XXVIII. Wissenschaftliche Tagung der AGO Österreich: „Krebs bei der Frau“ 2019

Auch heuer wieder haben vortragende ExpertInnen des Kongresses dankenswerterweise spannende Beiträge für unseren traditionellen Heftschwerpunkt zur AGO-Jahrestagung verfasst.
Mit der Jahrestagung 2019 findet auch ein Wechsel im AGO-Vorsitz statt. OA Dr. Christian Schauer, Barmherzige Brüder Graz, wird Univ.-Prof. Dr. Christian Marth folgen, der sich uns nach dem Ende seines langjährigen und erfolgreichen Wirkens als Präsident ein letztes Mal in dieser Funktion für ein einleitendes Interview zur Verfügung stellte.

GYN-AKTIV: Im Programm der diesjährigen AGO-Tagung nimmt das Zervixkarzinom breiten Raum ein. Welche neuen Entwicklungen gilt es zu diskutieren und welche Auswirkungen auf das Therapiemanagement dieser Tumorentität sind damit zu erwarten?

Univ.-Prof. Dr. Christian Marth: Eine zweifellos sehr folgenreiche Entwicklung betrifft die operative Therapie: Wir alle sind eigentlich davon ausgegangen, dass die minimal invasive Chirurgie (MIC) wie bei anderen Entitäten auch beim Zervixkarzinom eine klare Zukunft hat. Aus einer großen internationalen Studie, dem LACC-Trial (Ramirez P.T. et al., N Engl J Med 2018; 379:1895-1904), mussten wir nun lernen, dass es bei minimal invasiver Hysterektomie beim Zervixkarzinom nicht nur zu einer Zunahme der Rückfälle gekommen ist, sondern auch der Sterblichkeit um das 6-Fache. Besonders bemerkenswert war, dass die MIC nicht zu einer Verbesserung der Lebensqualität geführt hat – wie wir bei endoskopischem Zugang generell annehmen dürfen –, es zeigte sich in der Mobilität nach 2 Wochen zwar ein Unterschied, aber dann in weiterer Folge kein Lebensqualitäts-Vorteil. Der endoskopische Zugang bei Zervixkarzinom sollte also nicht mehr durchgeführt werden, das ist eine der ganz wichtigen Botschaften, die wir heuer überbringen wollen und sicher auch stark diskutieren werden.
Zum fortgeschrittenen Zervixkarzinom wird der diesjährige Wertheim-Preisträger Na­deem­ Abu-Rustum über sehr radikale Rezidivoperationen berichten, und mit Ana ­Oaknin aus Barcelona wird uns eine internationale Expertin über die weitere Entwicklung der Chemo- und Immuntherapie beim Zervixkarzinom informieren. Für die Zukunft besteht die Hoffnung, dass wir mit den Immun-Checkpoint-Inhibitoren auch beim Zervixkarzinom eine sehr wirksame Therapiestrategie zur Verfügung haben – es gibt Hinweise, dass das Zervixkarzinom ein exzellenter Kandidat für diese neue Therapieoption ist.

Zur Zervixkarzinom-Prävention: Die Teilnahmeraten am österreichischen HPV-Impfprogramm sind nach wie vor weit vom Ziel entfernt. Worin sehen Sie die Ursachen dafür und welche Maßnahmen müssten Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um diese prekäre Situation entscheidend zu verbessern?

Es gibt vielfältige Ursachen, aber als Haupt­ursache sehe ich eine sehr breite allgemeine Impfskepsis. Weiters zielt das Impfprogramm natürlich darauf ab, Schülerinnen und Schüler zu impfen, für die eine potenzielle Erkrankung so weit entfernt ist, dass eine akute Notwendigkeit für eine Impfung schwieriger zu kommunizieren ist. Es gibt auch große regionale Unterschiede. Wir haben in ­Tirol in den Schulen etwa 60 % Durchimpfungsrate, das ist zwar nicht ganz schlecht, aber weit entfernt von dem, wo wir hinwollen. Trotzdem hoffe ich weiterhin, dass es mit der Zeit besser wird.
Wichtig ist dabei, dass wir nicht müde werden, die Bedeutung der HPV-Impfung zu betonen – dass mit ihr die Möglichkeit besteht, einem wirklich gefährlichen Tumor vorzubeugen. Mit dieser Botschaft sollten wir nicht nur die Bevölkerung adressieren, sondern wir müssen dazu auch den impfenden ÄrztInnen wie SchulärztInnen, aber auch dem lehrenden Personal Fortbildungen anbieten.

Welche weiteren Inhalte werden bei diesem Kongress schwerpunktmäßig behandelt?

