GYN-AKTIV KOMPAKT: Diagnostik in der Frühschwangerschaft – ein Update

Zum Einstieg eine Geschichte aus meiner Praxis: Eine 24-jährige Schwangere sitzt mit blassem, müdem Gesicht und hängenden Schultern vor mir. Sie ist in der Schwangerschaftswoche 25, eine gutaussehende Bankangestellte aus Rumänien, die Nichte einer in Wien lebenden Übersetzerin. Diese hat sie zu uns gebracht. Vor 2 Wochen war eine Spina bifida diagnostiziert worden. Unsere Ultraschalluntersuchung bestätigt eine große lumbosakrale Läsion, die bereits beim obersten Lendenwirbel beginnt, die dazugehörende Chiari-Malformation der hinteren Schädelgrube sowie eine ausgeprägte Erweiterung der beiden Seitenventrikel im Gehirn auf über 15 mm. Das Kind wird nie gehen können, und es wird harn- und stuhlinkontinent sein. Es kann mit so einer großen Läsion auch nicht pränatal operiert werden, um das Outcome zu verbessern. Mit den bereits jetzt ausgeprägten Veränderungen im Gehirn beträgt die Chance auf ein Überleben bis zum 3. Lebensjahr unter 50 %. Das alles muss ich ihr sagen.
„Hätte man das schon früher sehen können?“, will sie wissen. Diese Frage stellen werdende Eltern heute immer, wenn beim routinemäßig durchgeführten Organscreening in der Schwangerschaftswoche 20–23 eine schwere Fehlbildung entdeckt wird. Und die Antwort ist häufig ein Ja.

Die Bedeutung des neuen ­Ersttrimester-Screenings

In Österreich sind im Rahmen des Mutter-Kind-Passes 3 Ultraschalluntersuchungen vorgesehen, die erste in der Schwangerschaftswoche 8–12. Diese dient der Bestätigung einer positiven Herzaktion, der Messung der Scheitel-Steiß-Länge zur Bestimmung des Gestationsalters und der Dokumentation der Chorionizität bei Mehrlingen. Danach müssen die Schwangeren auf die Möglichkeit der erweiterten Ultraschalluntersuchung hingewiesen werden.
Diese erweiterte Untersuchung, das Ersttrimester-Screening, ist seit Jahren Teil des empfohlenen Screening-Programmes in der Schwangerschaft. Aus der Messung der Nackentransparenz zum Screening auf Trisomie 21, das vor 20 Jahren entwickelt wurde, ist eine sehr genaue Ultraschalluntersuchung des gesamten Fetus geworden. Dabei werden auch immer mehr schwere Fehlbildungen entdeckt.
Früher hat die Fehlbildungsdiagnostik beim Organscreening in der Schwangerschaftswoche 18–23 stattgefunden. Ein Review aus dem Jahr 1990 zur Effektivität dieses Organscreenings hat eine Prävalenz von Fehlbildungen von 2 % gezeigt, wovon ungefähr 45 % entdeckt worden sind. Zwischen den unterschiedlichen eingeschlossenen Studien schwankt die Entdeckungsrate beträchtlich, und zwar zwischen 15 % und 85 %. Das liegt an den beurteilten Fehlbildungen, am Follow-up und am Screening-Protokoll. Besonders groß sind naturgemäß die Unterschiede in der Entdeckungsrate verschiedener Arten von Fehlbildungen, entsprechend der Entwicklung und der Größe der Fehlbildungen. 20 Jahre später, so zeigen Daten aus Registern aus 20 europäischen Ländern, betrug die Prävalenz aller nicht-chromosomalen Fehlbildungen zum Zeitpunkt des Organscreenings in der SSW 20–23 weiterhin 2 %. Die Entdeckungsraten für Anencephalie, Spina bifida, hypoplastisches Linksherz und Gastroschisis betrugen 96 %, 68 %, 65 % und 83 %, im Wesentlichen gleich wie 20 Jahre zuvor.

Detektierbare Fehlbildungen in der Frühschwangerschaft

Im Low-Risk-Kollektiv ist die Entdeckungsrate von schweren Fehlbildungen in der Schwangerschaftswoche 12 gleich wie der SSW 18. Das zeigt eine randomisierte Studie aus Schweden aus dem Jahr 2006, die Ultraschalluntersuchungen in der SSW 12 mit Untersuchungen in der SSW 18 vergleicht.

Gerade Neuralrohrdefekte, wie Akranie und Spina bifida, die zu den häufigsten Fehlbildungen gehören, können bereits am Ende des 1. Trimenons gesehen werden. Diese haben eine hohe Mortalität, und gehen auch mit einem großen Leidensdruck für die betroffenen Kinder einher. Häufig entscheiden sich die werdenden Eltern für einen Schwangerschaftsabbruch. Vorgeburtliche Operationen verbessern die Prognose. Sie müssen allerdings rechtzeitig organisiert werden. Wichtig ist, dass sie Eltern eine ausreichende Zeit für die Entscheidung haben, da sie nie zu einer vollständigen Heilung des Kindes führen und für die Schwangere nicht ganz ungefährlich sind.

