Die Lehren aus der Pandemie

Prim. Priv.-Doz. Dr. Arschang Valipour, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie der Klinik Floridsdorf in Wien, schilderte die aktuellen Erkenntnisse über die COVID-19-Pandemie wie folgt: „COVID-19 geht eindeutig mit einer Übersterblichkeit einher. Eine hohe intramurale SARS-CoV-2-Prävalenz erhöht aber auch die Non-SARS-CoV-2-Mortalität. Gleichzeitig ist die Inanspruchnahme aller wichtigen Krebs-Screening-Tests mit COVID-19 deutlich weniger geworden. Man sieht zum Beispiel bei Lungenkrebs einen Shift zu Diagnosen in späteren Stadien.“ Zu den daraus entstehenden Auswirkungen kommen die Langzeitfolgen einer COVID-19-Infektion. So müsse laut ­Valipour damit gerechnet werden, dass 20% der Long-­COVID-Betroffenen nicht mehr in den Berufsalltag integriert werden können.

Optimale Versorgung sicherstellen

Die daraus für den Krankenhausbereich zu ziehenden Lehren liegen für Valipour wie auch für Assoc. Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Eva Schaden, Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie, MedUni Wien/AKH, und Präsidentin der FASIM (Verband der intensivmedizinischen Gesellschaften Österreichs), auf der Hand: Es braucht gut ausgebildetes ­Personal, flexible Spitalskapazitäten und Planung, vereinfachte Dokumentation, Supervision für das Gesundheitspersonal und mehr Investitionen in die Telemedizin. Schaden bringt es auf den Punkt: „Wir brauchen eine Attraktivierung des Arbeitsumfeldes mit Entwicklung neuer, insbesondere familienfreundlicher Arbeitszeitmodelle, natürlich eine leistungsgerechte Bezahlung und multiprofessionelle Intensivteams mit ausreichender Personalausstattung.“ Denn nur so könne in Zukunft eine optimale ­Versorgung in der Intensivmedizin auch im Falle einer Pandemie ­sichergestellt werden. „Wir haben in Österreich eine ausreichende Ausstattung mit Kategorie-III-Intensivbetten und Beatmungsplätzen. Aber wir brauchen abgestufte Versorgungsstrukturen ­einschließlich der Optimierung der Verweildauer durch Abstimmung aller vor- und nachgelagerten Bettenkapazitäten sowie Maßnahmen zur Vermeidung disproportionaler Intensivtherapie“, erklärte Schaden. Zudem brauche es ein österreichweites ­digitales ICU-Register. Der österreichische Föderalismus sei ein Hemmnis für das ­Management einer Pandemie, so Schaden.

Konsequente Datenerfassung ­erforderlich

Dr. Andreas Krauter, Leiter des Medizinischen Dienstes der Österreichischen Gesundheitskasse, widmete sich den Schwierigkeiten des extramuralen Bereichs. Einer seiner Hauptkritikpunkte: „Wir schaffen es noch nicht, die Informationen aus dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS) mit anderen Daten zu verknüpfen. Wir brauchen eine konsequente und einheitliche Datenerfassung in hoher Qualität quer durch alle Sektoren, um möglichst rasch alle relevanten Erkenntnisse ableiten und Maßnahmen setzen zu können.“ Zudem kritisierte er die nicht optimale Verteilung der Aufgaben zwischen Spitals- und extramuralem Bereich während der Pandemie.

Handlungsempfehlungen für die Zukunft

Was laut Krauter u.a. zu tun ist:

  • Festlegung zukünftiger potenzieller Risikoszenarien
  • Regelmäßiges Krisenstabstraining und stringente Vorbereitungen
  • Flexibilität im Gesundheitssystem wahren
  • Konsequente und einheitliche Datenerfassung
  • Österreichweite Impfstrategie (bisher nicht gelungen)
  • Kampagnen zur Förderung der Gesundheitskompetenz und Impfmotivation

Öffentlichen Gesundheitsdienst ausbauen

„Wir benötigen eine bedarfsadäquate Weiterentwicklung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes“, betonte Dr.in Gerda Hoffmann-Völkl, Leiterin des Vorstandsressorts Klinische Betriebssteuerung des Wiener Gesundheitsverbundes. Denn die Realität zu Beginn der Pandemie habe gezeigt, dass der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) seine Aufgaben nur teilweise erfüllt habe. In den Augen von Hoffmann-Völkl ist daher der Ausbau von fachlich und personell entsprechend gut aufgestellten und vernetzten sowie bundesweit abgestimmten Strukturen erforderlich, damit der ÖGD bundesweite koordinierende und politikberatende Rollen übernehmen kann. Eine ihrer „Lessons ­learned“: In Zukunft werde man bei Intensiv-Neubauten in Wien mit mehr Flächen ­vorsorgen, damit bei Bedarf rasch „Pop-up-Betten“ installiert werden können. Gut funktioniert haben in ihren Augen folgende Aspekte: der intramurale „Eskalationsplan“ mit Anpassung der Intensivbetten und ­Beatmungskapazitäten an die jeweilige ­Entwicklung der Pandemie in Wien, die COVID-Triage im extramuralen Bereich in Zusammenarbeit mit dem Ärztefunkdienst, die darauf abzielte, einen ungeregelten ­Einstrom von Patient:innen in die Krankenhäuser zu verhindern, und die in Wien ­niederschwellig angebotenen SARS-CoV-2- Testmöglichkeiten.
Aktuell sollte laut Hoffmann-Völkl die Entlastung des Krankenhauspersonals im Fokus stehen: „Nach zweieinhalb Jahren Pandemie und derzeit nachlassendem Stress wollen viele ihr ,normales‘ Leben zurück und denken daran, ihr Berufsleben anders auszurichten. Wir müssen versuchen, den intramuralen Bereich zu entlasten.“ Hier müssten ihrer Meinung nach der Akut- und Reha-Bereich, der niedergelassene Bereich wie auch private Träger stärker eingebunden werden.

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