Prinzipien der interventionellen Steinbehandlung

Die interventionelle Nierensteintherapie hat sich in den 1980er-Jahren grundlegend verändert. Waren die Therapieoptionen davor auf schnittoperatives Vorgehen oder die Schlingenextraktion beschränkt, standen plötzlich die ESWL (extrakorporale Stoßwellentherapie) und endourologische Therapieverfahren, später auch die Laparoskopie zu Verfügung. Diese Methoden werden bis heute laufend weiterentwickelt. Die Indikation zur interventionellen Steinentfernung und die Wahl des Therapieverfahrens  wurden und werden kontinuierlich an die technische Entwicklung angepasst

Indikation zur interventionellen Harnsteintherapie

 

Die klinische Symptomatik von Nierensteinen unterscheidet sich deutlich von jener von Uretersteinen. Bei Letzteren steht meist die eindrucksvolle, akute Symptomatik mit Koliken oder gar septischem Erscheinungsbild im Vordergrund. Uretersteine können aber auch klinisch stumm sein und ohne Symptome sogar zu einer Hydronephrose führen.

 

Uretersteine

 

Die meisten bei Diagnosestellung bereits im Ureter liegenden Harnsteine gehen spontan ab. Dies kann durch eine medikamentös-expulsive Therapie (MET) unterstützt werden; dafür werden heute vorwiegend a-Rezeptorblocker (Tamsulosin, off label) und NSAR (Diclofenac o.ä.) eingesetzt.

Indikationen zur Intervention sind

• Steine mit geringer Wahrscheinlichkeit für einen Spontanabgang (mit  oder ohne MET)

• anhaltende Symptomatik trotz medikamentöser Therapie

• anhaltende Obstruktion

• renale Funktionsbeeinträchtigung (insbesondere bei Einzelniere und beidseitigen Uretersteinen etc.)

 

Nierensteine

 

Klinisch sind Nierensteine meist weniger auffällig als Uretersteine. Sie verursachen selten Beschwerden und werden meist bei der Abklärung einer Mikrohämaturie  oder rezidivierender Harninfekte diagnostiziert oder sie fallen bei einer Ultraschalluntersuchung auf. Eine Indikation zur aktiven Steinbehandlung ergibt sich bei

• Steinwachstum

• Steinen bei Patienten der Hochrisikogruppe der Steinbildner

• Obstruktion

• Infektionen

• Symptomatik (z. B. Makrohämaturie, Lendenschmerz etc.)

• Steinen über 15 mm

• Steinen unter 15 mm, wenn Observanz keine

Option darstellt

• Patientenwunsch (medizinische und soziale Situation)

• mehr als 2–3  Jahre persistierenden Steinen

• und wenn die Chemolyse nicht zielführend ist: Nur reine Harnsäuresteine können durch medikamentöse pH-Ver- schiebung auf Werte um pH 6,8 bis 7,2 lysiert werden. Diese Steine sind im CT, nicht aber im konventionellen Röntgen schattengebend. Das Harn-pH-Profil zeigt ohne Therapie eine Säurestarre mit pH-Werten < 6.

 

Therapieverfahren

 

Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie  (ESWL)

 

Die erste Behandlung am „Nierensteinzertrümmerer“ fand 1980 in München statt. Die Entwicklung kam aus der Forschung der Luftfahrtindustrie. Stoßwellen werden dabei so fokussiert, dass der höchste Druck in einem Bereich um 0,5–2 cm entsteht. Mit der Bildgebung (Röntgen und/oder Ultraschall) wird dieser Fokus auf den zu behandelnden Stein ausgerichtet. Zur Minimierung von Energieverlusten bei der Übertragung in den Körper wurde anfangs Wasser verwendet. In den Geräten der

1. Generation wurden die Patienten in einer überdimensionalen, wassergefüllten Badewanne auf eine Liege gelagert, die zur exakten Steinlokalisation elektrohydraulisch bewegt werden konnte. Heute wird zur Ankoppelung Ultraschall-Gel verwendet. Entgastes Wasser findet sich nur mehr in handlichen Therapieköpfen, in denen die Stoßwellen erzeugt werden (Abb. 1 A + B). Die Forschung konzentriert sich heute vor allem auf die ideale Energie im Fokus.

War am Anfang eine ESWL nur unter Vollnarkose möglich, so kann heute meist in Sedoanalgesie oder ohne Medikation behandelt werden. Die laufenden Kontrollen der exakten Positionierung, eine ausreichende Analgesie, die exakte Ankoppelung des Therapiekopfes an den Patienten unter Vermeidung von Lufteinschlüssen und eine Stoßwellenfrequenz von höchstens 90/Minute garantieren beste Ergebnisse.

