarmkrebses von transanal, also von unten nach oben.

2. TaTME – der Zugang zum Mastdarmkrebs durch den Anus

Seit über 150 Jahren wird der Mastdarmkrebs operativ angegangen, Mitte der 80er-Jahre kam es mit der Einführung der schichtgerechten Operationstechnik (RJ Heald) und auch der qualitativen Präparatbeurteilung (P Quirke) zu einer Revolution und deutlichen Verbesserung des Patientenüberlebens. Die Einführung der minimalinvasiven Chirurgie in den 90er-Jahren wurde bei Mastdarmkrebs nur sehr langsam umgesetzt und lag bis dato bei etwa 30 %. Noch immer wird die minimalinvasive Technik von einigen abgelehnt, obwohl es bereits gute Literatur zur Anwendung und den Vorteilen in Expertenhand gibt.
Single Incision und NOTES (Zugang zur Operation über natürliche Körperöffnungen) haben ab etwa 2004 die Grundlage für eine neue Technik geschaffen und 2010 wurden die ersten Fälle von Operationen am Mastdarmkrebs vorgestellt, die den Zugang und die Resektion von transanal aus ermöglichen. Dabei wird ein Teil der Operation weiterhin minimalinvasiv über den Bauchraum mit kleinen Schnitten durchgeführt, der Hauptteil im Tumorbereich jedoch von unten, ohne am Tumor vorbeipräparieren zu müssen. Das Absetzen mit ausreichend Sicherheitsabstand zum Krebs lässt sich mit keiner Methode besser bewerkstelligen.
In über 355 Mastdarmkrebsoperationen in St. Gallen in den letzten fünf Jahren konnten beispielsweise gezeigt werden, dass im Vergleich die Umstiegsrate auf offene Chirurgie beim Mastdarmkrebs von selbst in erfahrenen Händen üblichen 10–17 % auf 0–4 % gesenkt werden konnte, die Präparate die deutlich beste Qualität aufweisen und auch die Gesamtmorbidität gesenkt wurde. Die Technik eignet sich auch für Operationen bei Colitis ulcerosa.

3. Die Roboterchirurgie

Und letztlich erarbeitet sich der Roboter auch wieder einen zukunftsweisenden Stellenwert in der Viszeralchirurgie wie auch in anderen operativen Fächern, nachdem sich die ersten Systeme im Wesentlichen nur in der Urologie etablieren konnten. Warum erst jetzt? Die neuen Systeme ermöglichen auch ein Arbeiten in mehreren Bauchregionen, am besten gekoppelt mit einem kombinierten OP-Tischsystem. Dabei steuert der Operateur die Instrumente, die über den Roboter übertragen werden. Das dreidimensionale Bild wird über die Kamera vom Operateur selbst gesteuert und es stehen drei Roboterarme für Instrumente zur Verfügung. Damit ist eine hohe Präzision in der Resektionstechnik möglich, Bildauflösung, Kameraführung, zitterfreies Präparieren und Einsatz von drei „Händen“ im Bauchraum stellen sicher einen Vorteil dar. Die Haupteinsatzgebiete werden am rechtseitigen Dickdarm, Magen, Speiseröhre und Bauchspeicheldrüse sein, weiters bei komplexen Bauchdeckenhernien und, sobald ein entsprechender Roboter vorhanden ist, auch der transanale Zugang zum Mastdarmkrebs.

Quelle: 16. Dreiländertreffen Minimal Invasive Chirurgie, AMIC-CAMIC-SALTC, 18.-19.1. 2018, Linz

Nachgefragt bei …

 … Prim Univ.-Doz. Dr. Andreas Shamiyeh
Wie definieren Sie disruptive Chirurgie?
Disruptive Techniken sind neu und innovativ, oft aber noch nicht etabliert und weitgehend anerkannt. Dennoch haben sie das Potenzial, herkömmliche Techniken komplett zu verdrängen.
Warum ist es so schwer, manchen Techniken zu einem raschen Durchbruch zu verhelfen?
Weil wir in der Medizin von Evidence-based-Standpunkten ausgehen. Für jedes neue Verfahren, jede neue Technik benötigen wir große randomisierte Studien, die alte und neue Techniken vergleichen. In einer sehr kurzlebigen Zeit kommen wir oft gar nicht dazu, hier lange Evidenz zu suchen. Etwa bei der laparoskopischen Gallenblase gab es nie große Studien und dennoch hat sich die Technik weltweit durchgesetzt. Umgekehrt dürfen wir natürlich nicht planlos unreflektiert neue Techniken anwenden.
Woher muss der Anstoß für derartige disruptive Techniken kommen?
Bei der Darmchirurgie oder Hernien ist es eine enge Kooperation zwischen den Anwendern, Krankenhäusern und der Industrie. Gemeinsam müssen Daten zum Outcome gesammelt werden, wir brauchen also Registerdatenbanken.
Register sind in der Medizin nicht immer gern gesehen, da sie doch einen gewissen „Kontrollmechanismus“ über Qualität und Leistung bringen. Wie sehen Sie das?
Ich hätte keine Angst, ich melde an ein Benchmarkregister in Oberösterreich, zum Beispiel für die Darmchirurgie. Das ist zwar anonym, aber gar nicht so geheim, denn wir diskutieren gemeinsam auch die Ergebnisse und Verbesserungspotenziale. Ich sehe keine begründeten Berührungsängste. Insgesamt profitieren wir alle davon. Problematisch ist der bürokratische Aufwand, denn man braucht dazu eine Ethikkommission, viele Formulare und Manpower. Wenn die Daten nicht mit den Abrechnungscodes der Spitäler übereinandergelegt werden, dann besteht auch die Gefahr, dass nicht lückenlos dokumentiert wird, also zum Beispiel die negativen Fälle nicht erfasst werden.