Renale Krise bei Sklerodermie: Wie erkennen, wie behandeln?


Fallbericht

Eine Patientin im fünften Lebensjahrzehnt leidet seit 10 Monaten unter einem Raynaud-Phänomen. Vor 6 Monaten sind eine symmetrische Polyarthritis und eine diffuse Hautsklerose aufgefallen, daraufhin wurde die Antikörperdiagnostik durchgeführt. Bei hochtitrig positiven RNA-Polymerase-III-Antikörpern wurde die Diagnose einer systemischen Sklerose gestellt. Wegen ihrer Arthritis erhielt die Patientin einen Prednisolon-Stoß. 10 Tage später stellt sie sich mit heftigen Kopfschmerzen bei ihrem Hausarzt vor. Dieser stellt eine relevante arterielle Hypertonie (> 160 mmHg), eine niedrig-normale GFR (bei vorbekannt guten Werten) und eine milde Proteinurie fest. Die schnelle Verdachtsdiagnose einer Sklerodermie-Nierenkrise (scleroderma renal crisis), die sofortige stationäre Einweisung und Therapie mit ACE-Hemmern und die Blutdruckkontrolle beeinflussen nun wesentlich den weiteren Verlauf und die Prognose der Patientin.

 

In den 1970er-Jahren war die renale Krise mit über 40 % die häufigste aller sklerodermiebedingten Todesursachen. Mit der Markteinführung von Captopril 1981 bestand erstmals die Möglichkeit einer effektiven Therapie. Bedingt durch die erhöhte Aufmerksamkeit, die Vermeidung von Glukokortikoiden bei systemischer Sklerose und vor allem durch die konsequente Therapie mit ACE-Hemmern, liegt die Nierenkrise heute mit ca. 5 % der sklerodermiebedingten Todesursachen weit hinter anderen Organmanifestationen. Trotz verbesserter therapeutischer Möglichkeiten ist die renale Krise weiterhin ein absoluter Notfall mit noch immer hoher Mortalität (bis 50 %) und hohem Risiko einer bleibenden Niereninsuffizienz. Da diese Komplikation ca. 5–10 % aller Sklerodermiepatienten betrifft, sind engmaschiges Blutdruckscreening und breite Fortbildung aller beteiligten Behandler von höchster Wichtigkeit.

Symptome und klinisches Bild

Die typische Manifestation ist das plötzliche Auftreten einer Niereninsuffizienz mit arterieller Hypertonie, die sich unbehandelt zur malignen Hypertonie mit zunehmendem Nieren- und Multiorganversagen entwickelt. Das Urinsediment ist meist normal oder gering verändert, mit wenigen Zellen oder einer milden Proteinurie (< 1 g/Tag).
Bei dem Großteil der Patienten ist ein systemischer Blutdruck von > 150/85 mmHg und ein Abfall der glomerulären Filtrationsrate um > 30 % zu erwarten. Bei > 95 % der Fälle wird bei Erstbegutachtung ein Anstieg des Plasmakreatinins festgestellt, häufig werden Fragmentozyten im Differenzialblutbild gesehen, bei etwa zwei Drittel besteht eine mikroangiopathische hämolytische Anämie, bei etwa der Hälfte eine Thrombopenie.
Klinisch können Kopfschmerzen, Sehstörungen, Krampfanfälle, Fieber oder ein Lungenödem durch Flüssigkeitsretention relativ früh auftreten, in der Folge fallen Herzinsuffizienz und Pleuraergüsse auf. Bei einzelnen Patienten mit zuvor niedrigem Blutdruck kann eine renale Krise jedoch auch bei hochnormalen Blutdruckwerten auftreten. Ein Warnsignal ist in diesem Fall der Anstieg des Blutdrucks.

