Die Spitzenforscherin und die Baustellen

Der Mangel an Ärzt:innen sowie Pflegekräften in den Spitälern sei „in einzelnen Bereichen besorgniserregend“, wetterte im vergangenen Herbst der Rektor der Medizinischen Universität Graz, Univ.-Prof. Dr. Hellmut Samonigg. Er kritisierte, dass einzelne Stationen geschlossen werden mussten, und konstatierte dem Land Steiermark, „dass es momentan gar nicht darum geht, die Situation gravierend zu verbessern, das gelingt akut gar nicht“. Es gehe vielmehr darum, „die Abwärtsspirale zu stoppen und Maßnahmen zu setzen, damit es nicht noch schlimmer wird“. Bereits im Herbst 2022 hatte Samonigg fehlende Mittel an den heimischen Medizinuniversitäten kritisiert. Kurz darauf warf er das Handtuch. Er, der seit 2016 an der Spitze der Med Uni Graz stand, wolle seiner zweiten keine weitere Funktionsperiode folgen lassen, teilte Samonigg mit.

Vor einem Jahr wurde die Funktion dann neu ausgeschrieben. Der Universitätsrat hat schließlich die Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin Univ.-Prof.in Dr.in Andrea Kurz einstimmig aus dem Dreiervorschlag des Senats zur neuen Rektorin der Medizinischen Universität Graz gewählt. Die erste Frau an der Spitze der Med Uni Graz hatte bereits mehrere Leitungsfunktionen an Universitäten in der Schweiz (Universitätsspital Bern) und den USA (Washington University, Cleveland Clinic) inne. An der Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Medizinischen Universität Graz leitet sie seit 2020 zusätzlich eine Forschungseinheit. In deren Rahmen beschäftigt sich Kurz mit aktuellen Themen der ­Anästhesie, etwa mit der Optimierung der Dosierung bei geburtshilflicher Epidural­anästhesie, mit neuen Möglichkeiten der ­Anästhesie und Schmerztherapie beim ­Kaiserschnitt, aber auch mit innovativen Konzepten für periphere Regionalanästhesie bei orthopädischen und unfallchirurgischen Eingriffen.

Vorreiterrolle in medizinischer Bildung und Forschung

Die gebürtige Wienerin absolvierte ihr Medizinstudium und ihre Ausbildung zur Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin an der Medizinischen Universität Wien, an der sie sich auch habilitierte. Kurz überzeugte den Grazer Universitätsrat im Hearing letztendlich nicht nur mit ihrer beachtlichen Forschungskarriere und ihrer in verschiedenen wissenschaftlichen und klinischen Einheiten bewiesenen Führungskompetenz, sondern auch mit ihren Soft Skills, insbesondere ihrer Mitarbeiter- und Patientenorientierung. Die Wahl erfolgte einstimmig.

Doch Kurz gilt nicht nur als erfahrene Managerin, sondern auch als Spitzenforscherin. Sie betreibt seit rund 25 Jahren klinische Forschung auf höchstem Niveau und hat mehr als 250 wissenschaftliche Artikel publiziert, darunter in renommierten Fachzeitschriften wie dem New England Journal of Medicine und Lancet.

In der Position der Rektorin will die Medizinerin die Gesamtausrichtung der Universität lenken, um nicht nur aktuelle Herausforderungen zu bewältigen, sondern auch langfristig eine Vorreiterrolle in der medizinischen Bildung und Forschung einzunehmen. „Das Wohl unserer Patient:innen und der Gesellschaft muss bei allen diesen Bemühungen immer im Vordergrund stehen. Daher stehen auch unsere Mitarbeiter:innen und deren Entwicklung und Wohlergehen im Mittelpunkt künftiger Pläne“, sagt sie. Denn es seien die Beschäftigten, welche die Med Uni Graz „zu künftigen Erfolgen und Höhen führen werden“, betont die Rektorin. Die Förderung von Innovation und Nachhaltigkeit in der klinischen Praxis, die weitere Etablierung der Med Uni Graz als führende Forschungseinrichtung unter Berücksichtigung nationaler und globaler Entwicklungen, die Sicherung finanzieller Stabilität sowie die Gestaltung einer zukunfts­orientierten und qualitativ hochwertigen Ausbildung sind zentrale Kernthemen ihrer Arbeit in den nächsten vier Jahren.

Wunsch nach mehr Forschungsförderung

Man könne Österreich und die USA schwer vergleichen, da ein riesiges Land wie die USA ganz andere Rahmenbedingungen bieten könne, erklärte sie nach ihrer Wahl: „Wir haben in Österreich viele exzellente Forscherinnen und Forscher und auch eine gute In­frastruktur.“ Allerdings – und hier ist sie sich offenbar mit ihrem Vorgänger einig – fehlen die Mittel und vor allem öffentliche Forschungstöpfe. „Nicht nur ist Funding durch öffentliche Institutionen vermehrt in den USA und auch in der Schweiz vorhanden, auch die Industrie spielt eine enorme Rolle. Zum Beispiel kommen die 20 meistverdienenden CEOs in der Medizin in den USA aus der Industrie“, wird sie in einem Zeitungsinterview zitiert. Man dürfe aber nicht vergessen, dass der Medizinmarkt in den USA ein Vielfaches von dem in Österreich ausmacht.

Doch Kurz findet auch gute Rahmenbedingungen vor. Der Campus in Graz wurde in der Zeit ihres Vorgängers um rund 500 Mio. Euro neu gebaut und auch das politische Klima im Hinblick auf Forschung ist nach der Pandemie besser geworden. Medizinische Forschung mache heute etwa ein Drittel der gesamten Forschungsleistung Österreichs aus, so Kurz. Österreichische Mediziner:innen seien vor allem in den Bereichen Onkologie, medizinische Neurowissenschaften und kardiovaskuläre Medizin international sehr präsent und zum Teil führend. In Österreich gebe es aber die Herausforderung, dass nur wenige Fördergeber wie etwa der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) oder die Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) medizinische Forschung unterstützen. Es werde deshalb auch wichtig sein, stärker mit der Industrie zusammenzuarbeiten.

Wissenschaftsskepsis abbauen

Nach ihren Plänen gefragt, betont Kurz in Interviews immer wieder, dass es gelte, die Wissenschaftsskepsis in der Bevölkerung abzubauen. Ein wichtiger Punkt sei auch eine Konzentration auf Schwerpunkte wie spezielle Forschungsfelder. Die Med Uni Graz etwa habe auf Basis bisheriger exzellenter Leistungen und erkennbarer Potenziale die Forschungsfelder „Stoffwechsel & Kreislauf“, „Neurowissenschaften“, „Krebsforschung“ sowie übergeordnet „Nachhaltige Gesundheitsforschung“ und jüngst „Mikrobiom & Infektion“ definiert. „Für erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit ist es heute auch entscheidend, dass sich Forscher:innen aus unterschiedlichen Disziplinen und Universitäten vernetzen und gemeinsame Projekte einreichen“, so die Rektorin abschließend.