Interdisziplinärer Dialog – Nephrologie und Rheumatologie

Wo ergeben sich die Überschneidungen zwischen Ihren beiden Fachgebieten?

Sengölge: In medizinischer Hinsicht sehe ich die Kollagenosen und Vaskulitiden als unser wichtigstes Überschneidungsgebiet. Aber da wir hier am AKH in derselben Organisationseinheit sind, gibt es auch organisatorische Überschneidungen, wie z. B. gemeinsames Arbeiten auf Stationen oder während der Nachtdienste etc.

Nierenerkrankungen sind ja oft auch iatrogen bedingt – gerade in der Rheumatologie. Ist das ein aktuelles oder nur noch ein historisch relevantes Problem?

Redlich: Ich glaube, wir haben heute, auch durch die Aware­ness, die wir durch die Nephrologen erfahren, seltener Patienten, die durch die Therapie, konkret natürlich v. a. durch die NSAR, Nierenprobleme bekommen. Und das sind oft gerade diejenigen, die Schmerzmittel unkontrolliert eingenommen haben.

Sengölge: Hier muss man zwischen NSAR-Therapie im Allgemeinen vs. Therapie durch unsere Rheumatologen im Haus unterscheiden. Denn die Folgen rheumatologischer Therapien mit NSAR, die oft durch Nichtrheumatologen durchgeführt werden, sehen wir in der Ambulanz immer noch relativ häufig! Aber diese Patienten wurden nicht durch Rheumatologen unseres Zentrums therapiert, weil hier durch die Zusammenarbeit ein viel höheres Bewusstsein besteht. Bei von auswärts zugewiesenen Patienten sehen wir das aber natürlich schon.

Redlich: Ich glaube, es ist oft auch ein Problem der Kombinationstherapien. Darauf achten wir sehr stark: Entwässerungsmittel mit NSAR, vorgeschädigte Niere und NSAR etc. Umgekehrt gibt es Patienten, die einfach längerfristig eine NSAR-Therapie brauchen, z. B. Morbus-Bechterew-Patienten. Das sind in der Regel jüngere Patienten, die aufgefordert werden, ausreichend zu trinken, die Komedikationen zu beachten etc. Diese Patienten vertragen die NSAR-Behandlung dann auch gut.

Sengölge: Es ist wichtig, dass NSAR einfach mit einem gewissen Respekt behandelt werden!

Redlich: Und gerade bei den NSAR hat man manchmal das Gefühl, dass durch das „Mitverschreiben“ der Protonenpumpeninhibitoren eine falsche Sicherheit vermittelt wird. Denn damit verhindere ich vielleicht die Magenblutung, aber nicht die Nierenschädigung.

In welcher Reihenfolge hat ein Patient im Verlauf der Patientenkarriere mit Ihren beiden Fachrichtungen Kontakt?

Sengölge: Das ist nicht immer gleich. Wir haben sehr viele Patienten, die primär mit nierenassoziierten Beschwerden und Symptomen zu uns kommen, und bei denen wir dann im Zuge der Abklärung eine Systemerkrankung – eine Vaskulitis oder eine Kollagenose, wie z. B. eine Lupusnephritis – diagnostizieren und dann die Kollegen von der Rheumatologie hinzuziehen. Und genau so ist es auch umgekehrt der Fall, hat ein Lupuspatient eine Nierenbeteiligung, dann werden wir Nephrologen zugezogen. Es läuft in beide Richtungen, sodass ich nicht sagen kann, wo prozentuell mehr Patienten primär behandelt werden.

Es kann also auch sein, dass bei einem Patienten mit Nierenerkrankung die Nephrologen erkennen, dass eine rheumatologische Grunderkrankung vorliegt?

Sengölge: Durchaus!