Risikofaktoren für eine renale Krise

Diffuse kutane systemische Sklerose. Das höchste Risiko, eine Nierenkrise zu entwickeln, tragen Patienten mit diffuser kutaner systemischer Sklerose, bei denen also auch der Rumpf, Oberarme und Oberschenkel betroffen sind. Assoziiert sind damit bestimmte sklerodermiespezifische Autoantikörper (Anti-Topoisomerase [Scl-70], Anti-RNA-Polymerase).

Kurze Krankheitsdauer. Die Nierenkrise tritt meist in der Anfangsphase der Erkrankung auf. So beträgt die mediane Krankheitsdauer lediglich 8 Monate; In einer Kohorte traten 86 % der Fälle in den ersten 4 Jahren nach Diagnose der Grunderkrankung auf. Daraus ergibt sich, dass die renale Krise zum Teil bei Patienten mit noch nicht diagnostizierter Sklerodermie auftritt. Diese Fälle sind von besonderem Interesse für den Nicht-Rheumatologen. Hier erlaubt die Kenntnis des Krankheitsbildes eine rasche Diagnose und Therapie, die mit deutlicher Verbesserung für den Patienten bezüglich Mortalität und Organfunktion einhergeht.


Glukokortikoidtherapie. Ein besonderer Risikofaktor für das Auftreten der Nierenkrise ist jede Glukokortikoidtherapie mit > 15 mg Prednisolonäquivalent täglich. Im Gegensatz zu allen anderen Kollagenosen, ja praktisch allen anderen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, sind höher dosierte Glukokortikoide bei systemischer Sklerose wegen der Gefahr des Auslösens einer Nierenkrise lebensgefährlich und sollten lebensbedrohlichen Situationen vorbehalten bleiben. Weitere Risikofaktoren sind ein hoher Skin Score und eine kurze Krankheitsdauer. 


 

 

Pathogenetische Überlegungen

Die genauen Abläufe, die zu einer Nierenkrise führen, sind noch großteils unbekannt. Zugrundeliegend scheint ein Endothelschaden zu sein, der zu Intimaproliferation und Verengung der kleinen zuführenden Gefäße führt. Die verminderte Nierendurchblutung löst eine massive Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems aus.
Die histologischen Veränderungen in betroffenen Organen zeigen zwiebelschalenartige Intima und Verengung bis Verschluss der kleinen Arterien. An den Glomeruli sind unspezifische Veränderungen durch Ischämie oder Fibrose zu beobachten. Die histologischen Veränderungen sind nicht spezifisch und werden auch in anderen betroffenen Organen, aber auch in Sklerodermiepatienten ohne Nierenkrise gefunden. Auch lässt sich histologisch nicht sicher zwischen einer renalen Krise und Veränderungen durch maligne Hypertonie, TTP oder HUS unterscheiden.

Diagnose

Als Screeninguntersuchung sollte bei jedem Sklerodermiepatienten bei jeder Untersuchung Blutdruck gemessen und die Nierenfunktion regelmäßig anhand der GFR überprüft werden. Als Abschätzung der Nierenfunktion scheint die MDRD-Formel am besten validiert zu sein, die Korrelation zu anderen Berechnungsarten ist gut. Vermutlich ist der zeitliche Verlauf der Nierenfunktion wichtiger als der absolut kalkulierte Wert. Patienten mit Risikofaktoren sollten regelmäßige Selbstmessungen des Blutdrucks sowie eine ärztliche Kontrolle alle 4 Wochen einhalten.

Dialysepatienten. Ungefähr ein Viertel der Patienten ist bei Diagnose einer Nierenkrise bereits dialysepflichtig. Davon bleibt ungefähr die Hälfte von der Nierenersatztherapie dauerhaft abhängig. Die Nierenfunktion der betroffenen Patienten kann sich in den ersten 3 Jahre nach Präsentation noch erholen, wobei der größte Teil der Verbesserung in den ersten 12 Monaten stattfindet. Das bedeutet auch, dass bei Dialysepatienten nach Nierenkrise die entsprechende Therapie in den ersten 3 Jahren nicht beendet werden sollte. Patienten mit normotensiver Präsentation haben auch bei optimaler Therapie die schlechteste Prognose bezüglich Mortalität und Nierenüberleben.

