Endokrinologische „Krise“ auch als Chance

Als Schirmherr unseres Heftschwerpunktes zur Menopause nahm Univ.-Prof. Dr. Christian Egarter, MedUni Wien, zu den menopausespezifischen Therapieoptionen aus Sicht der gynäkologischen Endokrinologie Stellung.

GYN-AKTIV: Wann werden Menopause­beschwerden als physiologisches Phänomen pathologisch bzw. behandlungsbedürftig?

Univ.-Prof. Dr. Christian Egarter: Eine alte Daumenregel ist mittlerweile durch Studiendaten gut belegt: Ein Drittel der Frauen hat praktisch keine menopausalen Beschwerden, ein Drittel spürt sie zwar, die Betroffenen können aber damit umgehen, ein Drittel leidet unter definitiv therapiebedürftigen Beschwerden, bis hin zu Fällen, wo die Lebensqualität massiv eingeschränkt ist.

Lässt sich aus dem individuellen Meno­pause-Profil – Zeitpunkt des Eintritts,  Beschwerdensymptomatik etc. – eine ­Prognose für den weiteren Verlauf ableiten?

Die letzte Menstruation erleben Frauen im Durchschnitt mit 51–52 Jahren. Noch vor nicht allzu langer Zeit ist man von einer relativ einheitlichen Dauer klimakterischer Beschwerden ausgegangen. Neuere Metaanalysen zeigen jedoch, dass diese bei frühzeitigem Auftreten in Bezug auf den Menopauseeintritt – etwa schon 1 bis 2 Jahre davor – überdurchschnittlich lang und oft bis zu 12 Jahre andauern. Je später Hitzewallungen, Schweißausbrüche etc. auftreten, umso kürzer halten sie andererseits meistens an.

Wie ist der aktuelle Stand zum Stellenwert der Hormonersatztherapie (HRT) zur ­ Therapie klimakterischer Beschwerden?

Es besteht mittlerweile auf der Basis einer Fülle an Daten die konsensuelle Einschätzung in den internationalen Leitlinien und Empfehlungen, u. a. in der neuen deutschen S3-Leitlinie „Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Therapie“, dass eine HRT in ihrer Indikationsstellung – bei Hitzewallungen und Schweißausbrüchen, urogenitalen und psychischen Symptomen des klimakterischen Syndroms – die effizienteste und eine sichere Therapieform darstellt. Eine HRT kann die Beschwerden innerhalb von Tagen bis Wochen substanziell vermindern. Wie immer in der Medizin muss man vorab eventuell vorhandene individuelle therapierelevante Risikofaktoren abklären – bei Erwägung einer HRT etwa durch eine sorgfältige kardiovaskuläre oder Brustkrebs-Anamnese. Darüber hinaus hat sich etabliert, die Dosis so niedrig wie möglich zu halten, weil damit das Risiko für potenzielle Nebenwirkungen insgesamt geringer ausfällt. Zur Dauer der HRT gaben früher die Empfehlungen der internationalen einschlägig mit dem Thema befassten Gesellschaften einen weitaus strikteren Rahmen vor, heute kann man nach meiner Einschätzung – wenn keine Risikokonstellationsänderung auftritt – relativ lange und bei über viele Jahre problemloser Verträglichkeit auch über das 60. Lebensjahr hinaus therapieren, außer es treten Probleme auf oder die Patientin wünscht ein Therapieende. Wenn man sich entschließt abzusetzen, ist ein schrittweises Ausschleichen sinnvoll, etwa mit Dosisreduktionen über ein halbes Jahr. Wenn bestimmte Basisrisikofaktoren hinsichtlich einer Hormongabe vorhanden sind, kann man auf alternative Therapien und Verabreichungsschemata ausweichen.

Welche Therapieempfehlungen gibt es zu urogenitalen Beschwerden im Sinne eines urogenitalen Menopausesyndroms?

Hier besteht der Konsensus zur intravaginalen Applikation von Östriol als biologisch weniger wirksamem Östrogen – ein Gestagen zum Endometriumschutz ist bei lokaler Anwendung nicht nötig. Damit kann nicht nur der Hormonmangel im Vaginalepithel ausgeglichen und die Sekretionstätigkeit wieder aktiviert werden, sodass es zu keiner Scheidentrockenheit kommt, sondern auch dem gar nicht seltenen Phänomen eines rezidivierenden Harnwegsinfekts in der frühen Menopause als Symptom eines lokalen Hormonmangels vorgebeugt werden.

Es werden ja auch langfristige Effekte auf die kognitive Performance im Alter diskutiert?

Dazu gibt es heterogene Studienergebnisse. Allerdings wurde bei Gruppierung in Bezug auf einen frühzeitigen Therapiebeginn gezeigt, dass man damit die altersassoziierte Abnahme kognitiver Fähigkeiten durchaus bremsen kann – ein Effekt, der theoretisch nachvollziehbar ist, wenn man an die positiven Effekte auf das kardiovaskuläre System auch in Richtung Hirnversorgung denkt.

Welchen Stellenwert messen Sie Phyto­therapeutika und anderen hormonfreien ­ Alternativen bei?

