Epidemiologie von Harnwegsinfektionen

Obwohl Harnwegsinfektionen (HWI) zu den häufigsten Infektionen gehören und die Folgen bezüglich Morbidität beträchtlich sind, ist die Literaturlage zur Epidemiologie in einzelnen Bereichen nicht sehr umfangreich.
Aus Gründen des praktischen Umgangs sowie der Relevanz ist es sinnvoll, zwischen einer asymptomatischen Bakteriurie und symptomatischen Harnwegsinfektionen zu unterscheiden.
Bei symptomatischer Bakteriurie besteht zumeist, mit Ausnahme der Schwangerschaft und eines bevorstehenden urologischen Eingriffs, im Gegensatz zu den symptomatischen Harnwegsinfektionen keine Behandlungsindikation.

Asymptomatische Bakteriurie

Harn ist normalerweise steril; nur im Bereich der distalen Urethra können unter physiologischen Bedingungen Bakterien gefunden werden. Bakteriurie und Harnwegsinfekte können, müssen aber nicht assoziiert sein.
Eine asymptomatische Bakteriurie ist nach den Kriterien der Guidelines der Infectious Diseases Society of America (IDSA, 2005) definiert als der Nachweis einer Bakteriurie im Ausmaß von ≥ 105 colony-forming units (cfu)/ml in einer angemessen gewonnenen Harnprobe eines diesbezüglich asymptomatischen Patienten. Als angemessen gewonnene Harnprobe gilt beim Mann eine einmalige spontane Harnprobe, bei der Frau dagegen wegen des höheren Kontaminationsrisikos eine zweimalige konsekutive Harnprobe mit demselben Keimnachweis oder eine einmalige Einmalkatheter-Harnprobe.

Prävalenz: Die Prävalenz der asymptomatischen Bakteriurie variiert je nach Geschlecht, Alter und Begleiterkrankungen außerordentlich stark. Während die asymptomatische Bakteriurie bei jüngeren Männern kaum angetroffen wird, liegt ihre Prävalenz bei jüngeren Frauen zwischen 1 % und 2 %, bei Frauen im Alter zwischen 65 und 90 Jahren zwischen 6 % und 16 % und bei Frauen im Alter von mehr als 90 Jahren zwischen 22 % und 43 %. Bei Männern über 65 Jahren findet man bei 5 % bis 21 % der Personen eine asymptomatische Bakteriurie vor, wobei die Zahl jenseits des 90. Lebensjahrs noch steigt.
Bei pflegebedürftigen Patienten liegt die Zahl zwischen 25 % und 50 % bei Frauen und 15 % und 35 % bei Männern. Bei Patienten mit Dauerkathetern wird die Prävalenz in der Literatur sowohl bei Männern wie Frauen mit bis zu 100 % angegeben. Bei Hämodialysepatienten findet man bei etwa 28 % eine asymptomatische Bakteriurie.

 

 

Risikofaktoren: Allgemeine prädisponierende Faktoren scheinen zu sein: neurologische Erkrankungen, Diabetes mellitus, verringerte Mobilität, urologische Besonderheiten, ein Restharnvolumen – besonders mehr als 180 ml – oder auch chronische Obstipation.
Haupterreger ist E. coli (gefunden bei Älteren in 75 bis 80 % der Fälle). Andere Erreger sind Klebsiella pneumoniae, koagulasenegative Staphylokokken und Enterokokken. Bei Patienten in Pflegeheimen sind es Proteus mirabilis, Providencia stuarti und Klebsiella pneumoniae; bei Dauerkatheterträgern Proteus mirabilis, Providencia stuartii und Pseudomonas aeruginosa.
Eine Sonderstellung nimmt die Schwangerschaft ein. Zwar ist die Prävalenz einer asymptomatischen Bakteriurie bei Schwangeren mit 2 % bis 7 % nicht wesentlich höher als bei Nichtschwangeren und das Keimspektrum ähnlich, jedoch ergibt sich hier eine Behandlungsindikation, da zahlreiche Publikationen ein erhöhtes Risiko für Aborte, Frühgeburten, Totgeburten und für die Entwicklung einer Pyelonephritis nachweisen.
Nach Nierentransplantation wurde in einer großen Studie die Prävalenz im 1.–2. Monat mit etwa 25 % angegeben. Sie sank kontinuierlich auf etwa 5–10 % innerhalb von 36 Monaten.

