Gruppenprogramm gegen Adipositas

Das Adipositas Zentrum im Krankenhaus Barmherzige Schwestern Wien ist mit jährlich rund 400 stationären Aufenthalten, 1.200 Besuchen in den verschiedenen Adipositas­ambulanzen sowie 600 Beratungsgesprächen eine der größten Spezialeinrichtungen für krankhaft fettleibige Menschen in Österreich. Ein interdisziplinäres Behandlungsteam aus innerer Medizin, Chirurgie, Anästhesie, Radiologie, physikalischer Medizin, Psychotherapie, Diätologie, klinischer Psychologie und speziell geschulten Pflegekräften arbeitet seit 2011 eng zusammen und bietet Betroffenen ein breites Behandlungsspektrum. Das Therapieangebot wurde jetzt um die „Coping School“ erweitert. In einem tagesklinischen Gruppenprogramm lernen Betroffene medizinisch begleitet ihren Umgang mit dem Essverhalten, der Bewegung, aber auch mit den eigenen Gedanken und Gefühlen.
Über einen Zeitraum von acht Wochen trifft sich eine geschlossene Gruppe von maximal zehn Personen in der „Coping School“, die von Prim. Univ.-Doz. Dr. Monika Graninger, Leiterin der III. Medizinischen Abteilung für Innere Medizin und Psychosomatik, entwickelt wurde. „Adipositas hat viele verschiedene Ursachen, auf die wir speziell eingehen und den Betroffenen ein ganzheitliches Behandlungsprogramm bieten. Ziel ist es, die eigenen Ressourcen zu stärken und so aus der negativen Übergewichtsspirale zu kommen“, erklärt Graninger.

 

 

 

Nachhaltigkeit der Behandlung

Auch der Ärztliche Direktor des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern Wien und Leiter des Adipositas Zentrums, Univ.-Prof. Dr. Alexander Klaus, freut sich über den Ausbau des Zentrums: „Individuelle Beratung und Therapie und die Nachhaltigkeit der Behandlung sind uns besonders wichtig. Mit der Coping School können wir Menschen bereits ab einem BMI von 30 behandeln und so spätere Eingriffe möglicherweise vermeiden.“
Die Coping School startet mit einer internistischen Untersuchung im Adipositas Zentrum sowie einem therapeutischen Gespräch. Danach erlernen die Betroffenen auf verschiedenen Ebenen Bewältigungsstrategien für das krankhafte Übergewicht. Bewegung ist ein wesentlicher Bestandteil eines gesunden Lebensstils, für Betroffene geht es oft auch darum, wieder in Bewegung zu kommen und sich mit ihrem Körper zu versöhnen. Der Schwerpunkt des Bewegungsprogrammes liegt mit Kraft-Ausdauer-Training im Muskelaufbau. Dabei wird gezielt auf die individuellen Möglichkeiten der Teilnehmer geachtet. Die spezielle Diätberatung erfolgt beim gemeinsamen Kochen sowie in einem eigens für die Coping School entwickelten Genuss- und Geschmackstraining. Unter dem Motto „Qualität statt Quantität“ überdenken die Teilnehmer ihr Essverhalten und lernen neue Ideen für wahren Genuss.
Mit den Psychotherapeuten können die Teilnehmer in einer Gruppe von Menschen mit ähnlichen Problemen frei und offen über sich und Schwierigkeiten, Ängste und Sorgen, aber auch über Erfolge und Ressourcen sprechen. Die negative Abwärtsspirale soll unterbrochen werden. Gleichzeitig wird die soziale und emotionale Kompetenz der Teilnehmer gestärkt. Wie in einem Coaching erlernen sie neue Möglichkeiten und Strategien, mit Problemen umzugehen, sowie neue Fertigkeiten im Umgang mit schwierigen Emotionen und Situationen. Am Ende der Coping School erfolgt eine abschließende internistische Untersuchung. Bei Bedarf ist die Weiterbetreuung in der internistischen Adipositas Ambulanz möglich. Ein regelmäßiges Gruppentreffen für die Absolventen ist geplant.

 

Im Gespräch DGKS und Adipositas-Assistentin Birgit Emathinger

Welche Vorteile hat ein eigenes Zentrum für die Betreuung von Adipositaspatienten?

Menschen mit Adipositas haben viele Fragen zu den verschiedenen Therapien, in der Erstberatung nehme ich mir Zeit, diese Fragen zu beantworten und in Ruhe über die Möglichkeiten im Zentrum zu informieren. Wir erheben hier einen aktuellen Status und planen mit den Patienten gemeinsam den Therapieweg. Die Zahl der Erkrankungen nimmt trotz vieler Informations- und Beratungsangebote immer weiter zu, sodass ein niederschwelliger Zugang notwendig ist, welcher eine multidisziplinäre Zusammenarbeit und eine sehr individuell abgestimmte Therapie dringend erfordert. Allein der Schritt zu einem Arzt ist ein Meilenstein für die Betroffenen.

Wo liegt konkret Ihre Aufgabe?

Ich sehe mich als Schnittstelle, die passenden Professionen für den Patienten zu vernetzen und die bestmögliche Therapie zu erzielen.

Gibt es spezielle Anforderungen in der Wundversorgung von ­Adipositaspatienten?

Auch darauf komme ich schon in der Erstberatung zu sprechen. Viele Patienten kommen bereits mit chronischen Wunden aufgrund von Folgeerkrankungen wie etwa Diabetes. Manche haben aber auch Anzeichen einer Mangelernährung, die sich auf eine Wundheilung negativ auswirkt.

Welche Altersgruppe wird vorwiegend beraten?

Die Obergrenze liegt bei 65, wenn es um operative Behandlungen geht. Im letzten Jahr hatten wir die meisten im Alter zwischen 40 und 50. Jüngere Patienten versuchen es meist mit Diäten, erst wenn die Zahl der Fehlversuche hoch ist oder auch die Folgeerkrankungen zunehmen, dann kommen Patienten zu uns ins Zentrum.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Wir haben viele Patienten aus sozial schwachen Verhältnissen oder mit Traumata aus der Kindheit. Da ist es mit einer Diät allein längst nicht getan. Massive Essstörungen erfordern ein Bündel an Maßnahmen, damit wir überhaupt einen neuen Lebensstil andenken können. Viele haben schon einen langen Leidensweg hinter sich, bis sie überhaupt zu uns kommen, entsprechend frustriert sind sie.

Welche Lösungen gibt es hier?

Unser Beratungssystem funktioniert, daher sollte es ausgebaut werden und österreichweit mehr Angebote zur Verfügung stehen. Übergewichtige Menschen sind für Spitäler eine große Herausforderung: Die Liegezeiten sind selbst bei harmloseren Erkrankungen länger, die gesamte Versorgung erfordert Spezialprodukte, wie extrabreite Betten oder Türstöcke. Langfristig muss mehr in Prävention investiert werden, schon bei Kindern und Jugendlichen.

Welche Wünsche haben Sie an das System?

Eine Anerkennung der Thematik in der Gesellschaft. Skandinavische Länder zeigen vor, dass ein Ausbau der Primärversorgung durchaus positive Auswirkung auf die Volksgesundheit hat. Ich freue mich, dass ich hier im Haus die Möglichkeiten habe, diese Themen zu bearbeiten, und wünsche mir noch mehr Bewusstsein für diese Thematik.