Ein Vorkämpfer für ein digitales Gesundheitssystem

Rund 12% des Bruttoinlandsprodukts entfallen auf den Gesundheitsbereich. Ein etwa gleich großer Prozentsatz aller unselbstständigen Beschäftigten in Österreich arbeitet im Gesundheitswesen. Legt man das auf die Volksvertretung – den Nationalrat – um, müssten knapp 20 Abgeordnete aus dem Gesundheitswesen kommen. Tatsächlich sind es deutlich weniger. Aus dem ärztlichen Bereich sind es gerade einmal drei: Neben der SPÖ-Parteivorsitzenden Dr.in Pamela Rendi-Wagner und der FPÖ-Abgeordneten Dr.in Dagmar Belakowitsch sitzt für die ÖVP Univ.-Prof. Dr. Josef Smolle (64) im Nationalrat. Nach dem Wechsel von Gaby Schwarz (ÖVP) in die Volksanwaltschaft im vergangenen Juli wurde er im ÖVP-Parlamentsklub zum Bereichssprecher für Gesundheit gewählt und hat damit maßgeblichen Einfluss auf die Gesundheitspolitik der Regierung. Die Chance, Dinge zu verändern, war es auch, die Smolle dazu bewogen hat, 2017 für die ÖVP zu kandidieren.

Niederschwelliges ­Versorgungs­angebot

Ein entscheidendes Wirkungsziel sei für ihn ein solidarisches, hochqualitatives und niederschwelliges Versorgungsangebot für alle Menschen in diesem Land, die es brauchen, sagte Smolle zuletzt im Zuge der Budgetdebatte im Parlament. „Als eines der reichsten Länder der Europäischen Union können wir uns jetzt und auch in Zukunft die Medizin, die unsere Bevölkerung braucht, leisten. Gesundheit ist ein superiores Gut, und dementsprechend ist ein Wachstum der finanziellen Mittel parallel zur Wirtschaftsleistung – und gegebenenfalls auch etwas darüber – gesellschaftlicher Konsens“, betont Smolle im PHARMAustria-Gespräch.

Beruflicher Werdegang

Der gebürtige Steirer wuchs in Leibnitz auf und studierte in Graz Medizin, absolvierte den Turnus am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Graz-Eggenberg und danach die Facharztausbildung an der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie. Dort wurde er 1997 auch außerordentlicher Universitätsprofessor. 2002 schloss er den Universitätslehrgang Krankenhausleitung an der Donau-Universität Krems ab und wurde Mitglied des Obersten Sanitätsrats der Republik. 2006 wurde Smolle dann zum Universitätsprofessor für Neue Medien in der Medizinischen Wissensvermittlung und -verarbeitung am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Dokumentation der Medizinischen Universität Graz (MUG) berufen und zum Leiter der Abteilung Virtueller Medizinischer Campus (VMC) bestellt. Von 2008 bis 2016 war er Rektor der MUG.

Digitalisierung sinnvoll einsetzen

Im Parlament sorgte Smolle bereits kurz nach seiner Wahl für Aufregung. Damals wollte die Koalition aus ÖVP und FPÖ den noch von ÖVP und SPÖ fixierten Nichtraucherschutz in der Gastronomie lockern und Ärztekammer und Krebshilfe machten gerade mit einem Raucherschutz-Volksbegehren dagegen Stimmung. Als Mediziner tat sich Smolle schwer, der ÖVP-Parteilinie zu folgen. Er blieb der Debatte und der Abstimmung fern und enthielt sich so der Stimme – auch weil er bereits vorausgesehen habe, dass sich früher oder später das Rauch­verbot in der Gastronomie durchsetzen würde, wie er später argumentierte. Und er sollte recht behalten: Das generelle Gastronomie-Rauchverbot wurde vom Nationalrat nach dem Ende der türkis-blauen Bundesregierung bereits im Juli 2019 wieder beschlossen.
War Smolle insgesamt in den vergangenen Jahren gesundheitspolitisch wenig in Erscheinung getreten, so kann er es jetzt als Gesundheitssprecher umso mehr. Und da rückt auch wieder die Digitalisierung ins Zentrum. „Um Innovationen im medizinischen Bereich voranzutreiben, ist es wichtig, den Beruf des Mediziners beziehungsweise der Medizinerin weiter attraktiv und Absolvent:innen auch im Gesundheitsberuf zu halten“, sagte er zuletzt bei einer Veranstaltung der Karl Landsteiner Gesellschaft. Voraussetzung sei, dass sich Ärzt:innen auf ihre eigentliche ärztliche Arbeit konzentrieren können und nicht unnötige Zeit mit administrativen Aufgaben verbringen müssen. „Hierbei kann die Digitalisierung helfen, wenn sie richtig eingesetzt wird“, so der ­Mediziner. Diese solle den Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, Arbeit abnehmen und ihnen dadurch mehr Zeit für ihre eigentliche Tätigkeit ermöglichen. „Sämtliche Gesundheitsberufe und insbesondere Ärzt:innen und Pflegekräfte sind in ihrem beruflichen Alltag mit überbordenden bürokratischen, organisatorischen und dokumentarischen Maßnahmen eingeengt. Hier gilt es, wieder mehr Freiraum für die Kernaufgaben zu schaffen, was sich positiv auf Arbeitszufriedenheit und Attraktivität auswirken würde“, erklärt Smolle im PHARMAustria-Gespräch.
An der MedUni Graz trieb er als Universitätsprofessor für Neue Medien in der ­Medizinischen Wissensvermittlung und -verarbeitung einst den Ausbau von E-Learning-Angeboten voran. Bei einer ­Reform des medizinischen Curriculums wurden E-Health-Anwendungen aufgewertet. Die Digitalisierung denkt er aber noch weiter: Durch eine zuletzt erfolgte Novellierung des Gesundheitstelematikgesetzes soll es in Zukunft auch Apotheken ermöglicht werden, verabreichte und schriftlich dokumentierte Impfungen im elektronischen Impfpass nachzutragen. Außerdem soll die Einschränkung, dass Hebammen nur bestimmte Impfungen nachtragen und vidieren dürfen, entfallen. Apotheken konnten bisher sowohl auf die ELGA-­Medikationsdaten als auch auf das zentrale Impfregister nur zwei Stunden lang zugreifen; nun soll die Zugriffsdauer für beide Fälle auf 28 Tage verlängert werden.

