Kompetenzmodell für Pflegeberufe

Sie haben am diesjährigen Pflegekongress von einem Spannungsfeld gesprochen, in dem sich die qualifizierte Pflege im Moment bewegt. Was meinen Sie damit konkret?


Der Österreichische Pflegebericht aus dem Jahr 2007 hat aufgezeigt, dass die Aufteilung der Tätigkeiten zwischen dem gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege und der Pflegehilfe entsprechend den unterschiedlichen Qualifikationen und den gesetzlichen Möglichkeiten laut GuKG in Österreichs Krankenhäusern und Kliniken nicht gelebt wird. Ein Großteil der Aufgaben wird von beiden Berufsgruppen gleichermaßen durchgeführt. Seither hat sich viel getan. Wir sind derzeit mit 2,8 Millionen Spitalsentlassungen pro Jahr konfrontiert. Das entspricht einer Steigerung der Entlassungen von rund 20 Prozent im Zeitraum vom Jahr 2000 bis 2010 und einer Senkung der durchschnittlichen Verweildauer um etwa 13 Prozent. Gleichzeitig wurde der Umfang des ärztlichen Personals in den Krankenanstalten von 2000 bis 2010 mit einer Steigerung von 28,4 Prozent bedeutend mehr dieser Entwicklung angepasst als das nicht ärztliche Personal, das im gleichen Zeitraum lediglich um 12,2 Prozent erhöht wurde. Auf der anderen Seite sind wir mit einem sich rasch verstärkenden Mangel an Pflegefachkräften in Österreich, aber auch darüber hinaus in ganz Europa konfrontiert. Die 2016/2017 einsetzende Welle an Pensionierungen beim Pflegepersonal, aber auch in der Ärzteschaft wirft die Frage auf, wie wir die Arbeit in unseren Krankenanstalten trotz dieser prognostizierten personellen Einbrüche in hoher Qualität weiter erbringen können. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns.

Wie lässt sich dieses Spannungsfeld auflösen?


Ein Lösungsansatz ist sicherlich die effektive Verteilung der Tätigkeiten entsprechend den unterschiedlichen Qualifikationsniveaus. Wir müssen uns ganz genau anschauen, welche Berufsgruppe für welche Aufgabe geeignet, qualifiziert und kompetent ist. Dabei ist das Prinzip „Leistung folgt Ressource“ zu beachten. Es muss zu möglichst kostenneutralen Umschichtungen der Leistungen kommen. Das bedeutet, zusätzliche Leistungen auf der einen Seite – zum Beispiel eine Übernahme von ärztlichen Leistungen durch das Pflegepersonal – können nur erfolgen, wenn es gleichzeitig zu einer Entlastung von Tätigkeiten auf der anderen Seite kommt, etwa durch Stationssekretäre, Service- und Transportdienste etc. Diese horizontale und vertikale Diversifizierung der Tätigkeiten bedingt aber einen zusätzlichen Organisationsaufwand, einen erhöhten Kommunikationsbedarf sowie zusätzliche Maßnahmen der Qualitätssicherung. Dazu braucht es entsprechende Kompetenzen im Pflegemanagement, sowohl auf Ebene des mittleren Managements als auch auf Ebene der Pflegedirektionen. In einigen oberösterreichischen Krankenhäusern ist diese Umschichtung von Leistungen bereits mit Erfolg umgesetzt worden.

Sie fordern in dieser „Phase des Umbruchs“ ein innovatives „Change Management“. Wie sollte das aussehen?


Change Management im Pflegemanagement bedeutet, sich die neuen Qualifikationen und Kompetenzen in der Pflegepraxis für die Patienten zunutze zu machen. Nur mit dem vertieften und spezialisierten Wissen von Pflegeexperten können komplexe Fragestellungen – etwa im Wundmanagement, in der Diabetesberatung, in der Stoma- oder Inkontinenzberatung, in der Intensivpflege, der Geriatrie oder auch der Onkologie – bewältigt werden. Diese Spezialfunktionen organisatorisch so in die täglichen Abläufe einzugliedern, dass sie effizient und wirkungsvoll beim Patienten zum Einsatz kommen, benötigt neues Denken und Change Management bei den Verantwortlichen im Pflegemanagement.

Braucht es nicht auch neue Karrieremodelle in den Pflegeberufen?


Unbedingt! Wir benötigen neue Karrieremodelle und Besoldungssysteme, die die zusätzliche Qualifikation und die zusätzliche Verantwortung berücksichtigen. Derzeit gibt es außer für die Pflegefachkräfte in den Spezialbereichen Intensiv, OP, Dialyse, Hygiene, Lehre und Führung keinen Zulagenkatalog. Vor allem im öffentlichen Bereich sind die vorhandenen Besoldungssysteme relativ unflexibel. Sonderregelungen können meist nur mit Sonderverträgen getroffen werden.

Sie denken auch über gemeinsame praktische Ausbildungsmodule mit den Ärzten nach. Was versprechen Sie sich davon?


Der praktischen Ausbildung muss zukünftig noch mehr verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wir haben es selbst in der Hand, welche Kompetenzen, welche Motivation und welche Wertehaltung wir an unsere zukünftigen Kollegen vermitteln. Die verstärkte Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Pflegedirektoren, Studiengangsleitungen und Schuldirektoren ist extrem wichtig, um die Qualität der praktischen Ausbildung zu gewährleisten. In Salzburg wird derzeit ein Modell überlegt, dass für Praktikumseinrichtungen künftig eine Zertifizierung nach bestimmten Standards erforderlich sein soll, um die praktische Ausbildung auf möglichst hohem Niveau zu sichern. Zusätzlich soll in einem „Skills- und Trainingszentrum“ die praktische Tätigkeit unter Laborbedingungen geübt werden können, bevor bestimmte Tätigkeiten erstmals an „echten Patienten“ ausgeführt werden. Hier bestünde die Möglichkeit, dass bestimmte Abläufe und Aufgaben gemeinsam mit Medizinstudenten geübt werden könnten, um möglichst frühzeitig die interdisziplinäre Zusammenarbeit positiv zu erleben und zu fördern.

Was wünschen Sie sich auf politischer Ebene?


Eine verstärkte Einbindung der Pflegeexperten in die politische Entscheidungsfindung auf allen Ebenen und die Stärkung der Autonomie des Berufsstandes. Nicht andere Professionen sollen über die künftige Entwicklung der Gesundheits- und Pflegeberufe entscheiden, sondern die Berufsgruppe selbst.