 

 

Ureterorenoskopie (URS)

 

Drei Faktoren beeinflussen die Entwicklung der Ureteroreno- skopie:

• Die Weiterentwicklung  der Instrumente: Es stehen immer dünnere, flexible und semirigide Instrumente zur Verfügung, mit immer besseren Optiken und Kameras für die Übertragung der endoskopischen Bilder inklusive der „Chip on the tip“-Technologie mit einer winzigen Kamera an der Instrumentenspitze.

Zwei LED-Leuchten an der Spitze flexibler Endoskope ermöglichen eine gute Ausleuchtung. Damit ist keine externe Lichtquelle mit dicken Glasfasern nötig, was die Gerätehandhabung vereinfacht.

• Die Entwicklung zusätzlicher Techniken für die intrakorporale Steindesintegration: Heute werden in semirigiden Ureterorenoskopen hauptsächlich US-Sonden und pneumatische Lithotriptoren verwendet – in flexiblen Geräten insbesondere der Holmium: Yttrium-Aluminium-Garnet (Ho:YAG-Laser). Dieser wird in der Urologie nicht nur zur intrakorporalen Lithotripsie eingesetzt, sondern auch für die Schlitzung von Strikturen, die Abtragung bestimmter Tumoren und Kondylome und zur Therapie der BPH. Dementsprechend rasch verbreitet sich diese Technik an den urologischen Abteilungen. Die dünne und biegbare Faser mit einer Dicke von 230–800 µm erlaubt das Einführen auch durch die dünnen Arbeitskanäle flexibler Ureterorenoskope.

• Die Entwicklung neuer Extraktionsinstrumente in Form verschiedener Steinkörbchen und  Fasszangen unter anderem aus Nitinol (Nickel-Titanium-Legierung). Nitinol ermöglicht die Herstellung von Körbchen mit sehr geringer Wandstärke und hoher Flexibilität und Elastizität, die sich die Endothelwand anpassen. Auch die Ausführung in einer gewebeschonenden „Tipless-Form“, also ohne Spitze, ist möglich. Notfalls können diese Körbchen mit dem Ho:YAG-Laser aufgeschnitten werden, falls sie im Gewebe hängen bleiben.

Ist ein mehrfaches Einführen des Ureterorenoskops absehbar, kann dies durch ein access-sheath erleichtert werden, das als Schleuse für die Endoskope dient. Es ist in Längen von ca. 20–55 cm, für pädiatrische Patienten auch kürzer, erhältlich. Das access-sheath wird über einen zystoskopisch in den Ureter vorgelegten Führungsdraht eingeführt und kann bei Bedarf bis in den proximalen Ureter vorgeschoben werden. Steinfragmente nach Desintegration können so einzeln aus dem Nierenhohlsystem extrahiert werden, ohne weitere Traumatisierung der Ureterwand durch die wiederholte Einführung des Endoskops.

Die Ureterorenoskopie wird heute mehr denn je ihrem Namen gerecht: für Harnleiter und Niere. Theoretisch sollten alle Anteile des Nierenhohlsystems mit flexiblen Geräten erreichbar sein. So können auch Kelchsteine mit flexibler Ureterorenoskopie behandelt werden. Heute steht „RIRS“ für „Retrograde Intrarenal Surgery“ und weist auf das erweiterte Einsatzgebiet hin.

 

Perkutane Nephrolitholapaxie (PCNL)

 

Der Entwicklung perkutaner Zugangstechniken in die Niere begann um 1955. Die erste Nierenendoskopie unter Verwen- dung eines Bronchoskops wurde 1955 publiziert (Harris RD et al., Percutaneous nephroscopy using fiberoptic bronchos- cope: removal of renal calculus. Urology. 1975 Sep; 6(3):367–9.). Zehn Jahre später war die PCNL zum Routineeingriff geworden. Die hauptsächlich verwendeten starren Nephroskope weisen eine Stärke bis 28 Ch auf. Damit sind möglichst große Arbeitskanäle für Geräte und zur Extraktion von Steinteilen verfügbar. Auch bei der PCL hat der Trend zur Miniaturisierung dazu geführt, dass dünnere Geräte ab 15 Ch. nicht nur für pädiatrische Patienten, sondern auch bei Erwachsenen eingesetzt werden. Der dafür verwendete Ausdruck „Mini-PCNL“ ist nicht klar definiert.