Man weiß, dass Phytotherapeutika wie Isoflavone nicht ganz so stark wirksam sind wie eine HRT, in weniger ausgeprägten Fällen jedoch durchaus eine Option darstellen. In Metaanalysen wurde eine signifikante Reduktion der Hitzewallungen belegt, andere klimakterische Symptome wie Gelenksbeschwerden werden aber nicht in diesem Ausmaß beeinflusst. Zur Therapiesicherheit hat eine umfangreiche Analyse der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA Journal 2015) gezeigt, dass es bis zu einer täglichen Dosierung von 150 mg Isoflavonen in Bezug auf alle potenziellen Risiken, insbesondere hinsichtlich eines Mamma- oder Endometriumkarzinoms, zu keinerlei Veränderung der Risikosituation kommt. Es scheint auch so zu sein, dass nicht nur die klinische Symptomatik durch Phytoöstrogene verbessert wird, sondern möglicherweise auch kardiovaskuläre Risikofaktoren oder Osteoporose. Als grundsätzliches Problem ist die heterogene Studienlage zu sehen: Aufgrund der unterschiedlichen Dosierungen, pflanzlichen Extrakte (Soja, Hopfen, Rotklee, Traubensilberkerze etc.), die in den Studien untersucht wurden, und der individuell und ethnisch sehr unterschiedlichen Metabolisierung im Darm in die eigentlich wirksamen Substanzen ist es letztlich schwer, robuste Aussagen und eine konklusive Empfehlung für den gesamten Bereich der Phytotherapie zu generieren.Wenn Frauen mit Mammakarzinom in der Krankengeschichte – aus meiner Sicht eine der wenigen klaren Kontraindikationen einer HRT, auch wenn große Metaanalysen gar keinen so massiven Einfluss zeigen –, auch Phytoöstrogene ablehnen, kann man evtl. auf einen SSRI (selektiver Serotonin-Reuptake-Inhibitor) wie Citalopram oder einen SNRI (Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor) wie Venlafaxin zurückgreifen.

Wie beurteilen Sie aus endokrinologischer Sicht kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Adipositas bzw. das metabolische Syndrom im Menopause-Kontext?

Ein spannender, in den letzten Jahren immer stärker thematisierter Aspekt, weil man sieht, dass viele Frauen im perimenopausalen Übergang ohne Änderung ihrer Lebensführung – Ernährung, Bewegung – eine stärkere Adipositas bzw. ein metabolisches Syndrom entwickeln. Es kommt im Zuge der perimenopausalen endokrinen Umstellung zu ungünstigen Veränderungen der Zytokinmuster von Adiponectin, Leptin etc., damit zu einer Verstärkung der typischen Trias aus Insulinresistenz, Fettstoffwechselstörungen und Hypertonie und in der Folge zu einer atherogenen Entwicklung und kardiovaskulären Erkrankungen. Dass endogener Hormonmangel einen Trigger dafür darstellt, lässt sich indirekt durch die großen Studien zur HRT belegen, in denen Diabetesinzidenz, Gewichtszunahme und Fettstoffwechselstörungen und damit auch klinische kardiovaskuläre Endpunkte wie Herzinfarkt, Schlaganfall etc. günstig beeinflusst wurden.Wenn sich jedoch atherosklerotische Ablagerungen bereits gebildet haben, kommt die protektive Wirkung einer HRT nicht mehr zum Tragen. Man sollte jedenfalls innerhalb von 10 Jahren, besser noch frühzeitig nach Auftreten von Symptomen beginnen, dann kann man den vollen Benefit einer entsprechende Kombinationstherapie – nach meiner Überzeugung am besten durch Einsatz natürlicher, bioidenter Hormone – ­generieren.

Welches Potenzial haben hier Lifestyle-­Empfehlungen zu Ernährung oder Sport?

Diese sind natürlich die Basis jeder Beratung. Vor allem der protektive Wert einer regelmäßigen körperlichen Aktivität wird noch immer weit unterschätzt, nicht nur was kardiovaskuläre Erkrankungen und den Muskelstatus betrifft, sondern auch alle anderen Stoffwechselbereiche wie etwa den Hirnstoffwechsel.

Auf welche Hinweise sollten Frauen­ärztInnen in dieser Phase mit Blick auf ernste Erkrankungen verstärkt achten?

Derzeit besteht die Empfehlung, dass man die individuelle Patientin, was das Bestehen und Neuauftreten von Risikofaktoren etwa kardiovaskulärer Natur betrifft, genau im Auge behält. In Bezug auf das Mammakarzinom gilt es auch ohne Malignomanamnese andere Hinweise zu beachten, etwa eine erhöhte Brustdichte in der Mammografie oder Brustspannen nach HRT-Beginn als Ausdruck eines verstärkten proliferativen Effekts. Im Ausblick spannend finde ich die Neuentwicklung und den potenziellen Einsatz einer Kombination aus konjugiertem Östrogen mit einem selektiven Östrogen-Rezeptor-Modulator (SERM) bei Frauen mit erhaltenem Uterus – vor dem Hintergrund, dass in der WHI-Studie unter einer Monotherapie mit konjugierten Östrogenen sogar eine Brustkrebsrisiko-Reduktion gezeigt wurde und zudem SERMS wie Tamoxifen zur endokrinen Therapie des Mammakarzinoms eingesetzt werden. Da in Studien zu einer Östrogen-SERM-Kombination mit Bazedoxifen keine Endometriumproliferation auftrat, könnten derartige Neuentwicklungen bei Frauen mit erhaltenem Uterus den zur Endometriumprotektion zwar notwendigen, aber hinsichtlich des Brustkrebsrisikos kontraproduktiven Zusatz eines Gestagens überflüssig machen.