Neben dem Kernthema gibt es natürlich eine Reihe anderer aktuell wichtiger Themen im Tagungsprogramm, etwa die Qualitätssicherung in der gynäkologischen Onkologie. Zum einen müssen wir hier auf eine bessere Dokumentation drängen – es ist nach wie vor so, dass viele Zentren nicht an qualitätssichernden Maßnahmen teilnehmen. Zum zweiten ist natürlich die Zentralisierung in der gynäkologischen Onkologie ein Thema, mit dem wir uns intensiv auseinandersetzen: Spitzenleistungen sind nur bei entsprechender Trainingsfrequenz möglich. Es gibt dazu ein Statement der AGO Österreich, dass speziell Ovarialkarzinom-Patientinnen ausschließlich in spezialisierten Zentren behandelt werden sollten.
Ein weiterer wich­tiger Programmpunkt ist die Genetik und Tumorcharakterisierung. Die Frage stellt sich, ob die Histologie reicht oder wir zu jedem Tumor auch zusätzlich Informationen aus genetischen Untersuchungen – Stichwort „Liquid Biopsy“ – bzw. eigene molekulare Tumorboards brauchen, um Patientinnen einer optimalen Therapie zuzuführen.
Ein alljährlich wiederkehrender Tagungs-Fixpunkt ist natürlich das Mammakarzinom: heuer mit einem Update zur endokrinen Therapie, dem triple-negativen Mammakarzinom und prophylaktischen Operationen.

Die AGO engagiert sich im Bereich der Therapie gynäkologischer Tumoren auch mit einem umfangreichen Programm an klinischen Studien? Gibt es hier interessante Ergebnisse bzw. aktuelle Projekte?

Die AGO ist im Rahmen der ENGOT auch international in Studienprojekte eingebunden. Wir haben hier in den letzten Jahren Meilensteine gesetzt, wie den LION-Trial zur Wertigkeit der Lymphknotenentfernung beim Ovarialkarzinom, der prominent im NEJM publiziert wurde – und als akademische Studie auch mit Unterstützung durch die öffentlichen Hand ermöglicht worden ist. Wir wissen nun, dass es zwar wichtig ist, radikal zu operieren – die Ergebnisse dieser Studie sind aufgrund der strengen Selektion der teilnehmenden Zentren die besten, die jemals zum Ovarialkarzinom publiziert wurden –, eine Lymphknotenentfernung jedoch keinen wesentlichen zusätzlichen Vorteil bietet.
Eine weitere Studie, an der wir intensiv beteiligt waren, ist die DESKTOP-3-Studie, die die Nützlichkeit einer Zweitoperation beim Ovarialkarzinom-Rezidiv belegt. Und mit einer sehr rezent auf der SGO-Tagung 2019 auf Hawaii präsentierten Studie konnten wir mit dem Regime aus Carboplatin/pegyliertem liposomalem Doxorubicin + Bevacizumab einen neuen Standard in der Rezidivtherapie des OC definieren.
Ein sehr innovatives Projekt, zu dem gerade die Patientinnen-Rekrutierung anläuft, ist eine weltweite Zulassungsstudie unter Federführung der AGO Österreich als Leading Group und Principal Investigator, mit der wir beim Endometriumkarzinom eine Immuntherapie kombiniert mit einem Angiogenese-Inhibitor mit einer konventionellen Chemotherapie vergleichen.

Mit der diesjährigen Jahrestagung geben Sie die Funktion als AGO-Präsident weiter, die Sie nun insgesamt 4 Jahre – interimistisch auch in den letzten beiden Jahren – ausgeübt haben. Sie überblicken die Entwicklung der AGO in leitender Funktion damit über einen langen Zeitraum. Ihr Resümee?

Der Beginn der Erfolgsgeschichte der AGO Österreich reicht weit vor meine Präsidentschaft zurück, sie lässt sich damit natürlich nicht an Einzelpersonen festmachen. Dank der Arbeit eines exzellentes Teams, einer Gruppe von motivierten und engagierten gynäkologischen OnkologInnen, hat die AGO als Repräsentantin der österreichischen ­Gynäkoonkologie in den letzten Jahren auf dem internationalen Parkett Fuß gefasst und ist mittlerweile weltweit ausgezeichnet positioniert: Man kennt die AGO Austria – wir werden als willkommene Partner zu allen großen internationalen Studien eingeladen und sind in vielen Kooperationen präsent. Ich bin überzeugt, dass Christian Schauer als neuer Präsident diese Entwicklung erfolgreich weitertragen wird.

Die wichtigsten Aufgaben für die AGO als Fachgesellschaft in den nächsten Jahren?

Es ist entscheidend, dass das, was initiiert worden ist, weitergelebt wird: dass wir uns national in der Fortbildung und Ausarbeitung von Leitlinien und der Durchführung von Studien engagieren, dass aber auch der Fokus auf die internationale Vernetzung bestehen bleibt und weitergeführt wird.