Die Vorteile der „Mini-PCNL“ dürften in einer verringerten Morbidität und postoperativen Schmerzsymptomatik liegen, die Nachteile in eventuell verlängerter Operationszeit wegen des kleineren Arbeitskanals. Der Einsatz dieser dünneren Geräte dürfte sich auf Konkremente in divertikelartigen Kelchen, Kelchdivertikelsteine oder auf für die ESWL ungünstige kaudale Kelchsteine konzentrieren. Bei komplexen Nieren(ausguss)steinen können mehrer Zugangs- wege über unterschiedliche Nierenkelche notwendig werden, um alle Steine zu erreichen. Der Einsatz flexibler Endoskope oder eine kombiniertes Vorgehen mit simultaner Ureterorenoskopie kann das Auffinden solcher versteckter Steinteile erleichtern und weiterer Punktionen vermeiden helfen.

Am Ende einer PCNL  wird  häufig eine Ureterschiene eingesetzt. Die Enden dieses „Drainageröhrchens“ ringeln sich im Nierenbecken und in der Blase auf Grund ihrer Elastizität ein und bleiben so leichter in Situs. Diese Form hat ihnen auch die Bezeichnungen Doppelringelschwanzkatheter, double pigtail oder JJ-Stent eingebracht. Auch wenn kleine Restfragmente oder ein Ödem den Harnabfluss stören könnten, ist so die Drainage sichergestellt. In den perkutanen Zugangsschacht wird zusätzlich eine Nephrostomie eingelegt, die meist nach 1–3 Tagen entfernt wird. Die Ureterschiene muss innerhalb von drei Monaten entfernt werden. Da sie von außen nicht sichtbar ist, ist eine penible Observanz der Patienten bis nach der Splintextraktion nötig (Abb. 2).

Bei komplikationsloser PCNL kann auf die Einlage der Nephrostomie und eventuell auch der Ureterschiene verzichtet werden. Dies wird in der Literatur als „tubeless“ beziehungsweise „completely tubeless“ bezeichnet.

 

 

Offene und laparoskopische Operation

 

Mit der Einführung der ESWL und der Endourologie zwischen 1980 und 1990 ist die offene Lithotomie schlagartig vom Operationsplan verschwunden. Heute besteht die Indikation zur offenen Operation nur wenn das Therapieziel mit ESWL und Endourologie nicht bzw. nur mit mehreren Therapieschritten erreicht werden kann. Beispiele dafür sind komplette, dendritische Ausgusssteine oder die Therapie einer Begleitpathologie zusammen mit der Steinentfernung. Hinzugekommen ist die Möglichkeit der laparoskopischen Umsetzung einer offenen Operation.

 

Welche Technik für welchen Stein?

 

Ist die Indikation zur interventionellen Steinentfernung gegeben, sind folgende Faktoren für die Wahl des Verfahrens maßgeblich:

• Größe, Position und Röntgendichte des Steins und somit auch dessen Ortbarkeit bei einer eventuellen ESWL,

• die Anatomie des Harntraktes,

• der Grad einer eventuellen Obstruktion,

• die Anamnese z. B. bezüglich früherer Steinabgänge und deren Größe, die aktuelle Symptomatik, Voroperationen am Urogenitaltrakt,

• der klinische Verlauf und Komorbiditäten des Patienten inklusive Anästhesierisiko für eventuelle PCNL oder URS sowie die

• berufliche und private Lebenssituation des Patienten.

Zur Entscheidung ist daher nicht nur die Diagnosesicherung mit Ultraschall, Röntgen „Niere leer“ oder Nativ-Computertomographie nötig, sondern auch die Kenntnis der Nieren- hohlsystemanatomie (Kontrastmitteldarstellung).

Der höheren Invasivität endourologischer Verfahren (PCNL, URS) steht die schnellere Steinfreiheit im Vergleich zur ESWL gegenüber. Die publizierten Daten zeigen für viele Situationen von Harnsteinen gleichwertige Ergebnisse bezüglich Kompli- kationen oder Spätfolgen der gewählten Therapie. Mit dem Patienten muss das endourologische Therapieverfahren (URS, PCNL) mit Invasivität und Narkose gegen eine ESWL mit längerer Zeitspanne bis zur Steinfreiheit abgewogen werden.

Die Empfehlungen zur Wahl der Therapieform sind, abhängig von Steingröße und -lage, in der Tabelle dargestellt. Die ESWL ist die Methode der 1. Wahl bei allen Nieren- und Uretersteinen bis zu einem Durchmesser von 2 cm bzw. 1 cm. Im distalen Ureter sind Steine mittels URS einfacher zu erreichen, was diese Methode auch für kleinere Steine in dieser Lage interessant macht (Tabelle A + B).

