Optimierung von Patient Experiences

Medallia ist einer der weltweit führenden Anbieter von Customer Experience (CX)- und Employee Experience (EX)-Management und auch im Gesundheitsbereich aktiv. PHARMAustria hat mit Ing. Mag. (FH) Gerhard Raffling und Richard Schwartz über die Möglichkeiten digitaler Tools im Gesundheitsbereich gesprochen. Raffling ist Vice President DACH bei Medallia; Schwartz ist als Head of Life Sciences Industry CX Practice bei Medallia tätig und Spezialist für die Optimierung der Erfahrungen von Patient:innen, den Menschen, die sie umgeben, sowie Kliniker:innen.

PHARMAustria: Welche digitalen Tools können generell das Leben von Patient:innen erleichtern?

Raffling: Das können alle Tools und Lösungen sein, die die Echtzeitkommunikation zwischen Patient:in und Arzt bzw. Ärztin verbessern und damit die Qualität der Interaktionen positiv prägen. Ärzt:innen und Ordinationen stehen heute Lösungen zur Verfügung, die es Patient:innen ermöglichen, Feedback zu hinterlassen, das mithilfe von KI und Machine Learning analysiert wird, um Patient:innen zu priorisieren und eine angemessene Versorgung sicherzustellen. Solche Lösungen ermöglichen auch eine SMS-Kommunikation, um Termine zu vereinbaren oder Symptome schnell aus der Ferne zu diagnostizieren.
Schwartz: Es gibt viele Möglichkeiten, Patient:innen zu begleiten – Monitoring-Geräte, Feedback-Tools, Messaging und vieles mehr. Aber bevor man ein Tool einsetzt, sollte man beobachten und die Patient:innen fragen, was ihnen helfen würde. In jedem Fall sollte Interoperabilität der Lösungen ein wichtiges Kriterium sein.

Welche digitalen Tools können eine frühzeitige(re) Diagnose ermöglichen?

Schwartz: Ich bin der festen Überzeugung, dass Vorsorgeuntersuchungen leichter zugänglich, weniger beängstigend und positiver dargestellt werden sollten. Aufklärung, auch über digitale Kanäle, ist in dieser Hinsicht das A und O. Wenn Patient:innen zu einem Screening gehen, verstehen sie oft nicht das relative und absolute Risiko. Angstmacherei sollte vermieden werden. Denn Menschen laufen eher vor Schmerz weg als vor Freude. Die Teilnahme an einer Vorsorgeuntersuchung ist ein wichtiger Moment in der Pa­tient Journey, der wiederum zur nächsten Erfahrung führt. Man muss darüber nachdenken, was davor und danach kommt.
Raffling: Insbesondere hinsichtlich Aufklärung können Feedback-Lösungen über digitale Kanäle helfen, dass Informationsangebote optimiert werden. Darüber hinaus wird eine Kontaktmöglichkeit zur Verfügung gestellt, um weitere Beratung zu erhalten. Direkte und indirekte Signale werden schlussendlich in Echtzeit erfasst, um die Stimmung und das Verhalten der Patient:innen besser zu verstehen. Durch die Nutzung von KI-Methoden wird in entscheidenden Momenten ein Smart Alert ausgelöst, um mit Patient:innen in Kontakt zu treten, ihr Verhalten zu beeinflussen und die Gesundheitsergebnisse zu verbessern.

Welche digitalen Tools können ein leistungsfähiges Frühwarnsystem ermöglichen?

Schwartz: Wir tragen bereits Diagnosege­räte in unseren Taschen. Telefonsensoren können beispielsweise Veränderungen in meiner Stimme, meiner Atmung, meinen Bewegungen usw. erkennen. Mein Telefon oder meine Smart Watch weiß, wie viel ich mich bewege oder nicht und wie sich meine Herzfrequenz verändert. In Bezug auf den Kontext und das Verhalten weiß mein Telefon, ob ich traurig bin. Wir müssen herausfinden, wie wir die Sensoren in den Devices nutzen können, die wir bereits bei uns haben, ständig mit uns tragen und die wir in unserem Leben brauchen. Wir verkomplizieren sonst die Suche nach Antworten, die wir bereits haben.
Raffling: Wichtig ist, dass eine organisationsweite Zusammenarbeit gewährleistet und eine hochgradig automatisierte Analyse und Maßnahmenableitung geboten werden. Insofern sollte man verschiedene Tools nach Bedarf validieren und zertifizieren, um die beste Qualität im Sinne des Frühwarnsystems zu erhalten.

Wie sollten digitale Anwendungen die Erfahrungen von Patient:innen aufgreifen?

