KI in der Zielgruppenkommunikation

„ Pharmaunternehmen leben stark vom persönlichen Kontakt, dazu gehören neben Außendienstbesuchen auch Newsletter etc. In diesem Bereich hat die Automatisierung zwar bereits Einzug gehalten – aber es geht hinsichtlich Individualisierung noch mehr. Hier kommt die KI ins Spiel, denn KI-basiertes Handeln hat ­Einfluss auf den Marketing- und Direct-­Sales-Bereich, z.B. dahingehend, wie oft der Außendienst welchen Arzt / welche Ärztin besucht etc.“, ist Jan Gorfer, Managing ­Director bei der Digital-Agentur Plan.Net Austria im House of Communication, überzeugt.

Engagement mit HCPs fördern

So ist den Marketingabteilungen der Pharmaunternehmen beispielsweise sehr bewusst, dass nicht alle adressierten Ärzt:innen einen Newsletter zur selben Zeit öffnen. Hier kann KI individuelle Lösungen liefern: „Wer wann ein Mail mit einem Newsletter öffnet, kann mit KI vorsortiert werden, und beim nächsten Mal verschickt ein KI-basiertes System den Newsletter zu der individuell präferierten Zeit des jeweiligen Arztes / der jeweiligen Ärztin. Das heißt, die KI liefert mir eine Einschätzung, wer wann offen ist für meine Kommunikation“, erklärt Gorfer.
Diesen Aspekt hält auch Jakob Dirisamer, Head Digital Solutions Unit bei Novartis Österreich, für sehr wichtig: „KI liefert dem Sales- und Medical-Bereich die Information, wann sie mit wem über welchen Kanal kommunizieren sollten.“ Die dafür benötigten Daten seien vorhanden, wenn ein Unternehmen ein funktionierendes E-Mail-System habe, so Gorfer.

Individuelle Zielgruppen­kommunikation

Für Matthias Zurth, Business Developer für den Life-Science-Bereich bei adesso SE, liegt die Zukunft des Pharmamarketings generell darin, die Health Care Professionals (HCPs) und ihre Vorlieben so individuell wie möglich zu kennen. „KI kann eingesetzt werden, um Anfragen von HCPs zu verstehen, automatisiert zu beantworten und daraus Insights zu generieren.“ Dazu gehört für ihn auch, dass KI ermitteln kann, ob ein Arzt / eine Ärztin lieber telefonisch oder persönlich kontaktiert wird, wann und wie oft dieser Besuch stattfinden soll etc. „KI dient dazu, zu erheben, wie man die richtige Person auf dem richtigen Kanal zum richtigen Zeitpunkt mit der richtigen Botschaft anspricht. Im Idealfall fließen solche Daten dann ins CRM des Unternehmens, also ins Customer-Relationship-Managementsystem, ein und die Mitarbeiter:innen erhalten mit einem Klick die Information, was dieser Arzt / diese Ärztin individuell braucht“, erklärt Zurth.
Dies bestätigt auch Dirisamer: „Das Ziel ist, aus den gesammelten Daten ,Next Best Ac­tions‘, also die besten folgenden Hand­lungsschritte, ableiten zu können. So kann man voraussagen, wann der Außendienst eine:n bestimmte:n Ärztin/Arzt anrufen soll und welche Information diese:r dann braucht. So kann KI z.B. auch dabei helfen, unterschiedliche Touch Points zu verknüpfen und deren Wertigkeit zu analysieren.“ Fiona Reichholf, MBA, Pharma- und Healthcare-Agentur CAKE, sieht dies ähnlich: „KI kann uns dabei unterstützen, personalisierte ­Customer Journeys zu gestalten.“

