Medikamentendosierung bei Niereninsuffizienz am Beispiel der Diabetestherapie

Die Medikamentendosierung bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (CNI) ist eine komplexe Fragestellung, die Ärzte aller Fachrichtungen betrifft. Bei vielen Medikamenten verändert sich die empfohlene Dosis bei Niereninsuffizienz, oder es ergibt sich eine Kontraindikation. Bei terminaler Niereninsuffizienz bzw. Nierenersatztherapie ist gegebenenfalls eine erneute Dosierungsadaptierung notwendig. Im ersten Abschnitt des Beitrags werden die Überlegungen zur Medikation von Patienten mit CNI anhand der Diabetestherapie dargestellt. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage nach der Dialysierbarkeit von Medikamenten.

 

Diabetestherapie beim niereninsuffizienten Patienten

 

Insulin

Der Großteil der Typ-2-Diabetiker mit terminaler NI benötigt Insulin. Prinzipiell gibt es nur wenige Arbeiten, die reguläres Insulin mit analogem Insulin vergleichen (Aisenpreis et al., 1999). Umso deutlicher ist das Fehlen relevanter pharmakokinetischer Studien der verschiedenen Insulinarten bei Patienten mit Niereninsuffizienz. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass eine intensivierte Insulintherapie einem konservativen Schema in Bezug auf die glykämische Kontrolle überlegen ist (Snyder et al., 2004). Auf Grund der unzureichenden Datenlage gibt es keine allgemeinen therapeutischen Guidelines, die anhand der Restnierenfunktion eine Insulindosisanpassung empfehlen (Bilous et al., 2004). Bei Hämodialysepatienten mit Typ-2-Diabetes sinken üblicherweise die benötigte Insulinmengen auf Grund einer verbesserten Insulinsensitivität an der Dialyse. Zusätzlich ist die reduzierte Insulin-Clearance mitverantwortlich für den geringeren Insulinbedarf. Ein Basis-Bolus-Schema mit einem langwirkenden Insulin Glargin (Lantus®) oder Detemir (Levemir®) als Basaltherapie gepaart mit einem schnellwirksamen Insulinanalogon wie Insulin Lispro (Humalog®), Insulin Aspart (NovoLog®, Novorapid®) oder Insulin Glulisine (Apidra®) vor Mahlzeiten ist der konventionellen Therapie überlegen, da die Wirkdauer von Insulin Glargin signifikant länger ist als jene von humanem NPH-Insulin (Protaphan®, Basal®, Humulin®) und zugleich zu einer kontinuierlicheren Senkung des Blutzuckerspiegels führt (Iglesias et al., 2008). Gemäß Fachinformation ist das Wirkmaximum von Insulin Glargin durchschnittlich nach 8,6 Stunden und von NPH-Insulin nach 5,4 Stunden erreicht. Niedrigere NBZ-(Nüchternblutzucker-) Spiegel mit weitaus selteneren Hypogly kämieepisoden sind ein weiterer Vorteil von Insulinanaloga im Vergleich zu NPH-Insulin. Auf Grund dieser Vorteile haben Insulinanaloga NPH-Insulin mehrheitlich ersetzt und neuere Arbeiten die Anwendung dieser lang- und kurzwirksamen Analoga bei terminaler Niereninsuffizienz untersucht (O’Mara et al., 2010). Der Hauptvorteil der kurzwirksamen Analoga ist die schnelle Resorption, der wichtigste Vorteil der langwirksamen Analoga das geringere Hypoglykämierisiko und eine verbesserte Lebensqualität (Jehle et al., 1999). Trotzdem sind klinische Wirksamkeit und Sicherheitsprofil bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz nicht eindeutig belegt. Speziell karzinogene und proliferative Effekte sind nicht auszuschließen, da ein Großteil der Studien zu Insulinanaloga Diabetiker mit fortgeschrittenen diabetischen Komplikationen wie Niereninsuffizienz exkludierten.