Asymptomatische Candidurie: Epidemiologischen Daten zur asymptomatischen Candidurie sind sehr spärlich. Immunosuppression, Diabetes mellitus, hohes Alter, Antibiotikatherapie und Blasenkatheter sind die wichtigsten prädisponierenden Faktoren. Bei Patienten mit Blasenkathetern wird in der Literatur eine Prävalenz von 11 % bis 40 % angegeben. Die Candidurie stellt besonders auf Intensivstationen ein Problem dar.
Die Candidurie verläuft im Allgemeinen asymptomatisch. Nur 4–14 % der Betroffenen entwickeln Symptome eines HWI.
Eine Untersuchung im stationären Setting ergab ein 12-fach erhöhtes Risiko durch einen Harnkatheter, durch Breitbandantibiotika um das 6-Fache, bei abdominellen Eingriffen um das 4-Fache und durch Diabetes mellitus um das 2-Fache.
Bei Patienten mit liegendem Harnkatheter stellen in absteigender Höhe Antibiotika, weibliches Geschlecht und Diabetes mellitus zusätzliche Risikofaktoren dar. Unter den Antibiotika waren besonders Chinolone mit dem Auftreten einer Candidurie assoziiert.

Harnwegsinfektionen

Weltweit treten jährlich mehr als 150 Millionen symptomatische HWI auf (90 % Zystitiden, < 10 % Pyelonephritiden). In 75 % der Fälle handelt es sich um sporadische Harnwegsinfekte, zu 25 % treten Harnwegsinfekt wiederkehrend auf.
2 % der HWI sind komplizierte HWI. Etwa 15 % der Frauen und 3 % der Männer erkranken in den USA jährlich an einem Harnwegsinfekt. Die Zahl der Patienten, die einer stationären Aufnahme bedürfen, ist hoch. HWI sind in den USA jährlich für etwa 500.000 stationäre Aufnahmen verantwortlich. Die Zahl ambulant behandelter Harnwegsinfektionen lag in den USA im Jahr 2000 bei über 8 Millionen. 10,3 % der stationären Aufnahmen aufgrund von Infektionen in den USA waren auf eine Harnwegsinfektion zurückzuführen. Am höchsten war der Anteil der Patienten über 80 Jahren. Die Erreger sind in absteigender Reihenfolge E. coli (70 %), Klebsiellen, Proteus mirabilis, Enterobacter, Pseudomonas, Enterococcus und Staphylococcus.

 

 

Zystitis

Bei jungen erwachsenen Frauen wird in der Literatur eine Prävalenz zwischen 2,7 % und 6,5 % angegeben. Die Inzidenz liegt bei jüngeren, sexuell aktiven Frauen mit etwa 0,7 Infekten pro Individuum und Jahr besonders hoch. Besonders bei wiederkehrenden Harnwegsinfektionen ergibt sich ein Zusammenhang mit der sexuellen Aktivität. Frauen, die mehr als 9 Verkehre im letzten Monat hatten, wiesen in einer Studie eine 10-fach höhere Frequenz einer Zystitis auf als Frauen ohne Verkehr im selben Zeitraum.
Bei Frauen in der Postmenopause liegt die Inzidenz dagegen nur bei 0,07 pro Patientenjahr. In einer Studie hatten etwa 70 % in einem Zeitraum von 2 Jahren nur ein einzelnes Ereignis, 20 % ein zweites und 10 % drei oder mehr Ereignisse.
Bei jüngeren Männern gibt es kaum Daten über unkomplizierte Harnwegsinfekte; sie kommen praktisch nicht vor. Meist ist dann auch eine Prostatitis assoziiert. Eine Studie nennt eine Zahl von etwa 7 Infektionen pro 10.000 Patientenjahren bis zum 50. Lebensjahr.
Die Häufigkeit nimmt bei beiden Geschlechtern in höherem Alter stark zu.
Bei älteren Menschen, die nicht pflegebedürftig sind, wird eine Prävalenz von 20–30 % angegeben, bei Pflegebedürftigen eine Prävalenz um etwa 30 %, wobei sich die Zahlen in höherem Alter zwischen Frauen und Männern angleichen.
Risikofaktoren sind frühere Harnwegsinfekte, Alter, Prostatahypertrophie, Demenz, Hinfälligkeit und Diabetes mellitus.
Den größten Risikofaktor stellt aber ein liegender Blasenkatheter dar. Mit Blasenkathetern assoziierte Harnwegsinfektionen machen 34 % aller nosokomialen Infektionen in den USA aus.
Etwa 15 % der Patienten mit Harnblasenkathetern entwickeln eine Harnwegsinfektion, wobei die Zahl deutlich unter dem Prozentsatz einer asymptomatischen Bakteriurie liegt, die an die 100 % reicht. Die Inzidenz von Infektionen beträgt etwa 7 pro 1000 Kathetertage.