Redlich: Ich glaube, Kollege Sengölge spricht hier ein paar für ihn selbstverständliche Dinge gelassen aus, wenn er beschreibt, dass die Kollegen der anderen Fachrichtung wechselseitig zugezogen werden. Denn ganz so friktionsfrei wie bei uns ist ja die Interaktion zwischen medizinischen Fächern leider nicht immer und überall!
Ich muss auch aus rheumatologischer Sicht betonen, dass die Zusammenarbeit sehr gut funktioniert, d. h., wir Rheumatologen sind auf euch Nephrologen ja essenziell angewiesen: Wenn wir den Verdacht einer Nierenbeteiligung bei so schweren Erkrankungen wie Lupus, Morbus Wegener oder anderen Kollagenosen stellen, dann sind wir zum Beispiel darauf angewiesen, dass eine Nierenbiopsie gemacht wird. Und was ich hier an unserem Haus sehr speziell finde, ist, dass die Kollegen der Nephrologie diese selbstverständlich durchführen! Wir besprechen auch die Indikationen im Detail. Eine Nierenbiopsie ist zwar an sich nicht besonders gefährlich, kann aber, das muss man ganz offen sagen, bis zum Verlust des Organs führen – wenn auch sehr selten.
Eine Nierenbiopsie ist also keine Sache, die schnell im Vorbeigehen erledigt werden kann, wie etwa eine Blutabnahme, sondern ein Eingriff, der auch Komplikationen machen kann – daher muss der Ausführende, also in unserem Fall der Nephrologe, auch von der Sinnhaftigkeit überzeugt sein! Ich finde es sehr bemerkenswert, dass man das erstens mit den Nephrologen im Haus diskutieren kann, und zweitens diese dann damit einverstanden sind, dass die Weiterbetreuung oftmals in unseren Händen bleibt. Das ist – finde ich – schon ein großes Vertrauen.

Die Behandlung bleibt in den Händen des Rheumatologen?

Redlich: In diesem Fall bleibt die Behandlung in unseren Händen. Umgekehrt natürlich, wenn der Patient zunächst auf der Nephrologie aufgenommen wird, wird er auch dort behandelt. Es ist also eigentlich fast ein Zufall, wer die Behandlung eines „rein“ renalen Problems im Rahmen einer rheumatischen Erkrankung durchführt. Kommt er zuerst auf die Nephrologie, wird er dort behandelt – mit allfälligen Ergänzungen unsererseits – und umgekehrt.

Wie intensiv darf man sich die Zusammenarbeit, z. B. bei einem Patienten mit Lupusnephritis, vorstellen?

Sengölge: Das kann sehr intensiv sein! Allein die Indikationsstellung für eine Nierenbiopsie kann ein einstündiges Gespräch sein. Die Besprechung des Befundes ist auch relativ aufwändig, dann folgt die Besprechung der therapeutischen Möglichkeiten und danach die langjährigen Verlaufskontrollen.

Läuft diese Zusammenarbeit derzeit irgendwie standardisiert oder liegt es an den Ausführenden?

Sengölge: Nein, die genaue Form der Zusammenarbeit ist nicht standardisiert, es liegt in den meisten Fällen an den Ausführenden.

Redlich: Natürlich hängt das von den Leuten ab. Aber diese Zusammenarbeit funktioniert hier nicht nur zwischen uns beiden persönlich, sondern auch zwischen den Abteilungen sehr gut. Und davon profitiert natürlich auch der Patient, denn er hat dadurch verschiedene Sichtweisen der Problematik. Und was ich von den Nephrologen gelernt habe, ist, dass sich auch bei ein- und demselben Thema die Sichtweisen fachspezifisch sehr unterscheiden können.

Können Sie ein konkretes Beispiel für unterschiedliche Meinungen der Fachrichtungen geben?

Sengölge: Da wäre beispielsweise die Therapiewahl bei Lupusnephritiden: Nephrologen sind eher für MMF, Rheumatologen eher für Cyclophosphamid – für beides gibt es Daten. Das unterstreicht für mich meine Philosophie, dass es oft nicht nur einen richtigen, sondern durchaus auch mehrere richtige Wege gibt. Wichtig ist es, gemeinsam den Patienten zu betreuen. Deswegen würde ich es begrüßen, wenn krankheitsspezifisch – d. h. für Kollagenosen oder Vaskulitiden – auch gemeinsame Ambulanz-Sprechstunden etabliert werden. Das wäre im Sinne des Patienten erstrebenswert, aber auch im Sinne der Wissenschaft: Wenn man eine gemeinsame Linie hat, dann kann man langfristig diese Patienten viel besser verfolgen und die Ergebnisse mit anderen Zentren vergleichen. Obwohl unsere Kooperation sehr gut ist, haben wir noch keine gemeinsamen Ambulanzen etabliert. Das wäre also ein Ziel.

Was verhindert die Institutionalisierung?

Redlich: In Zeiten wie diesen ist es auch ein Ressourcen- und Geldproblem.