 

Dosierung: Beim insulinpflichtigen Typ-2-Diabetiker mit geringem Insulinbedarf (< 20 IU/Tag) kann eine konventionelle Insulintherapie mit 1- bis 2-täglichen Injektionen eines langwirksamen Insulins oder einer vorgemischten Insulinkombination (NPH-Insulin kombiniert mit Zweitsubstanz) eingesetzt werden. Falls die glomeruläre Filtrationsrate unter 10-50 ml/min sinkt, sollte die Gesamtdosis an Insulin, sowohl reguläres Insulin als auch Insulinanaloga, um 25% reduziert werden. Bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz ist die Insulinmenge auf 50% des Ausgangswertes zu senken. Zu beachten ist jedoch die große interindividuelle Varianz der Senkung des Insulinbedarfs (Biesenbach et al., 2003).

Bei Hämodialysepatienten variiert der Insulinbedarf zusätzlich durch die Unterschiede in der residualen Nierenfunktion und der Dialysemodaliäten. Prinzipiell sinkt jedoch im ersten Jahr der Hämodialyse der Insulinbedarf weiter (Biesenbach et al., 2008). Die Ziele der antidiabetischen Therapie bei Patienten mit Niereninsuffizienz entsprechen jenen beim nierengesunden Diabetespatienten.

• HbA1c: 6-7 %

• Nüchternblutzucker-Spiegel < 140 mg/dl

• postprandialer Blutzuckerspiegel < 200 mg/dl.

 

Patientenspezifisch sollten jedoch individuelle therapeutische Ziele festgelegt werden, dies auch in Abhängigkeit von Lebensumständen oder einem möglicherweise erhöhten Hypoglykämierisiko (Uzu et al., 2008).

 

Orale Antidiabetika

Bei manchen Typ-2-Diabetikern mit terminaler Niereninsuffizienz ist auch mit oralen Antidiabetika oder sogar ausschließlich mit Diät eine ausreichende Stoffwechseleinstellung erzielbar. Es stehen mehrere Medikamente bei Typ-2-Diabetes zur Verfügung, die auch bei Niereninsuffizienz eingesetzt werden können. Nichtsdestotrotz sind die meisten speziell bei Dialysepflichtigkeit nicht empfohlen.

Zu den “klassischen” oralen Antidiabetika zählen Sulfonylharnstoffe, Alphaglucosidaseinhibitoren und Biguanide, zu den “modernen” oralen Antidiabetika werden Glinide, Glitazone und Gliptine gerechnet.

 

Sulfonylharnstoffe können bei diabetischen Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz eingesetzt werden (Charpentier et al., 2009). Gliquidon (Glurenorm®) sollte in der üblichen Dosierung gegeben werden, bei Gliclazid (Diamicron®) und Glimepirid (Amaryl®) ist eine Dosisanpassung notwendig (50%). Unter Hämodialyse sollten Sulfonylharnstoffe auf Grund des erhöhten Hypoglykämierisikos nur in Ausnahmefällen verwendet werden. Aus demselben Grund ist Glibenclamid (Euglucon®) bei Niereninsuffizienz absolut kontraindiziert (Krepinsky et al., 2000).

 

Alphaglucosidaseinhibitoren wie Acarbose (Glucobay®) und speziell Miglitol (Diastabol®) sind bei Patienten mit einer GFR < 30 ml/min kontraindiziert (Yaleet al. 2005).

 

Biguanide: Metformin (Glucophage®, Diabetex®, Metformin®) ist ein Biguanid, das die hepatische Glukoneogenese und die Glukoseaufnahme hemmt. Es ist wegen der Gefahr der Laktazidose (Mortalität 50%) bei Niereninsuffizienz absolut kontraindiziert (Serumkreatinin > 1,1 mg/dl für Frauen und > 1,2 mg/dl für Männer). Manche Studien beschreiben jedoch einen Nutzen von Metformin-Therapie bei Patienten über 80 Jahren und Niereninsuffizenz oder Herzinsuffizienz, der das potenzielle Risiko bei Weitem übersteigt (McCormack et al., 2005).

 

Glinide: Repaglinid (Novonorm®; Prandin®) und Nateglinid (Starlix®) wirken über Kaliumkanalblockade der Betazelle der Bauchspeicheldrüse. Beide können bei Niereninsuffizienz bedenkenlos eingesetzt werden, sind aber nicht empfohlen an der Hämodialyse (Nagai et al., 2003).

