EFNS-Kongress 2012
: Schwerpunkt autonomes Nervensystem 


Im Hauptthema „Autonomic disorders in neurological diseases“ wurde das weite Spektrum des autonomen Nervensystems und seiner Erkrankungen ausführlich dargestellt.


ANS und Schlaganfall: Wie Prof. Max J. Hilz, Deutschland, in seinem Vortrag zum autonomen Nervensystem (ANS) und Schlaganfall ausführte, hat die Northern Manhattan Stroke Study (NOMAS-Study, Rincon et al. 2008) gezeigt, dass Schlaganfälle in den Arealen frontal, parietal, temporal und insulär Prädiktoren für eine erhöhte Sterblichkeit sind. Speziell wurde eine erhöhte Mortalität für die insulären Ischämien in verschiedenen Studien bestätigt. Für die rechte Inselregion und den rechten Parietallappen konnte eine erhöhte Inzidenz für Myokardinfarkte innerhalb der ersten 3 Tage nach dem Schlaganfall nachgewiesen werden (Ay et al. 2006). Die Ursache ist die Modulation des sympathischen und parasympathischen Nervensystems durch die autonomen Zentren des ZNS. Die autonome Verarbeitung ist im ZNS lateralisiert. Eine Ischämie der linken Inselregion führt zu einer vermehrten sympathischen Aktivität im Vergleich zu einer Ischämie der rechten Inselregion. Die resultierende autonome Dysbalance trägt zur erhöhten Sterblichkeit bei.

Das Thema ANS und Parkinson-Syndrome wurde von Prof. Sénard, Frankreich, dargestellt. Alpha-Synukleinopathien kann man nach ihren autonomen Funktionsstörungen unterteilen in präganglionäre Beteiligung des zentralen ANS mit glialen zytoplasmatischen Einschlüssen (Multisystematrophie) und postganglionäre Beteiligung des peripheren ANS (M. Parkinson mit autonomer Funktionsstörung, Demenz mit Lewy-Körperchen, M. Parkinson und Demenz und „pure autonomic failure“; Goldstein 2012). Präganglionäre Erkrankungen unterscheiden sich autonom von postganglionären Erkrankungen in Bezug auf Plasmanoradrenalin, Aktivität und Denervierung des sympathischen Nervensystems. Die Unterscheidung gelingt nicht durch die autonome Standardtestung, aber mit einiger Sicherheit durch Plasmanoradrenalin-Bestimmung, autonome Funktionstestung mit Clonidin-Applikation und gleichzeitiger Messung des Wachstumshormons sowie durch kardiales MIBG-SPECT. Die autonome Diagnostik spielt daher gerade in der Differenzialdiagnose Multisystematrophie/M. Parkinson eine Rolle.

Auf die autonome Funktionsstörung und autonome Neuropathie ging Prof. Mathias, Großbritannien, ein, der besonders die immunvermittelten, reversiblen autonomen Neuropathien heraushob: z. B. die autoimmune autonome Ganglionopathie (Synonym: akute Pandysautonomie) mit Antikörpern gegen Alpha-3-nikotinerge Azetylcholin-Rezeptoren. Die Erkrankungen laufen häufig monophasisch und führen zu einer ausgeprägten autonomen Funktionsstörung. Eine immunsuppressive Therapie kann die Erkrankung verbessern. Weniger bekannt ist, dass auch das posturale Tachykardiesyndrom (POTS) durch partielle periphere autonome Neuropathien ausgelöst werden kann. POTS ist als Erkrankung deutlich unterdiagnostiziert, ist aber therapierbar.

TLOC und PTLOC wurden im Teaching Course „Seizure – syncope – or something else?“ behandelt. So häufig transitorische Bewusstseinsverluste („transient loss of conciousness“; TLOC) sind, typischerweise ist der Neurologe/die Neurologin nicht dabei. Daher ist die Anamnese das wichtigste Instrument zur Diagnosefindung. Für Synkopen sprechen vor allem typische Auslösefaktoren wie Orthostase (orthostatische Hypotonie, Reflexsynkopen) sowie eine Reihe unterschiedlicher Stimuli wie z. B. emotionale Erregung, Schmerz, heiße, überfüllte Räume (Reflexsynkopen), postprandiales Auftreten (postprandiale orthostatische Hypotonie), das Fehlen einer kardiologischen Vorerkrankung etc. Die Differenzialdiagnose zwischen Synkope und Epilepsie ist oftmals aus der Anamnese möglich.
Deutlich schwieriger ist die Diagnose der psychogenen transienten Bewusstseinsstörung (PTLOC). In First-Seizure-Kliniken haben 50 % der PatientInnen tatsächlich eine Epilepsie, 30 % eine PTLOC erlitten. Man kann 3 Cluster des PTLOC unterscheiden: tonisch-klonische (49 %), Extremitätenzittern (30 %) und atone kollapsartige (21%). PTLOC beginnt häufig im Alter zwischen 15 und 25, in der Kindheit selten. Die erste Attacke ist oft phänomenologisch anders, zum Teil mit mehr psychiatrischen Zeichen oder ähnlich einer Synkope. Eine hohe Attackenfrequenz spricht für PTLOC, auch Auftreten bei Anwesenheit von medizinischem Personal ist typisch. Linguistische Studien fanden dezidierte Unterschiede in der Art, wie PTLOC-PatientInnen ihre Anamnese präsentieren. PatientInnen mit Epilepsie sprechen in der Anamnese oft detailliert über ihre Symptome, PTLOC-PatientInnen sprechen oft sehr inkonkret, bleiben in der Symptombeschreibung oberflächlich und stellen stark die Konsequenzen in den Vordergrund (z. B.: „Ich kann nicht mehr ausgehen.“).