Sengölge: Meiner Meinung nach scheitert es hauptsächlich daran, dass das System uns keine Zeit lässt, solche Strukturen zu etablieren und sie auch noch zu pflegen. Aber die Fächer sind riesengroß. Auch innerhalb der Nephrologie gibt es viele Sparten, wo nicht jeder spezialisiert ist. Deshalb wäre es gut, solche Spezialambulanzen zu schaffen. Hier würden im Sinne der medizinischen Versorgung alle davon profitieren: Für die Ausbildung der Jüngeren wäre es wichtig, wenn sie die Behandlung dieser komplexen Erkrankungen von Leuten lernen würden, die darauf spezialisiert sind. Die Patienten würden profitieren und auch für uns wäre dies sowohl klinisch als auch wissenschaftlich ein Vorteil.

Redlich: Was die Ausbildung betrifft, sind wir hier im Haus natürlich schon allein auch durch die räumliche Nähe privilegiert, dazu kommt ein Rotationssystem der jungen Kollegen. Man bekommt damit auch unbewusst ein ganz anderes Grundgefühl für den Blickwinkel des „anderen“ Faches. Natürlich gibt es auch gemeinsame Fortbildungen etc., aber ich glaube, auch dieses „ein bisschen Unorganisierte“ ist wichtig. Es setzt natürlich guten Willen voraus, man muss Leute haben, die sich interessieren und die sich um die jungen Kollegen kümmern und ihnen etwas erklären.
Die Zusammenarbeit ist nicht institutionalisiert, das mag ein Fehler sein, aber auf der anderen Seite kann ich jederzeit, auch um 23.00 Uhr noch, die Kollegen auf der Nephrologie kontaktieren. Oder ganz konkret habe ich letztes Wochenende einen Kollegen von der Nephrologie zu Hause am Handy angerufen.
Um Patienten mit Kollagenosen behandeln zu können, muss man auch Erfahrung haben. Und nicht jeder Rheumatologe hat viel Erfahrung in der Behandlung dieser Patienten, da diese einerseits selten sind, und zweitens diese Patienten oft auch schwer krank sind und daher in Zentren behandelt werden sollten. Das ist daher auch eine grundsätzliche Frage, wie gut das in Österreich organisiert ist.

Ist diese Art der Zusammenarbeit im Sinne der Patienten ein Spezifikum ihrer Abteilungen bzw. Ihres Hauses?

Redlich und Sengölge: Das können wir nicht beurteilen.

Haben Sie hier einen Vergleich mit anderen Ländern?

Sengölge: Ich habe schon den Eindruck, dass in anderen Ländern besser organisiert ist, wer wo behandelt wird. Dass Patienten mit gröberen Problemen rasch in Schwerpunktzentren kommen, und umgekehrt jene, die man auch ohne größeren Aufwand behandeln kann, nicht sofort in Zentren behandelt werden.
England ist ein gutes Beispiel, finde ich. Zum Beispiel die Lupus­ambulanzen in vielen Zentren in England, wo Nephrologen, Rheumatologen und Immunologen gemeinsam arbeiten. Oder z. B., dass alle Patienten mit Amyloidoseverdacht aus ganz England an das Amyloidosezentrum in London zur dia­gnostischen Abklärung überwiesen, dort registriert und dann zurück an ihr behandelndes Zentrum überwiesen werden. Wenn es dann im Krankheitsverlauf Fragen gibt, steht das Amyloidosezentrum zur Verfügung.

Das spricht für die Zentrumsmedizin und Triage?

Redlich: Ein duales System ist gut vorstellbar, nur setzt das eine gute Zusammenarbeit und Vertrauen voraus. Denn gerade die Kollagenosen können sehr mild, mit wenig Befall von lebenswichtigen Organen verlaufen und damit harmlos sein, sie können aber schnell kippen. Mein Ideal wäre eine sehr gute rheumatologische Grundversorgung. Wenn dann Probleme auftauchen, sollte die Möglichkeit bestehen, Patienten rasch an Zentren zu transferieren. Umgekehrt haben auch wir einfach manchmal keine Ressourcen und dann auch für dringende Fälle oft 2 Tage kein Bett.

Sengölge: Das liegt daran, dass wir in unseren Spezialeinrichtungen auch viele Patienten behandeln müssen, die bei einem niedergelassenen Internisten oder in einem anderen Spital genauso gut behandelt werden könnten. Damit haben wir dann für die Spezialfälle, an die sich kein niedergelassener Internist heranwagen würde, keine Ressourcen; wie bereits erwähnt, zum Beispiel keine Zeit, um interdisziplinäre Arbeitsgruppen oder Ambulanzen aufzubauen.

Vielen Dank für das Gespräch!