Differenzialdiagnose. Eine Nierenbiopsie wird für Diagnose, Therapieentscheidung oder Prognoseabschätzung nicht empfohlen. Zur Differenzialdiagnose kann die Biopsie jedoch notwendig sein. Vor allem bei der normotensiven Präsentation wird man eine alternative Ursache des Nierenversagens mit möglicher Behandlungskonsequenz ausschließen müssen. Zudem können Zylinder im Harn und positive ANCA-Zeichen einer eher seltenen renalen Vaskulitis im Rahmen der systemischen Sklerose sein. Bis zum Beweis des Gegenteils ist der Sklerodermiepatient mit akuter Nierenfunktionseinschränkung aber als Nierenkrisepatient zu behandeln.


Sofort bei Verdacht: Behandlung

Der erste und wichtigste Schritt ist in jedem Fall der Anfangsverdacht der behandelnden Ärzte. Jeder Sklerodermiepatient, der mit erhöhtem bzw. steigendem Blutdruck oder reduzierter bzw. fallender Nierenfunktion auffällt, ist zunächst einmal verdächtig, eine Nierenkrise zu entwickeln. Wichtig scheint hier zu betonen, dass es sich bei der Komplikation um einen absoluten Notfall handelt, der bei Verdacht eine sofortige Krankenhauseinweisung rechtfertig. Die Mortalität in der Akutphase wird mit mindestens 10 % beziffert.
Frühzeitig und schon bei Verdacht sollte die Behandlung mit einem ACE-Inhibitor erfolgen. Auch wenn die Datenlage bezüglich der Dosierung dünn ist, werden typischerweise die Tageshöchstdosen um ein Mehrfaches überschritten, um den Teufelskreis aus renaler Minderdurchblutung und Reninausschüttung zu durchbrechen. Bei ACE-Inhibitor-Unverträglichkeit wird auf Angiotensin-Rezeptorblocker zurückgegriffen, für die es weniger Evidenz gibt. Ob die sequenzielle Blockade des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems mit ACE-Inhibitor und Angiotensin-Rezeptor-Blocker eine Verbesserung bietet, ist noch nicht abschließend geklärt. Reicht die Ausdosierung des ACE-Hemmers nicht zur Blutdruckkontrolle, muss die weitere Senkung des Blutdrucks mit Ca-Kanal-Blockern, Nitraten und ggf. direkten Vasodilatatoren erreicht werden. Angestrebt werden sollte die Absenkung des Blutdrucks auf hochnormale Werte, da eine zu rasche Senkung möglicherweise negative Effekte auf die renale Durchblutung hat. Parallel dazu wird die kontinuierliche Gabe von Iloprost in niedriger Dosierung empfohlen. Entsprechend der Erkenntnisse der letzten Jahre wird auch die zusätzliche Blockade des Endothelin-1-Rezeptors mittels Bosentan untersucht. Abschließende Ergebnisse stehen aber auch hier noch aus.
In den letzten Jahren wurden ein Rückgang der Inzidenz der renalen Krise und eine Zunahme der Sklerodermiepatienten auf ACE-Inhibitor-Therapie festgestellt. Andererseits gibt es Beobachtungen schwererer Verläufe bei Patienten, die unter ACE-Hemmer-Therapie eine Nierenkrise entwickeln. Neu beschriebene Autoantikörper gegen Angiotensinrezeptoren bei Sklerodermiepatienten könnten eine Erklärung für diese Beobachtung darstellen. Da größere Untersuchungen noch ausstehen, kann derzeit jedenfalls keine Empfehlung zur prophylaktischen Behandlung von Patienten ohne vorbestehende arterielle Hypertonie gegeben werden.