Sexualhormone und Thromboserisiko

Einige Studien lassen allerdings vermuten, dass möglicherweise neben EE auch die Gestagene die Hämostase und damit das Thromboserisiko beeinflussen. Es ist bekannt, dass Gestagene den Östrogeneffekt modulieren können, wobei Levonorgestrel (LNG) aufgrund seiner androgenen Partialwirkung einen antagonistischen Einfluss hat und die Östrogen- induzierten Modifikationen abschwächt. Für OH mit einem Gestagen der sogenannten 3. Generation (Gestoden, Desogestrel) wurde im Vergleich zu OH mit Gestagenen der 2. Generation (Levonorgestrel) insgesamt ein höheres Thromboserisiko gefunden. Reanalysen derselben Daten und neuere Untersuchungen sind allerdings widersprüchlich und weisen darauf hin, dass es sich bei den geringen Risikounterschieden möglicherweise um einen Bias, bedingt durch eine unterschiedliche Verschreibungspraxis der älteren und neueren OH, handelt.

Risiko bei gesunden nicht-schwangeren Frauen ohne OH-Einnahme (Tab.): Ältere Arbeiten zur Inzidenz von venösen thromboembolischen Erkrankungen (VTE) gingen in der gesunden Normalbevölkerung (nicht-schwangere Frauen, ohne OH) von einer Inzidenz von einem Fall auf 10.000 Frauenjahre aus. Durch die seither eingetretenen demografischen Veränderungen (Anstieg des durchschnittlichen BMI, Veränderung der Lebensführung) und die Verbesserung der medizinischen Möglichkeiten (bessere Diagnostik) wird heute die Inzidenz von VTE bei gesunden Frauen ohne OH-Einnahme im Alter von 15–44 Jahren auf 3–5 Ereignisse/10.000 Frauenjahre geschätzt. Dabei ist unbestritten, dass die Inzidenz von VTE altersabhängig zunimmt. Für gesunde junge Frauen (< 35 Jahre) wurde in einer kanadischen Konsensus-Richtlinie ein absolutes VTE-Risiko von 1–2 Ereignissen/10.000 Frauenjahre angegeben.

 

 

Risiko unter Einnahme von OH: Die stark variierenden Ergebnisse neuerer Metaanalysen und Kohortenstudien zeigen bei Frauen mit Einnahme von niedrig dosierten, kombinierten OH im Vergleich zu Frauen ohne OH insgesamt eine altersabhängige Verdoppelung der VTE-Inzidenz. Für gesunde junge Frauen < 35 Jahre besteht entsprechend einer kanadischen Konsensus-Richtlinie unter OH-Einnahme ein VTE-Risiko von 2–3 Ereignissen/10.000 Frauenjahre. Das VTE-Risiko ist vor allem bei Erstanwenderinnen und im ersten Anwendungsjahr (insbesondere in den ersten 3 Monaten) erhöht, was die Bedeutung einer Prädisposition unterstreicht. Innerhalb von 3 Monaten nach Absetzen der OH wird wieder das altersentsprechende Basisrisiko erreicht.
Eine vordringliche Intention im Rahmen der Entwicklung eines OH war es, durch Dosisreduktion von EE das VTE-Risiko zu senken. Allerdings konnte dieses Ziel bisher trotz mehrerer Hinweise aus neueren Studien nicht eindeutig erreicht werden. So fand sich in der EURAS-Studie bei Vergleich zwischen Pillen mit 30 mcg EE und 20 mcg EE kein signifikanter Abfall des VTE-Risikos.
Bei Anwendung nicht-oraler EE-/Gestagen-Kombinationen (Vaginalring, Pflaster) ist das Thromboserisiko in etwa gleich wie bei oralen OH. Inwieweit die Anwendung von OH mit Gestoden, Desogestrel, Cyproteronacetat oder Drospirenon mit einem höheren Thromboserisiko verbunden ist als mit Levonorgestrel- haltigen OH, ist nicht abschließend geklärt. Sofern eine Differenz zwischen den verschiedenen Gestagenen besteht, ist sie klein (1–2 zusätzliche Fälle/10.000 Frauenjahre).

Daraus ergeben sich für die Praxis folgende Konsequenzen: Venöse Thromboembolien sind Teil der unerwünschten, jedoch seltenen Nebenwirkungen kombinierter hormonaler Kontrazeptiva. Eine Frau, die eine Pille mit einem Gestagen der 3. Generation, so z. B. mit Drospirenon oder mit Cyproteronacetat verwendet, hat nach mehreren Studien ein geringfügig höheres Risiko für eine Thromboembolie als bei Einnahme einer Zweitgenerationspille; entsprechend anderer Arbeiten ist allerdings ein identes Risiko gegeben. Entscheidend für das absolute Risiko sind die Prädisposition und das Alter der Frau. Vor jeder Verschreibung eines OH ist die Erhebung der Familien- und Eigenanamnese mit allen bekannten Risikofaktoren (z. B. Thromboembolien, kardiovaskuläre Ereignisse, arterielle Hypertonie, Migräne, Nikotinabusus, Hyperlipidämie oder östrogenabhängige Tumoren) durchzuführen. Diese Risikofaktoren sollten regelmäßig überprüft werden.

Risiko in der Schwangerschaft und post partum: Die Inzidenz von VTE ist in der Schwangerschaft altersabhängig und gegenüber gesunden, nicht-schwangeren Frauen ohne OH um den Faktor 4–8 signifikant erhöht. Sie liegt damit bei 8–40 Ereignissen/10.000 Schwangerschaften. Die Inzidenz von Lungenembolien wird mit 4,79/10.000 angegeben. Insgesamt ist in der Postpartalphase das Risiko 5-mal höher als bei Schwangeren (51,1 vs. 9,58/10.000 Schwangerschaften), unmittelbar postpartal wird die absolute Inzidenz auf über 200 VTE/10.000 Geburten geschätzt (etwa 80 % venös, 20 % arteriell). VTE sind für etwa 1,1 Todesfälle/100.000 Geburten verantwortlich, d. h. für 10 % aller mütterlichen Todesfälle. Auch das arterielle thromboembolische Risiko (Schlaganfälle und kardiale Ereignisse) steigt um das 3–4-Fache an.

ABSCHLIESSEND noch ein Hinweis: Bei Vorliegen von Risikofaktoren und bei Verdacht auf eine Thrombophilie sind, sofern keine nicht-hormonalen Methoden in Betracht kommen, orale Gestagen-Monopräparate oder ein Levonorgestrel-haltiges IUP vorzuziehen.

 

Quelle: Birkhäuser M. et al. Aktuelle Empfehlungen zur hormonalen Kontrazeption – 44. Arbeitstreffen des „Zürcher Gesprächskreises“ vom Mai 2010. Sonderdruck aus: J Gynäkol Endokrinol 2011 (Schweiz); 14 (1):3-11