Chatbots auch für Fachgruppen möglich

Auch Customer-Engagement-Plattformen zwischen Ärzt:innen und Pharmaunternehmen sind in Zurths Augen sinnvoll, da sie den Mitarbeiter:innen Zeit ersparen: „Über solche Plattformen können HCPs Fragen stellen und man kann beispielsweise ermitteln, welche Fragen zu welchem Produkt häufig gestellt werden, welche Antworten als hilfreich eingestuft werden usw. Erst wenn die KI die Fragen der HCPs nicht beantworten kann, wird an einen Menschen weitergegeben.“ Dirisamer betont, dass Chatbots in verschiedenen Nuancen bereits im Pharmamarketing eingesetzt würden, z.B. auf Webseiten für Patient:innen, aber auch Medical Chatbots für Ärzt:innen. „Bei spezifischen Fragen zu Nebenwirkungen muss dann an eine:n Mitarbeiter:in aus dem Medical weitergeleitet werden“, erläutert Dirisamer.

Bestmögliche Customer Experience

„KI hat viel Potenzial bei der Analyse von medizinischen Daten und von Real-World-Daten. Denn letztendlich wollen wir Pharmaunternehmen die bestmögliche Customer Experience bieten“, so Dirisamer weiter. Einen bereits etablierten und kundenfreundlichen Einsatzbereich von KI sieht er daher auch bei Digital Disease ­Assessment: „Dabei geht es im Grunde ­darum, dass Patient:innen online Symptome eingeben können, die von einer KI analysiert werden. Je nachdem, welche Daten der oder die Betroffene angibt, wird dann die Antwort ausgespielt, z.B. ‚Möglicherweise haben Sie XY, bitte kontaktieren Sie eine:n Ärztin/Arzt.‘“ Solche Anwendungen durchlaufen ein strenges Zulassungsverfahren und erfordern in der Entwicklung spezielles Know-how. „Wir von Novartis arbeiten dabei mit externen Technologieanbietern, meistens Start-ups, zusammen. Im Hintergrund läuft bei solchen Assessments Deep Learning, ebenfalls eine Form von KI, ab. Derartige Tools könnten in Zukunft sehr wichtig für die Früherkennung werden“, betont Dirisamer, der gerade im Bereich Früherkennung ein wichtiges Zukunftsfeld der KI im Pharmabereich sieht. „Ich denke hier an Erinnerungsfunktionen und vieles mehr – alles Tools, die die Kundenzufriedenheit erhöhen, indem sie für Betroffene den Weg zur Diagnose verkürzen und den Umgang mit ihrer Erkrankung vereinfachen.“

Individuelle Zielgruppenansprache

Für Reichholf sind auch zielgruppenspezifische Formulierungen in der Kundenkommunikation sehr wichtig, auch hierbei könnte KI unterstützen: „Personen, die nach Inhalten suchen, sollen solche angezeigt bekommen, die für sie relevant sind und die zielgruppengerecht formuliert sind. Das bedeutet, Personen aus Politik, Wirtschaft etc. sollten anders angesprochen werden als ­Gesundheitsberufe.“
Gorfer ist derselben Meinung: „KI ermöglicht es uns bereits jetzt, z.B. Newsletter unterschiedlich aufzubauen, Headlines je nach Zielgruppe zu formulieren oder sogar individuell je nach Zielperson zu verändern. Auch Landing Pages können unterschiedlich befüllt werden. Doch man darf eines nicht vergessen: Auch wenn Formulierungen individuell je nach Zielgruppe verändert werden können, muss das jeweilige Gefühl der Botschaft übermittelt werden. Und dafür braucht es nach wie vor das menschliche Gehirn!“
Michael Mehler, Geschäftsführer der Werbeagentur ghost.company, hält den Einsatz von KI bei der Zielgruppenkommunikation durchaus für möglich, stellt aber die Frage nach der Sinnhaftigkeit: „Wir schaffen die zielgruppenspezifische Adaptierung von Texten, Kampagnen etc. auch jetzt sehr gut – ohne KI. Warum sollten wir also KI verwenden?“ Hier schließt sich der Kreis, denn an diesem Punkt sind sich alle Befragten einig: KI im Pharmamarketing, ja – aber nur dort, wo sie für die Menschen eine Optimierung bringt.