 

Thiazolidindion (Glitazon): Bei Pioglitazon (Actos®) muss bei eingeschränkter Nierenfunktion keine Dosisanpassung erfolgen. Hauptnebenwirkung ist die Ausbildung von Ödemen, weshalb es bei Herzinsuffizienz kontraindiziert ist, speziell in Kombination mit Insulintherapie. Rosiglitazon (Avandia®) wurde auf Grund vom erhöhten kardiovaskulärem Risiko vom Markt genommen (Thompson-Culkin et al., 2002).

 

Inkretine (GLP-1-Analoga, Gliptine) Glucagon-like peptide-1 (GLP-1) stimuliert die zuckerabhängige Insulinfreisetzung von pankreatischen Betazellen und inhibiert den postprandialen Glukagonrelease. Es verlangsamt zudem die gastrale Entleerung und reduziert die Nahrungsaufnahme. Die Dipeptidylpeptidase IV (DPP-IV) ist ein ubiquitäres Enzym, das eine Vielzahl an bioaktiven Peptiden deaktiviert, einschließlich GLP-1.

Exenatide (Byetta®) ist ein GLP-1-Analogon, das gegen den Abbau durch DPP-IV resistent ist und dadurch eine längere Halbwertszeit aufweist. Bei subkutaner Gabe ist keine Dosierungsanpassung bei einer GFR >30 ml/min notwendig, darunter ist eine Dosisreduktion um 50% anzustreben. Laut Fachinformation ist Exenatide bei höhergradiger Niereninsuffizenz zu vermeiden und an der Hämodialyse absolut kontraindiziert (Kuehn et al., 2011). Sitagliptin (Januvia®) war der erste orale DPP-IV-Inhibitor. Die übliche Dosis von Sitagliptin beträgt 100 mg einmalig pro Tag, mit einer Reduktion auf 50 mg für Patienten mit GFR von 30 to 50 ml/min und 25 mg für Patienten mit einer GFR < 30 m/min bis hin zur Hämodialyse (Bergman et al., 2007). Vildagliptin (Galvus®) sollte ebenfalls dosisadaptiert werden und ist ab einer GFR < 30 ml/min kontraindiziert. Die Kombination Vildagiliptin/Metformin (Eucreas®) ist bei jeder Form der Niereninsuffizienz absolut kontraindiziert (Thuren et al., 2008).

 

Blutzuckereinstellung und Kontrolle

 

Mehrere Faktoren beeinflussen die Blutzuckereinstellung bei diabetischen Patienten mit Niereninsuffizienz ungünstig, so beispielsweise eine unregelmäßige Nahrungsaufnahme, eine in – suffiziente körperliche Ertüchtigung, eine urämieinduzierte Anorexie, eine Veränderung des Insulinmetabolismus (Insulin resistenz und Insulin-Clearance) und auch eine inadäquate Therapie. Bei terminaler Niereninsuffizienz und an der Hämodialyse kommen noch weitere Faktoren hinzu, die Blutzuckerspiegelschwankungen verursachen und damit das Risiko für hypoglykämische Events können.

 

Blutzuckerschwankungen an der Hämodialyse: Große Schwankungen des Blutzuckers sind charakteristisch für Typ-2-Diabetiker an der Hämodialyse. An der Hämodialyse kann eine Hypoglykämie durch eine diffusionsbedingte Senkung des Blutzuckers sowie von immunoreaktivem Insulin ausgelöst werden. Weiters bemerken Patienten an der Hämodialyse den niedrigen Blutzucker oft nicht, und klinische Zeichen werden der Dialyse oder niedrigen Blutdruckwerten zugeschrieben. Speziell Patienten mit einer initialen Plasmaglukose unter 100 mg/dl an der Hämodialyse sind gefährdet, sofern sie nicht an der Dialyse essen oder parenteral ernährt werden, besonders falls antidiabetische Therapie eingenommen wird. Diese sollten mit einem Dialysat von zumindest 100 mg/dl dialysiert werden (Jackson et al., 2000). Bei Patienten mit schlechter metabolischer Einstellung sind Hyperglykämien direkt nach Hämodialyse oft anzutreffen, was der Absenkung von immunoreaktivem Insulin des Plasmas zugeschrieben wird. Zusammengefasst verursacht Hämodialyse Hypoglykämien während der Dialyse und Hyperglykämien nach der Dialyse durch absolute oder relative Defizienz an immunoreaktiven Insulin (Shrishrimal et al., 2009). Weiters ist beschrieben, dass es am Tag 1 post Hämodialyse vermehrt zu Hypoglykämien kommt, weshalb die Autoren eine Reduktion des Basalinsulins am postdialytischen Tag um 25% empfehlen, jedoch keine Anpassung der Bolusgabe (Sobngwi et al., 2010).

