Diätmaßnahmen als primäre Metaphylaxemaßnahmen bei Nephrolithiasis

Im europäischen Raum hat sich sowohl die Prävalenz als auch die Inzidenz der Nephrolithiasis in den letzten Jahren vervielfacht. Da es sich bei rund drei von fünf der Steinepisoden um Rezidive handelt, ist es wichtig, Patienten eine entsprechende Metaphylaxetherapie anbieten zu können.

Neben konstitutionellen, metabolischen und genetischen Faktoren stellt die Lebensweise in unserer Wohlstandsgesellschaft, allen voran die inadäquate Ernährung, einen Hauptrisikofaktor dar (S2-Leitlinien Harnsteine der Deutschen Urologen. Urologe A 2009).

Nach der Steinanalyse sind Ernährungsanamnese und Harnanalyse die wichtigsten Grundlagen der Rezidivprophylaxe. Diätempfehlungen bei Nierensteinen gestalten sich aus wissenschaftlicher Sicht schwierig, da erstens die Zahl randomisierter kontrollierter Studien insgesamt gering ist und zweitens der Fokus bei Kalziumoxalatsteinen liegt, während nur spärliche Daten zu anderen Steinarten vorliegen (Abb. 1).

 

 

Ernährungsanamnese

 

Eine genaue Ernährungsanamnese in Form eines mehrtägigen Ernährungsprotokolls sollte idealerweise von einer geschulten Diätologin durchgeführt werden. Die Harnanalyse spiegelt zumeist die Ernährungsweise der Patienten wider (z. B. Kochsalzausscheidung) und unterstützt die Ergebnisse der diätologischen Evaluation. Zusätzlich kann im Rahmen der diätologischen Therapie gezielt auf einzelne Risikoparameter im Harn eingegangen werden (z. B. Zufuhr an Alkali bei Hypozitraturie).

 

Diätologische Therapie alAllgemeinmaßnahme bei unbekannter Steinart

 

Für Patienten, bei denen keine Steinanalyse möglich war oder bei denen keine besonderen Risikofaktoren gefunden werden, sind dennoch mehrere Allgemeinmaßnahmen zur Metaphylaxe möglich.

Empfohlen wird der Konsum von 2,5–3 l harnneutralen Getränken täglich, zirkadian verteilt, besonders auch vor dem Zu- Bett-Gehen, um Konzentrationsspitzen zu vermeiden. Das spezifische Gewicht des Harns sollte unter 1,010 kg/l liegen. Ziel ist eine einmal nächtliche Nykturie. Nicht nur die Zufuhr der optimalen Flüssigkeitsmenge ist entscheidend, zu einer erfolgreichen Metaphylaxe sollte in erster Linie eine ausreichende Diuresemenge von über 2 Liter täglich angestrebt werden.

Die Ernährung sollte sich ausgewogen, ballaststoffreich und möglichst ovolactovegetabil gestalten. Es wird eine tägliche Kalziumzufuhr von 1–1,2 g und eine tägliche Eiweißzufuhr von 0,8 g/kg Körpergewicht angeraten. Es ist ein BMI zwischen 18 und 25 kg/m2  anzustreben und auf eine adäquate körperliche Betätigung zu achten. Gleichzeitig sollen hohe Flüssigkeitsverluste ausgeglichen werden.

Da eine Zufuhr von rasch resorbierbaren Kohlenhydraten über die Insulinausschüttung zu einer Hyperkalziurie führt, ist diese möglichst zu vermeiden.

 

Praktische Umsetzung der Ernährungstherapie bei idiopathischen Kalziumoxalatsteinen 

 

Getränkeempfehlungen

Harnneutrale Getränke, die den Harn-pH-Wert weder erhöhen noch senken, wie Wasser, Früchte- und Kräutertees sind ohne Einschränkung empfohlen. Zur erwünschten Harnalkalisierung bei Kalziumoxalatsteinen eignen sich einige Mineralwässer (Abb. 2) und verdünnte Frucht- und Gemüsesäfte. Auch ungezuckerte Molke ist aufgrund des Kalziumsgehaltes als protektiv anzusehen. Vermieden werden sollten zuckerreiche Getränke, wie z. B. Limonaden oder Sirup, ungeeignete Mineralwässer, insbesondere jene mit hohem Natrium- und Sulfatgehalt sowie niedrigem Hydrogenkarbonatgehalt. Weiters sind oxalsäurereiche Getränke, wie Rote-Rüben-Saft, Kakao sowie Sojagetränke aufgrund des hohen Eiweißgehaltes zu vermeiden. Eine beschränkte Empfehlung kann für alkoholische Getränke (m/w: 20/10 g Alkohol/Tag) und koffeinhältige Getränke augesprochen werden. Hierbei sollte die Tagesdosis von 250 mg Koffein nicht überschritten werden (entspricht ca. 2–3 Tassen Filterkaffee oder 3 Energydrinks bzw. 4–5 Espresso). Bedeutend ist der Flüssigkeitsausgleich aufgrund der diuresefördernden Wirkung von Alkohol und Koffein.