Flächendeckende kassenärztliche Versorgung sichern

Die Reform der Sozialversicherung verteidigt Smolle: „Durch sie ist eine entscheidende Weichenstellung zur Harmonisierung der Versicherungsleistungen erfolgt. So ist etwa bei den Heilbehelfen, bei denen die Österreichische Gesundheitskasse österreichweit Verträge abschließen kann, eine Anhebung der Leistungen in den Bundesländern auf ein gemeinsames Niveau gelungen.“ Es gibt aber auch noch Knackpunkte, räumt er ein: „Nicht trivial ist die Vertragsgestaltung mit der niedergelassenen Ärzteschaft, die weiterhin mit den Landesärztekammern erfolgt. Hier besteht Handlungsbedarf, um die flächendeckende kassenärztliche Versorgung zu sichern. Es liegt ein zeitgemäßer Entwurf eines ärztlichen Leistungskatalogs vor, und dieser muss in den nun anstehenden Vertragsverhandlungen mit entsprechenden Honoraren unterlegt werden. Dies wiederum muss Hand in Hand gehen mit flexiblen Vertragsverhältnissen sowie innovativen Kooperations- und Teilzeitformen einschließlich Primärversorgungseinheiten. Der bundesgesetzliche Rahmen dazu ist geschaffen, und dieser muss von den Vertragspartnern genutzt werden.“

Ambulant vor stationär

Das Bundesbudget für 2023 sieht er als Schritt in diese Richtung. Ein Motto im Gesundheitsbereich sei „ambulant vor stationär“ – im Interesse des Gesundheitswesens und der Patient:innen. Mittlerweile würden beispielsweise 40% der Knie-Arthroskopien ambulant durchgeführt – „das heißt, wir sind am richtigen Weg“. So gebe es etwa auch mehr Geld für den Ausbau von Primärversorgungseinheiten. Dass das Budget des Bundes für Gesundheitsthemen im kommenden Jahr um 1,7 Mrd. Euro geringer ist als 2022, liege daran, dass vieles, was in Zeiten der Coronapandemie notwendig war, jetzt nicht mehr erforderlich ist. Es sei im Gesundheitsbereich sozusagen eine zunehmende Entwicklung zur Normalität zu beobachten. Man könne also auch Bereiche ausbauen, so Smolle.
Der ÖVP-Gesundheitssprecher ist übrigens nicht das einzige Mitglied seiner Familie, das im Gesundheitswesen engagiert ist und sich für den Ausbau des Systems einsetzt. Seit 1988 ist er mit der Universitätsprofessorin und Leiterin der Klinischen Abteilung für Thorax- und hyperbare Chirurgie an der Medizinischen Universität Graz, Freyja-­Maria Smolle-Jüttner, verheiratet, mit der er vier Kinder hat; drei von ihnen sind selbst Mediziner geworden. Smolle-Jüttner ist zudem Präsidentin der Ludwig Boltzmann Gesellschaft und damit stark in Forschung und Innovation eingebunden. Die Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) entwickelt und erprobt in aktuell 20 Instituten mit akademischen und anwendenden Partner:innen neue Formen der Zusammenarbeit zwischen der Wissenschaft und nicht-wissenschaftlichen Akteur:innen wie Unternehmen, dem öffentlichen Sektor und der Zivilgesellschaft. In Zukunft wird die LBG durch Gründung von Instituten neuen Typs sowie durch Förderung klinischer Forschungsgruppen wegweisende Entwicklungen im Sektor der Medizin ermöglichen.