Pyelonephritis

Bei Frauen liegt die jährliche Inzidenz der Pyelonephritis bei 17/10.000, bei Männern bei 3/10.000 Einwohner. Junge Frauen im Alter von 15 bis 35 Jahren sind am häufigsten betroffen (jährlich 20/10.000), gefolgt von Kindern und älteren Patienten. Risikofaktoren für Infekte sind besonders ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Abnormalitäten der Harnwege, frühere Harnwegsinfekte, Schwangerschaft und Immunsuppression. Eine emphysematöse Pyelonephritis kommt fast ausschließlich bei Diabetikern vor.

Harnwegsinfekte durch Pilze

Pilzinfektionen der Harnwege werden fast ausschließlich durch Candida-Arten verursacht. Risikofaktoren sind Diabetes mellitus, Nierentransplantation, hohes Alter, urologische Eingriffe, stationäre Aufnahme, Aufnahme auf Intensivstationen, Antibiotika, Immunsuppression und besonders ein liegender Blasenkatheter. Bei Patienten auf Intensivstationen treten HWI durch Pilze zumeist nach etwa zwei Wochen auf. Einer Studie zufolge werden etwa 20 % der HWI auf Intensivstationen durch Candida verursacht.
Bei ambulanten Diabetikern liegt einer Untersuchung zufolge die Prävalenz von Candida-Infektionen bei 5 %. Da aber oft eine Mischinfektion vorliegt, ist der tatsächliche Anteil von Candida an den Harnwegsinfektionen schwer zu beurteilen.

Besondere Patientengruppen

Diabetiker: Das Risiko, an einem Harnwegsinfekt zu erkranken, ist bei Frauen etwa 25- und bei Männern etwa 20-mal größer als bei Nichtdiabetikern. Bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus sind die Ereignisse als komplizierter Harnwegsinfekt einzustufen.
In einer rezenten Publikation waren 15 % Diabetikerinnen im vorangegangenen Jahr an einer Zystitis und 3 % an einer Pyelonephritis erkrankt. Sexuelle Aktivität war auch hier mit einer 10-fach höhern Inzidenz verbunden.
Diabetiker mit HWI haben ein erhöhtes Risiko für Papillennekrosen.

Schwangere: Bei etwa 5 % der Schwangeren findet sich eine asymptomatische Bakteriurie, die in rund 30 % in einen symptomatischen Harnwegsinfekt übergeht. Darüber hinaus ist die asymptomatische Bakteriurie mit einem erhöhten Risiko für Frühgeburten verbunden. Eine akute Zystitis ist bei etwa 2 % der Schwangerschaften nachweisbar. Die Inzidenz einer symptomatischen Pyelonephritis in der Schwangerschaft liegt bei 1,4 %. Etwa 4 % der Patientinnen mit einer Pyelonephritis in der Schwangerschaft erleiden eine Frühgeburt.

Organtransplantierte: Eine Studie, die Nieren-, Leber-, Herz-, Nieren- und Nieren-Pankreas-Tranplantierte umfasste, erbrachte eine HWI-Inzidenz von 0,23 Episoden/1.000 Transplantattage. Die höchste Rate wurde bei Nierentransplantierten gefunden. Etwa 25 % der Nierentransplantierten entwickelten einen Harnwegsinfekt im ersten Jahr; dies weitgehend unabhängig von der Art der immunsuppressiven Therapie. Eine asymptomatische Bakteriurie war bei 50 % der Transplantierten innerhalb eines Beobachtungszeitraumes von 3 Jahren anzutreffen.
Harnwegsinfekte sind die häufigste bakterielle Infektion bei Nierentransplantierten. Sie treten gehäuft in den ersten Monaten nach Transplantation auf. Risikofaktoren sind weibliches Geschlecht, höheres Alter, lange Zeit mit einer Nierenersatztherapie, postoperativer Blasenkatheter, Ureterstents, Zystennieren als Grunderkrankung und Diabetes mellitus.
Die Inzidenz der Candidurie liegt einer Studie zufolgte bei 11 % in einem Beobachtungszeitraum von 8 Jahren.

 

NephroSpot

Harnwegsinfektionen zählen zu den häufigsten Infektionen weltweit. Etwa 15 % der Frauen und 3 % der Männer erkranken jährlich an einem Harnwegsinfekt. Die Zahl der Patienten, die einer stationären Aufnahme bedürfen, ist hoch. So sind Harnwegsinfekte in den USA jährlich für etwa 500.000 stationäre aufnahmen verantwortlich. Die Zahl ambulant behandelter Harnwegsinfektionen lag im Jahr 2000 in den USA bei über 8 Millionen. Eine besonders hohe Inzidenz weisen sexuell aktive Frauen, Diabetiker, nierentransplantierte, pflegebedürftige Patienten sowie Patienten mit harnblasenkathetern auf. Bei den meisten Harnwegsinfektionen handelt es sich um unkomplizierte Harnwegsinfekte. nur etwa 2 % sind definitionsgemäß komplizierte Infekte.

 

Literatur beim Verfasser