 

Faktoren für die Dialysierbarkeit eines Medikaments

 

Folgende physikalischen und chemischen Parameter bestimmen, inwiefern ein Medikament dialysierbar ist:

 

Molekulargewicht: Dialysemembranen sind unter anderem durch die spezifische Porengröße definiert, die den Austausch nur bis zu einem gewissen Molekülargewicht erlauben. Die Elimi nation von Substanzen ist daher abhängig von der Größe des Moleküls und dessen räumlicher Konfiguration. Je kleiner und kompakter ein Molekül ist, umso größer ist Wahrscheinlichkeit, über die semipermeable Membran entfernt zu werden.

 

Plasmaproteinbindung: Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Anteil von freier, gelöster Substanz. Je höher die Plasmaproteinbindung einer Substanz ist, desto geringer ist die Plasmakonzentration an ungebundenen Molekülen, die für die Dialyse relevant sind, da Albumin und andere Bindungsproteine die Dialysemembran nicht überschreiten. Im niereninsuffizienten Patienten kann die Proteinbindung eines Medikaments auf Grund von Urämie und Azidose jedoch niedriger sein als in der Fachinformation ausgewiesen. Bei der Peritonealdialyse (PD) ist zu beachten, dass die Permeabilität des Bauchfells im Rahmen von entzündlichen Veränderungen steigt und potenziell proteingebundene Substanzen verloren gehen.

 

Verteilungsvolumen: Medikamente verteilen sich entsprechend ihrer Löslichkeit und Proteinbindung unterschiedlich. Bei hoher Fettlöslichkeit von Substanzen verteilen sich diese primär im Interstitium, und nur ein geringer Anteil findet sich im Serum, dementsprechend gering ist auch die Erreichbarkeit für Dialyse.

 

Renale Elimination: Die Elimination einer Substanz ergibt sich aus renaler sowie extrarenaler Clearance und der hepatischen Metabolisierung. Bei terminaler Niereninsuffizienz übernimmt die Dialyse die Aufgabe der renalen Elimination. Überschreitet die Clearance einer Substanz durch die Dialyse 25% oder mehr, kann von einer klinisch relevanten Elimination an der Dialyse gesprochen werden. Umgekehrt ist bei einer extrarenalen Clearance über 50% von keiner Akkumulation bei CNI auszugehen.

 

Blutfluss und Dialysatfluss: Der Austausch von Molekülen kann durch ein gesteigertes Blutvolumen pro Zeiteinheit erhöht werden, da eine größere Menge der Substanz über die semipermeable Membran angeboten wird. Gegengleich wird die Elimination über die Membran begünstigt, wenn das Konzentrationsgefälle hochmaximal gehalten wird. Das wird durch eine Steigerung des Dialysatflusses erreicht. Diese Möglichkeit gibt es auch bei PD, bei der die Häufigkeit des Beutelwechsels und das Beutelvolumen variiert werden können.

Weitere wesentliche Rollen spielen das gewählte Verfahren, wie z. B. Hämofiltration oder Hämodiafiltration, das zeitliche Schema (intermittierend versus kontinuierlich) und die Wahl zwischen Low-Flux- und High-Flux-Kapillaren.

 

Empfohlene Literatur und Ratgeber

Alle Literaturangaben liegen den Verfassern vor. Die Information wurde größtenteils dem folgenden Ratgeber entnommen: “Medikamentendosierung bei Niereninsuffizienz” von K. Derfler und P. Biesenbach, Exemplare bei AMGEN kostenlos bestellbar. Weitere Quellen für Recherche sind “Arzneimitteldosierung bei Niereninsuffizienz” von W. Büchele; “Antibiotika und Antiinfektiva” von F. Thalhammer; “Dialysis of Drugs” von Genzyme, www.dosing.de.