Ist Vitamin K2 das bessere Vitamin D3?

Das Vitamin K erfreut sich aktuell eines hohen Interesses, erkennbar auch an der Zunahme von Publikationen dazu. In seiner biologischen Funktion lenkt es den Blick auf die enorme Bedeutung des „Protein-Codes“ – der posttranslationalen Modifikation und Anpassung von exprimierten Proteinen –, der den genetischen und epigenetischen Code zu einer holistischen Konzeption der Steuerung der biologischer Prozesse in allen Lebewesen ergänzt.

Die wesentliche Bedeutung von Vitamin K im Bereich der posttranslationalen Proteinmodifikation liegt in der Einführung einer Carboxygruppe in die γ-Position von Glutamylresten bestimmter Proteine, wodurch diese aktiviert werden. Bisher sind vierzehn Proteine bekannt, die über eine γ-Carboxy- Glutaminsäure verfügen und für deren Synthese daher Vitamin K notwendig ist. Davon sind 6 Proteine mit dem Blutgerinnungssystem verbunden.
Vitamin-K-Wirksamkeit besitzen das in Pflanzen vorkommende Phyllochinon (Vitamin K1) und mit der höchsten Potenz das von Bakterien produzierte Menachinon (Vitamin K2), das u. a. in höheren Lebewesen auch in limitierten Mengen aus Phyllochinon synthetisiert werden kann. Geschätzte 50 % unseres Vitamin-K2-Bedarfs werden vom Darmmikrobiom hergestellt. Mit einer Schädigung des Darmmikrobioms, etwa durch Antibiotikatherapien, kommt es daher auch zu einer Beeinträchtigung des Vitamin-K-Versorgung.

Shift vom Gerinnungssystem zur Kalzifikation: Die historische Perspektive auf die Aktivierung von Gerinnungsfaktoren hat sich durch neuere Forschungen zur Aktivierung sogenannter GLA-Proteine (Vitamin-K-abhängige -Carboxy-Glutaminsäure-hältige Proteine) in unterschiedlichen Geweben deutlich erweitert. Vitamin K besitzt hinsichtlich der Verteilung von Kalzium zwischen dem Gefäßsystem und den Knochen eine eine dialektische und deshalb für beide Kompartimenten protektive Funktion: Indem Vitamin K im vaskulären System Matrix-GLA-Proteine als Inhibitoren der Gefäßmineralisation carboxyliert, wird das Kalzium aus dem Endothel entfernt. Parallel fördert es über Aktivierung des GLA-Proteins Osteocalcin den Kalziumeinbau im Knochen – deshalb scheint die Kombination von Vitamin K mit Vitamin D wichtiger als eine Kalziumsubstitution.
Wie bedeutend Vitamin K für ein gesundes Herz-Kreislauf-System ist, hat die Rotterdam- Studie gezeigt: Menschen, die sich über einen 10-jährigen Beobachtungszeitraum von Nahrungsmitteln mit hohem Anteil an natürlichem Vitamin K2 (mindestens 32 μg täglich) ernährten, wiesen deutlich weniger Kalziumablagerungen in den Arterien und eine weit bessere Herz-Kreislauf-Gesundheit auf als andere. Vitamin K2 reduzierte das Risiko, eine Gefäßverkalkung zu entwickeln oder an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, um 50 % (Geleijnse J Nutr 2004; 134 [11]: 3100–3105). Diese Ergebnisse wurden in anderen Studien bestätigt.
Eine Studie mit über 72.000 Probandinnen hat einen wesentlichen Einfluss auf das Osteoporoserisiko gezeigt: mit einem um ca. 30 % reduzierten Risiko osteporotischer Frakturen bei Frauen, die relativ viel Vitamin K1 zu sich nahmen, im Vergleich zu der Gruppe mit den geringsten Vitamin K1-Werten. Interessanterweise zeigte sich, dass Probandinnen mit hohen Vitamin-D-Werten sogar ein erhöhtes Osteoporoserisiko aufwiesen, wenn sie einen Vitamin-K-Mangel aufwiesen (Feskanich D. et al., Am J Clinic Nutr 1999; 74–79).
Aufgrund dieser und anderer Studien hat zwar die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ein positives Gutachten erstellt – hier wird die positive Wirkung von Vitamin K hinsichtlich des Erhalts der Gesundheit von Knochen bestätigt (EFSA Journal 2009; 7 [9]: 1228). Jedoch findet sich außer in Japan noch in keiner Leitlinie zur Osteoporose-Behandlung die Empfehlung, Vitamin K einzunehmen.

Effekte von Vitamin K bei postmenopausalen Frauen: In den neu erkannten Wirkrichtungen ist die Bedeutung von Vitamin K auch mit jener des Östrogenstoffwechsels verschränkt. In den Zellen der Gefäßwände werden die Promotoren für die Osteocalcin-Expression durch Östradiol methyliert und damit inaktiviert. Wenn diese epigenetische Hemmung mit dem menopausale Östrogenmangel wegfällt, erscheint Osteocalcin plötzlich auch in den Gefäßen – mit arteriosklerotischer Kalziumeinlagerung als Folge. In seiner verteilenden Funktion des Kalziums aus dem Herz-Kreislauf-System hin zum Knochen kommt eine suffizienten Vitamin-K-Zufuhr deshalb gerade in der Menopause ein besonderer Stellenwert zu (Maturitas 2014, 77 (3): 294–99).
Das ist auch hinsichtlich der Kalziumeinlagerungen im Brustgewebe von Bedeutung, nicht nur weil Kalzifizierungen die Brustkrebsdetektion in der Mammografie erschweren, sondern weil Kalzium selbst einen wachstumsfördernden Effekt auf die Progenitorzellen in der Brust ausübt.

Zufuhrempfehlungen: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt eine tägliche Aufnahme von 4–10 μg für Säuglinge, 15– 50 μg – mit dem Alter aufsteigend – für Kinder bis 14 Jahre, 60–65 μg für Frauen und 70–80 μg für Männer. Dies genügt, um Gerinnungsfaktoren in der Leber zu aktivieren, nicht jedoch für die darüber hinausgehenden Funktionen.
Obwohl Vitamin K ein fettlösliches Vitamin ist, sind keine Überdosierungen bekannt.