 

 

Kalziumausscheidung über den Urin

 

Um der Rezidivsteinbildung vorzubeugen, sollte die Kalziurie im 24-h-Harn unter 5 mmol gesenkt werden. Dazu ist eine Kalziumzufuhr von 1.000–1.200 mg täglich, eine Eiweißzufuhr von 0,8 g/kg Körpergewicht und eine maximal Salzzufuhr von 5–6 Gramm täglich anzustreben. Eine erhöhte Eiweißzufuhr („acidic load“) führt zu einer erhöhten Kalziurie und hemmt gleichzeitig die Citraturie, beides Faktoren, die offensichtlich mit erhöhtem Steinbildungsrisiko assoziiert sind (Curhan GC, NEJM 1993). Entgegen früherer Annahme weiß man heute, dass eine kalziumhältige Diät das Steinbildungsrisiko reduziert (Curhan GC, NEJM 1993; Borghi L, NEJM 2002). Das ist auf die enterale Oxalatbindung zurückzuführen. Möglicherweise enthalten Milchprodukte andere Inhibitoren, die das Steinbildungsrisiko zusätzlich reduzieren können.

Laut den Daten entwickeln ältere Frauen um etwa 20% mehr Steine als jüngere Frauen (Curhan GC, Ann Intern Med 1997), was darauf zurückzuführen sein dürfte, dass diese das Kalzium nicht über die Nahrung, sondern in Form von Kalziumsupplementen zwischen den Mahlzeiten zu sich nehmen.

Über die Nahrung werden ohne Zufuhr von klassischen kalziumreichen Lebensmitteln durchschnittlich 500 mg Kalzium aufgenommen. Um die Zufuhr von 1.000–1.200 mg Kalzium täglich zu gewährleisten, sind additiv Kalziumträger nötig. Empfohlen sind 1,5 l Mineralwasser (Long life) plus 100 g Frischkäse oder 250 ml Joghurt oder 300 ml Molkegetränk. Weich-, Schnitt- oder Hartkäse sind aufgrund des hohen Natriumgehaltes mäßig empfehlenswert.

 

Oxalatausscheidung über den Urin

 

Das Ziel der Ernährungstherapie liegt darin, die Oxalsäureausscheidung auf unter 0,5 mmol im 24-h-Harn zu senken. Um das zu erreichen, sollte möglichst auf oxalsäurereiche Lebensmittel verzichtet und auf eine ausreichende Kalziumzufuhr von 1.000–1.200mg täglich sowie auf eine ausreichende Magnesiumzufuhr geachtet werden. Die genaue Rolle der enteralen Oxalsäurezufuhr in der Pathogenese der Nierensteinbildung ist nach wie vor nicht restlos geklärt. Einerseits scheint eine vermehrte Produktion, andererseits auch eine enterale Hyperabsorption eine Rolle zu spielen. Die Oxalsäureabsorption liegt zwischen 10 und 50% und ist umso höher, je weniger Oxalsäure zugeführt wird Außerdem scheint die Bioverfügbarkeit in den unterschiedlichen Nahrungsmitteln sehr variabel zu sein (Holmes RP, Urol Res 2004).

Oxalobacter formigenes, ein physiologisch vorkommender Mikroorganismus im Darm, der zwei oxalatabbauende Enzyme aufweist und Oxalat als Hauptenergiequelle nutzt, scheint beim Oxalatabbau ebenfalls eine Rolle zu spielen (Hatch M, KI 2006).

Rezenten Daten zufolge dürfte Oxalat keinen „major risk fac- tor“ für die Nephrolithiasis darstellen (Taylor EN JASN 2007). Folglich gilt die limitierte Zufuhr von oxalsäurereichen Lebensmitteln mit einem Oxalsäuregehalt von 10–50 mg/100 g nur für Patienten mit Nephrolithiasis und Hyperoxalurie. Sehr oxalsäurereiche Lebensmittel mit einem Oxalsäuregehalt von mehr als 50 mg/100 g sind Schokolade, Rote Rüben, Bambus- sprossen, Kakao, Rhabarber, Mangold, Portulak oder Karambole.  Nicht  nur der Oxalsäuregehalt  der Nahrungsmittel, sondern vor allem auch die Häufigkeit des Konsums und die konsumierten Mengen sind zu beachten.

 

Salzzufuhr

 

Eine erhöhte Salzzufuhr führt zu einer verminderten tubulären Natrium-Reabsorption, die wiederum die Kalziurie fördert. Aus randomisiert kontrollierten Studien geht hervor, dass die limitierte Salz- und Eiweißzufuhr ein Rezidivgeschehen verhindert (Borghi L, NEJM 2002). Die empfohlene tägliche Salzmenge von 5–6 g sollte idealerweise nicht überschritten werden. Problematisch erweist sich zumeist der versteckte Salzgehalt in Lebensmitteln, wie Brot, Fertiggerichten, Suppenwürfeln, Wurst und Käse. Die Empfehlungen sind dahingehend, dass mehr natürliche Salzersatzmittel, wie Kräuter, Gewürze, salzlose Gewürzmischungen sowie aromatische Gemüsesorten zum Einsatz kommen sollten.