Eine Sonderstellung unter den Nierensteinen nehmen die kaudalen Kelchsteine ein. Je nach der Anatomie des Kelchhalses kann der Fragmentabgang aus dieser Position mehr oder weniger erschwert sein. Daher kann ab einer Steingröße von ca. 1 cm die PCNL als gleichwertig zur ESWL angesehen werden. Vermehrt wird auch die Ureterorenoskopie („RIRS“) zur Therapie von kaudalen Kelchsteinen eingesetzt. Da die Fragmente extrahiert werden müssen, ist der Einsatz dieses Verfahrens auf kleinere Steine beschränkt.

 

 

Besondere Situationen

 

Ausgusssteine

 

Komplette Ausgusssteine stellen wegen ihres großen Steinvolumens und ihrer Genese eine Herausforderung für den Urologen dar. Ureaseproduzierende Harnkeime (unter anderen Proteus spp., Morganella morganii, Providentia retgeri, Corynebacterium urealyticum fakultativ auch Enterobacter, Kleb- siella, Pseudomonas, Serratia, Staphylococcus spp.und E. coli) fördern die Bildung von Apatit- und Struvitsteinen sowie von besonders großen Steinen, können Ursache für plötzliche Urosepsis sein und verursachen gefährliche Komplikationen bei der Steinentfernung. Nur bei kleiner Steinmasse oder pädia- trischen Patienten ist eine primäre ESWL die Methode der 1. Wahl. In der großen Mehrzahl der Fälle kommen PCNL oder offen-chirurgisches Vorgehen zur Anwendung (Tabelle, C).

 

Steine in Transplantatnieren und Beckennieren

 

Die Lage dieser Nieren erschwert den therapeutischen Zugang. Bei Transplantatniere kommen erschwerend die Immunsuppression, die funktionelle Einnierigkeit und die operationsbedingten Vernarbungen dazu. Selten ist eine ESWL (+ Ureterschienung bei Transplantatniere) möglich, meist erfolgt die Steinbehandlung mit endourologischen Verfahren. Die offene Operation oder laparoskopische Lithotomie sind gute Alternativen. Die Entscheidung zwischen den Therapieoptionen muss im Einzelfall getroffen werden.

 

Steine während der Schwangerschaft

 

Während der Schwangerschaft ist das lithogene Potenzial des Urins größer, Steine also häufiger. Diagnostisch sollte eine Röntgenexposition möglichst vermieden werden. Die Thera- pieentscheidung ist in Kooperation mit dem Gynäkologen teilweise ohne direkten Steinnachweis gerechtfertigt und richtet sich hauptsächlich nach den Symptomen. Symptomatik und Harnstauung können durch die (ultraschallkontrollierte) Ein- lage einer Ureterschiene kontrolliert werden, die definitive Diagnostik und Steinbehandlung wird erst nach der Entbindung durchgeführt. In seltenen Fällen ist eine Ureterorenoskopie das Mittel der Wahl. Eine ESWL ist während der Schwangerschaft kontraindiziert.

 

Steine bei Kindern

 

Pädiatrische Patienten zählen per primam zu den Hochrisiko- Steinpatienten. Neben der Harnsteintherapie ist daher eine der Steinanalyse entsprechende, erweiterte metabolische Diagnostik anzuschließen. Zur interventionellen Steintherapie können grundsätzlich alle Verfahren analog zu den Erwachsenen eingesetzt werden. Die Transportkapazität des Harnleiters ist bei Kindern größer, der Fragmentabgang nach ESWL daher erleichtert. Die (ultraschallkontrollierte) ESWL hat daher einen hohen Stellenwert selbst bei größeren Nierensteinen und bei Uretersteinen. Grundsätzlich erlauben die heute zur Verfügung stehenden Instrumente aber auch problemlos PCNL und URS bei Kindern.

 

 

NEPHRO Spot

Viele Nierensteine gehen spontan ab. Dies kann mit medikamentös-expulsiver Therapie (MET) gefördert werden. Dafür werden heute weltweit  häufig a-Rezeptorblocker (Tamsulosin, off label) verwendet. Ist die Indikation zur interventionellen Harnsteinentfernung gegeben, stehen heute ESWL (extrakorporale Stoßwellentherapie), endourologische Verfahren mit flexiblen oder semirigiden Ureterorenoskopen (URS, RIRS für „retrograde intrarenal surgery“) und die perkutane Nephrolitholapaxie  (PCNL) zur Verfügung. In sehr seltenen Fällen ist ein offen-chirurgischer oder laparoskopischer Eingriff nötig. Die Wahl des Therapieverfahrens hängt hauptsächlich von der Größe der Steine und deren Lage im Nierenhohlsystem und dessen Anatomie ab.

Immer weitere  technische Verbesserungen einerseits sowie veränderte Vergütungssituationen andererseits drängen uns zu laufenden Anpassungen der einzusetzenden Therapiemodali- täten.