Epilepsie: Der Workshop „Autonomic alterations in epilepsy“ befasste sich mit der Rolle des ANS bei Epilepsie. Autonome Symptome/Zeichen während epileptischer Anfälle können die einzige Manifestation sein (autonome Anfälle), begleiten aber alle epileptischen Anfälle. Kardiovaskuläre Zeichen sind häufig, am häufigsten Tachykardien bei 70–90 %, 2 % haben eine Bradykardie und 0,4 % eine Asystolie. Die iktale Asystolie kommt fast immer bei Temporallappenepilepsie vor, sehr selten bei ex­tratemporalen Epilepsien, nie bei genera­lisierter Epilepsie, eher bei einer hohen Anfallssequenz und fraglich bei Betablockertherapie. Asystolie setzt häufig 20 Sekunden nach Anfallsbeginn ein. Sie dauert zwischen 10 und 30 Sekunden, maximal wurden 60 Sekunden beschrieben. Sie wird manchmal durch eine Tachykardie mit Blutdruckabfall, manchmal auch durch Apnoe eingeleitet und bei Asystolie > 8 Sekunden wird das EEG durch die konsekutive zerebrale Ischämie flach. Es wurde daher postuliert, dass die Asystolie auch zum Sistieren des Anfalles beiträgt.
Eine weitere autonome Beteiligung sind respiratorische Symptome wie subjektive Atemnot, aber auch Änderung von Atemfrequenz und Atemmuster bis zur Apnoe und zum potenziell tödlichen neurogenen Lungenödem.
SUDEP („sudden unexpected death in epilepsy patients“) ist eine wesentliche anfallsabhängige Todesursache. Als Ursachen werden kardiale Arrhythmie, Ateminsuffizienz oder massiver zerebraler Funktionseinbruch im Anfall angenommen. Es gibt bisher keine SUDEP-Dokumentation mit Asystolie als Ursache, und Temporallappenepilepsie ist kein Risikofaktor für SUDEP. Es wird daher angenommen, dass SUDEP nicht durch Asystolie ausgelöst wird. Eine postiktale zentrale Apnoe wird aber weiterhin als mögliche Ursache von SUDEP postuliert.

Sympathische Dysfunktion: In der Special Session „How to address the sympathetic dysfunction“ wurde von den Referenten Heinz Lahrmann, Walter Struhal und Mikael Elam, Schweden, das sympathische Nervensystem in mehreren Aspekten betrachtet. Sympathische Funktionsstörungen führen – neben vielen anderen Konsequenzen – zur Blutdruckregulationsstörung und Schweißsekretionsstörung. Eine gezielte Testung ist nur nach einer ausführlichen anamnestischen Eingrenzung der betroffenen Organsysteme bzw. bei Schweißsekretionsstörungen der betroffenen Hautareale möglich.
Die Blutdruckregulationsstörung wird im ­autonomen Labor mittels kontinuierlicher Blutdruckmessung während Tests wie dem Valsalva-Manöver oder der Kipptischuntersuchung evaluiert. Ergänzend werden Plasmakatecholamin-Bestimmungen im Liegen und Stehen (Diagnose zentrale/periphere autonome Funktionsstörung) und vor allem MIBG-SPECT bei der Differenzialdiagnose MSA/Morbus Parkinson eingesetzt. Für die Diagnose der Schweißsekretionsstörung stehen mehrere Methoden zur Verfügung. Mittels einer Kombination unterschiedlicher Methoden, wie z. B. dem SSR-Test („sympathetic skin response“) und dem quantitativen Sudomotor-Axon-Reflex-Test (QSART) ist auch eine Differenzierung zwischen zentraler und peripherer Schweißsekretionsstörung möglich.
Alle diese elektrophysiologischen Methoden messen die Sympathikusaktivität indirekt über ihren Effekt am Endorgan. Eine direkte Messung ist die Mikroneurographie. Diese kann Sympathikus-Bursts in motorischen Nerven elektrophysiologisch ableiten. Die Mikroneurographie ist aufgrund der Komplexität der Methode und des Zeitaufwandes an den PatientInnen lediglich für wissenschaftliche Fragestellungen in Verwendung.

Weitere „autonome“ Veranstaltungen waren „Short Communications“ sowie eine gut besuchte „Poster Session“ mit etwa 60 Postern und einem sehr breiten Spektrum unterschiedlichster Themen. Die Rückmeldungen von VeranstalterInnen und TeilnehmerInnen fielen sehr positiv aus. Das Feld ist nach wie vor in starker Entwicklung begriffen. Dazu tragen die modernen Computertechniken genauso bei wie das zunehmende Alter der Gesellschaft mit deutlicher Zunahme autonomer Komplikationen bei neurologischen Erkrankungen. Man kann sagen, dass das frühere „Orchideenfach“ autonomes Nervensystem inzwischen ganz anständige Wurzeln geschlagen hat und zu einem starken Baum heranwächst.