 

Urin-pH und Citraturie

 

Um einen Harn-pH > 6,5 bzw. eine Citraturie > 2.500 mmol im 24-h-Harn zu erreichen, muss die Eiweißzufuhr auf 0,8 g/kg Körpergewicht beschränkt werden. Gleichzeitig ist auf eine ausreichende Zufuhr von kalium- bzw. citratreichen Lebensmitteln zu achten. Eine Hypokaliämie erhöht die tubuläre Citratreabsorption und auch die Kalziurie. Um dem entgegenzuwirken, kann eine kaliumreiche Kost („alkali load“) die Citratausscheidung, und somit einen wesentlichen Inhibitor der Steingenese, positiv beeinflussen.

Empfohlen werden täglich drei Stück Obst, drei Portionen Gemüse (Cave: oxalsäurehältige Sorten), verdünnte Frucht- und Gemüsesäfte sowie mäßig Trockenfrüchte. Weitere kaliumreiche Lebensmittel, wie Nüsse, Kakao, Schokolade oder Hülsenfrüchte, können aufgrund anderer Inhaltsstoffe (Fett, Oxalsäure, Zucker, Eiweiß) nicht generell empfohlen werden. Diese Empfehlung gilt auch für Patienten mit Harnsäuresteinen.

 

Harnsäureausscheidung über den Urin

 

Ziel sollte es sein, die Urikosurie im 24-h-Harn unter 4 mmol zu senken. Dazu ist eine purinarme Kost (keine Innereien, Fleischextrakte, Geflügel- und Fischhaut, Sprotten, Muscheln, Sardinen, Hering und Räucherfischen) nötig. Als Basis wird eine vorwiegend ovolaktovegetabile Kost mit beschränkter Alkoholzufuhr empfohlen. Diese Empfehlung gilt selbstverständlich auch für Patienten mit Harnsäuresteinen.

Magnesiumausscheidung über den Urin

 

Die Magnesiumausscheidung im 24-h-Harn sollte auf > 3 mmol angehoben werden. Dies wäre zum Beispiel über magnesiumrei- che Lebensmittel bzw. Getränke realisierbar. Der Normalbedarf liegt bei 350 mg für den Mann und bei 300 mg für die Frau. Bei erhöhtem Bedarf, wie es hier der Fall ist, liegt der Tagesbedarf bei 650 mg für den Mann und 600 mg für die Frau. 1,5 Liter Long- Life-Mineralwasser decken diesen zusätzlichen Bedarf.

Als besonders magnesiumreiche Lebensmittel wären auch Amaranth, Quinoa, Hirse, Wildreis oder Obstsorten, wie Kaktusfeige, Papaya, bzw. Gemüsesorten, wie Brennnessel, Kohlrabi, Sellerie oder Sauerrampfer zu nennen. Weitere magnesiumreiche Lebensmittel, wie Nüsse, Samen, Schokolade, Kakao können aufgrund anderer Inhaltsstoffe (Fett, Oxalsäure) nicht generell empfohlen werden.

 

Vitamin-CZufuhr

 

Da Ascorbinsäure zu Oxalat metabolisiert wird, spielt die Erhebung des Vitamin-C-Konsums in der Anamnese eine wichtige Rolle. Laut den Daten von Traxer et al. (J Urol 2003) steigert eine Zufuhr von 2-mal 1.000 mg Ascorbinsäure täglich die Oxalurie  um etwa 22%.

Folglich sollten insbesondere Kalziumsteinbildner mit Hyperoxalurie keine Vitamin-C-Präparate einnehmen.

Die empfohlene Tagesdosis von Ascorbinsäure liegt bei etwa 100 mg. Exzessiv hohe diätetische Mengen können hauptsächlich über Acerolasaft (1.000 mg Vitamin C/100 g) konsumiert werden, der aber in unseren Breiten nicht allzu verbreitet ist.

 

Verlaufskontrolle

 

Anhand der Harnanalysen sollte halbjährlich bis jährlich die Diätcompliance überprüft werden und gegebenenfalls eine neuerliche Beratung erfolgen. Die ursprünglich für Hypertoniepatienten entwickelte DASH-Diät repräsentiert am besten die empfohlene diätologische Strategie bei Patienten mit Kal- ziumoxalatsteinen. Neuere Studien konnten zeigen, dass damit ein signifikanter Anstieg der Citraturie und der Harnmenge und somit auch eine Senkung der Rezidivrate erreicht werden kann (Taylor EN, JASN 2009; Taylor EN. CJASN 2010).

 

 

 NEPHRO Spot     Unter den Risikofaktoren der Nierensteinerkrankung spielt die Ernährung eine entscheidende Rolle. Individuell auf das biochemische Risikoprofil abgestimmte ernährungsmedizinische Maßnahmen können die Rezidivrate deutlich reduzieren. Eine bedarfsgerechte Ernährung, entsprechend den Empfehlungen für Patienten mit Nephrolithiasis, ist die Basis einer erfolgreichen Rezidivprophylaxe bei Nierensteinen. Bei idiopathischen Steinträgern sollte also die medikamentöse Therapie erst nach Versagen der diätetischen Maßnahmen erwogen werden.