Schwartz: Eine zentrale Herausforderung besteht darin, digitale und physische Erfahrungen nicht getrennt zu betrachten. Das ist nicht mehr die Denkweise der Patient:innen. Es geht weniger darum, dass die Experiences, die wir entwerfen und anbieten, digital sind, sondern darum, dass sie für die jeweilige Person relevant sind. Eine gute Regel ist, zuzuhören, zu beobachten, zu fragen und bereit zu sein, sowohl direktes als auch ­passives Feedback zu analysieren und da­rauf zu reagieren. Es geht auch darum, die Patient:innen wissen zu lassen, dass sie gehört wurden und dass ihr Feedback wichtig ist. Dabei müssen wir mit Empathie (Gefühl) führen, aber auch mit Mitgefühl (Fühlen und Handeln) abschließen. Denn am anderen Ende des Äthers befindet sich ein Mensch in Not. Es geht also nicht nur da­rum, was MIT Patient:innen los ist. Es geht auch darum, was FÜR Patient:innen wichtig ist.
Raffling: Es ist wichtig, die Stimme der Patient:innen im Ganzen zu verstehen. Feedback-Möglichkeiten via Video, Sprache oder Text erleichtern es Patient:innen, sich mitzuteilen, während Signalanalysen im großen Maßstab es Fachleuten erleichtern, das Gesagte zu interpretieren.

Wie könnten digitale Anwendungen die Therapietreue und -adhärenz unterstützen?

Schwartz: Der Mensch ist auf eine sehr vorhersehbare Weise unberechenbar. Viele chronisch Kranke befinden sich in ihrer Situation, weil sie Dinge nicht getan haben, von denen sie wissen, dass sie diese tun sollten. Wir haben als Lebewesen von Natur aus oft nicht das größte Durchhaltevermögen. Die Gesundheitssysteme basieren aber auf einem reaktiven Modell. Patient:innen ­müssen Ärzt:innen aufsuchen. In wichtigen Situationen, wenn es zum Beispiel darum geht, einer Therapie treu zu bleiben, sind sie jedoch oft weit entfernt von einer klinischen Umgebung und den wachsamen Augen ­eines Fachmanns oder einer Fachfrau. Di­gitale Adhärenzlösungen können helfen, müssen sich aber in den Lebensfluss der Patient:innen einfügen. Denn zusätzlich zur Therapietreue verlangen diese Lösungen von Patient:innen auch die Adhärenz zu ­einer Anwendung oder einem Support-­Portal. Das ist eine große Heraus-forderung. Wenn wir beim Design dieser Lösungen die Patient:innen nicht zusammen mit Verhaltenswissenschafter:innen, Ökonom:innen und Spieltheoretiker:innen an einen Tisch bringen, verringern wir unsere Chancen auf Wirkung, Relevanz und Adhärenz der Anwendung selbst.
Raffling: Aus meiner Sicht spielen Lösungen, die eine Echtzeitkommunikation und deren Personalisierung ermöglichen, eine wesentliche Rolle. Wenn Fachleute mithilfe von Technologien das Verhalten der Patient:innen besser verstehen lernen, können sie aus den gewonnenen Erkenntnissen im entscheidenden Moment mit den Patient:innen in Kontakt treten und proaktiv Aufklärung leisten.

Wie könnten digitale Anwendungen die Arzt-Patienten-Kommunikation unterstützen?

Schwartz: Vier Worte: „The Speed of Need.“ Jede Innovation ist an der Wurzel eine radikale Vereinfachung. Wenn Menschen krank, verängstigt und symptomatisch sind, ist es wichtig, sich das „WWWWWWWWI“ („We Want What We Want When We Want It“) vor Augen zu halten. Daher sind einfache Systeme, die Patient:innen wissen lassen, dass ihre Frage gehört wird und sie eine Antwort erhalten, sehr wirkungsvoll.
Raffling: Stellen Sie sich eine Welt vor, in der unsere digitalen Daten in unsere Patientenakten einfließen und diese Frühwarnsysteme einen Anruf aus der Arztpraxis auslösen. Zu wissen, dass man bald krank sein wird, und was man tun kann, um dies zu verhindern oder zu lindern, ist besser, als krank zu sein. Wir kommen diesem Ziel jeden Tag ein Stück näher. Denken Sie an Ihr eigenes Auto: Die Daten eines Fahrzeugs fließen rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr an den Hersteller zurück, und der lässt uns wissen, wenn etwas schiefzugehen droht. Vielleicht sollten wir öfter mit der Autoindustrie sprechen. Wichtig ist zudem, dass man auf Feedback und Reaktionen der Patient:innen zeitnah Antworten gibt und aktiv Maßnahmen umsetzt. Das hat erhebliche Wirkung auf das Patientenvertrauen und die Patientenloyalität.

Vielen Dank für das Gespräch!