Herzfehler sind die häufigsten Fehlbildungen. Davon kann rund die Hälfte in der SSW 11 bis 14 gesehen werden. Die modernen Operationstechniken ermöglichen vielen Kindern mit Herzfehlern ein Überleben mit hoher Lebensqualität. Allerdings haben in Europa 20 % aller mit Herzfehlern geborenen Kinder erkennbare genetische Syndrome. Neben Aneuploidien, wie Trisomie 21, 13 und 18, liegen den Herzfehlern häufig auch Mikrodeletionen zugrunde, die zusätzlich zur Fluorescent In Situ Hybridisation (FISH-Schnelltest) und zum Karyogramm eine Diagnostik mittels Microarray oder speziellen Gen-Panels notwendig machen. Das dauert mitunter einige Wochen. Je früher also ein Herzfehler entdeckt wird, umso früher können assoziierte Gendefekte diagnostiziert werden.

Mittelliniendefekte, wie Gesichtsspalten und Bauchwanddefekte, erfordern Operationen nach der Geburt. Dabei sind die Ergebnisse sehr gut, die Kinder führen ein weitgehend normales Leben. Aber auch dabei sind manche Defekte mit Aneuploidien und in bis zu 10 % mit Mikrodeletionen assoziiert. Es ist also heutzutage in jedem Fall eine umfassende genetische Diagnostik zu empfehlen. Dabei ist wiederum eine frühe erste Diagnose von Vorteil.

Manche Fehlbildungen entstehen erst später in der Schwangerschaft: Dazu zählen zuvorderst Entwicklungsstörungen der Großhirnrinde, wie zum Beispiel die Lissencephalie. Diese führt zu beträchtlichen kognitiven und motorischen Entwicklungseinschränkungen sowie zu häufig unbe-handelbaren Krampfanfällen. Frühestens können schwere Formen ab der SSW 23–25 vermutet werden. Es bietet sich also an, nach einer detaillierten Ultraschalluntersuchung in der SSW 11–14 das Organscreening etwas nach hinten zu verlegen, um einen echten Informationszugewinn zu haben.

Weiterführende Diagnostik bei dysmorphen Feten

Screening auf Aneuploidien, also auf Trisomie 21, 13 und 18, kann heutzutage mit sehr großer Genauigkeit durch die Untersuchung der zellfreien DNA (cfDNA) aus dem Blut der Schwangeren abgedeckt werden. Und die Trisomie 21 macht weit über die Hälfte aller genetischen Defekte bei allen Lebendgeborenen aus.

Sobald allerdings Fehlbildungen sichtbar sind, verschiebt sich das Spektrum. Dann sind umfassendere genetische Untersuchungen für eine Diagnose notwendig. Es haben zwar rund 30 % aller Feten mit Fehlbildungen eine mittels FISH diagnostizierbare Trisomie. Aber schon die Erstellung eines Karyogramms entdeckt bei weiteren 5 % unbalancierte chromosomale Fehlverteilungen. Eine Microarray-Analyse entdeckt bei zusätzlichen 6 % pathogene „copy number variants“, das sind Mikrodeletionen oder -duplikationen. Damit bleiben aber noch mindestens 60 % aller dysmorphen Feten ohne Diagnose. Seit kurzem sind noch genauere Aufschlüsselungen mit molekulargenetischer Technologie schon pränatal möglich. Eine Sequenzierung des gesamten Genoms wäre der genaueste diagnostische Prozess. Ein Whole Genome Sequencing (WGS) ist in so kurzer Zeit durchführbar, dass es pränatal angewendet werden könnte. Das Problem dabei ist die Interpretation der komplexen Befunde und die große Bandbreite an Variationen, die dabei zum Vorschein kommen. International gängiger, weil etwas leichter zu befunden, ist ein Whole Exome Sequencing (WES). Dabei werden nur die proteinkodierenden Exone selektiv sequenziert. Diese machen 1–2 % des Genoms aus und beinhalten über 85 % aller krankheitsverursachenden Mutationen.

ZUSAMMENFASSEND kann man sagen, dass mit dem Wissen und der Technik im Jahr 2017 über 50 % der schweren Fehlbildungen im 1. Trimenon erkannt werden können. Zu den entdeckbaren Fehlbildungen gehören Akranie, alobäre Holoprosencephalie (Abb., a), Omphalocele (Abb., b), Gastroschisis, und Megacystis. Spina bifida wird häufig aufgrund der Veränderungen in der hinteren Schädelgrube vermutet, fehlende Extremitäten, Herzfehler und Gesichtsspalten werden häufig gesehen. Nicht darstellbar sind Fehlbildungen, die sich später entwickeln, wie eine Agenesis des Corpus callosum, Lissencephalie, Kleinhirnhypoplasien, echogene Lungenläsionen, Darmobstruktionen, Nierenfehlbildungen und Ta-lipes.
Bei Fehlbildungen im 1. Trimenon ist zur weiteren Abklärung eine Chorionzottenbiopsie zu empfehlen, damit können Chromosomenanomalien und auch Mikrodeletionen früh diagnostiziert werden. Das ermöglicht den Eltern, bei Fehlbildungen, die zu schwerer Behinderung oder zum Tod des Kindes führen, einen früheren Schwangerschaftsabbruch.

 

 
* Nach einem Vortrag im Rahmen des 3. GYN-AKTIV-KOMPAKT-Kongresses, 30. September 2017, Schloss Schönbrunn, Wien