Interdisziplinarität in Palliative Care aus Sicht des Arztes

„Ich war mehr als nur Ich, ein großes Glücksgefühl durchströmt mich.“ (Oskar Maria Graf). Die Behandlung und Betreuung von PalliativpatientInnen und ihren Familien ist eine hochkomplexe und herausfordernde Aufgabe, für die eine fundierte palliativmedizinische Ausbildung Voraussetzung ist. Auch wenn sich in Österreich die Aus-, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten in Palliative Care im letzten Jahrzehnt gut entwickelt haben, Medizinstudierende mittlerweile auch palliativmedizinische Lehrveranstaltungen besuchen, fehlt als ganz wesentliches Element hoher palliativmedizinischer Qualität nach wie vor die einschlägige Ausbildung und die Anerkennung von ÄrztInnen zu FachärztInnen für Palliativmedizin. Diese gesellschafts- und standespolitische Entwicklung – die in vielen europäischen Ländern bereits eine Selbstverständlichkeit ist – wird für eine flächendeckende und hochqualitative Palliativversorgung auch in Österreich unerlässlich sein. Darüber hinaus ist es für einen Palliativmediziner eine exzellente Chance – und eine Notwendigkeit –, in einem funktionierenden Palliativteam ärztlich tätig sein zu können. Gerade in der Behandlung und Betreuung von PalliativpatientInnen und ihren Familien sind wir als ÄrztInnen angesichts der Vielzahl der verschiedenen Problemfelder in dieser Lebensphase auf intensive Zusammenarbeit in einem effektiven und interdisziplinären multiprofessionellen Team angewiesen. Eingebettet in diesen Rahmen der Teamarbeit sind wesentliche ärztliche Aufgaben:

• Entscheidung über Aufnahme und Entlassung von PatientInnen
• Aufnahme, Erstuntersuchung, Anamnese und Statuserhebung, Festlegung der Diagnostik
• Festlegung, regelmäßige Erfolgskontrolle und nötige Änderungen der medikamentösen Therapie zur Symptomkontrolle
• Absprache und Erklärung aller Maßnahmen mit PatientInnen und Angehörigen
• Wahrhaftige Gespräche mit PatientInnen (oft auch sog. Aufklärungsgespräche im Sinne des Breaking bad news) – falls von PatientInnen gewünscht im Beisein der Angehörigen
• Übernahme der Verantwortung für – mit PatientIn, Angehörigen und im Team – getroffene therapeutische Entscheidungen (Fortführung der Therapie, Änderung des Therapiezieles, Nichtanwendung von möglichen Maßnahmen)
• Konsiliarische Tätigkeit sowie Fachdialog mit ärztlichem Personal im Krankenhausbereich, mit niedergelassen KollegInnen und allen anderen Berufsgruppen, welche PalliativpatientInnen betreuen
• Einbringen der palliativmedizinischethischen Kompetenz im Rahmen von ethischen Fragestellungen, Therapiezieländerungskonsilien, klinischen Ethikkomitees
• Ärztliche Leitung einer Palliativstation oder eines mobile Palliativteams
• Verbindliche Teilnahme an regelmäßiger interdisziplinärer Supervision
• Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie ggf. Forschung
• Wahrnehmen gesellschaftlicher und gesellschaftspolitischer Aufgaben, die der Verbreitung der Palliativmedizin dienen

Entscheidungen, auch bezüglich des weiteren diagnostischen und therapeutischen Vorgehens, des Therapieziels oder geplanter Entlassungen nach Hause oder z. B. ins Pflegeheim werden transparent mit PatientInnen und Angehörigen besprochen und im Team diskutiert und letztendlich im Team gemeinsam getroffen.

Teamarbeit praxisnah Fallbericht einer Patientin mit Mammakarzinom

Bei der angeführten Patientin steht aus ärztlicher Sicht primär die wirksame Symptomkontrolle im Vordergrund. Von Seite des Primärtumors und der multiplen Knochenmetastasen bestehen Nozizeptorschmerzen, die durch analgetische Maßnahmen nach dem WHO-Stufenschema gut kontrollierbar sind. Eine regelmäßige laxative Therapie wird durchgeführt. Eine Aszitespunktion war bald nach der Aufnahme komplikationslos durchgeführt worden.
Im Rahmen der multiprofessionellen und interdisziplinären Teamarbeit werden die anstehenden Probleme bei der gemeinsamen Mittagsbesprechung besprochen. Angesichts des Alters der beiden Kinder steht insgesamt auch die psychische Situation im Vordergrund. Die Patientin will zu Beginn des Aufenthaltes rasch wieder entlassen werden, was aus ärztlicher Sicht angesichts der funktionierenden Symptomkontrolle vorerst möglich erscheint.
Die Hauptaufgabe der Sozialarbeiterin war es nun, die weitere Möglichkeit der häuslichen Betreuung abzuklären bzw. zu organisieren. In enger Absprache mit den Palliativpflegepersonen wurden die pflegerischen Notwendigkeiten erhoben. Dann verschlechterte sich – wie oben bereits beschrieben – der Allgemeinzustand der Patientin sehr rasch, aber insgesamt adäquat und nicht unerwartet. In dieser Phase war das ärztliche Gespräch mit der Patientin und wie gewünscht gemeinsam mit dem Ehemann sehr wichtig. In diesem Gespräch wird die aktuelle Situation sehr offen besprochen. Der Patientin ist die Verschlechterung ihres Zustandes sehr bewusst, sie hat auch den kontinuierlichen Verlauf der letzten Wochen diesbezüglich so wahrgenommen. In dieser Zeit war es dem Ehepaar nicht leicht gefallen, dieser Realität so ins Auge zu sehen. Deshalb sind beide bei aller Traurigkeit sehr dankbar, dass in den nun laufenden Gesprächen klar und offen gesprochen wird, und beide realisieren, dass die verbleibende Zeit nun sehr begrenzt ist.
Alle Teammitglieder haben in weiterer Folge die Aufgabe, die Patientin und ihre Familie während diesem raschen Verlauf zu begleiten. Es werden unter Einbeziehung der bereits bekannten niedergelassenen Psychologin auch gemeinsame Gespräche mit den beiden Kindern im Beisein der Eltern geführt, in denen die Situation ihrer Mutter auch kindgerecht ausgesprochen wird.
Eine Entlassung ist angesichts der raschen Verschlechterung des Zustandes sowohl von Patientin als auch Ehemann nun nicht mehr gewünscht. Deshalb wird das Verbleiben der Patientin auch im interdisziplinären Team so besprochen. Von Seite der Pflege ist nun das Hauptaugenmerk sehr auf weitere effektive palliative Pflegemaßnahmen gelegt. Eine kreative aktive Mundpflege, verschiedene Lagerungstechniken und das Miteinbeziehen der Angehörigen in die Pflege der mittlerweile völlig bettlägerigen Patientin sind wesentliche Faktoren lebensqualitätsfördernder Maßnahmen. Ebenso ist das Vertrauen auf die speziellen Kompetenzen der Sozialarbeit entlastend für alle anderen Berufsgruppen. In einer gemeinsamen Teambesprechung, an der die Pflegepersonen, die Sozialarbeiterin, der Seelsorger und die ÄrztInnen anwesend sind, wird das aktuelle Vorgehen evaluiert. Dank der wahrhaftigen und klaren Gesprächssituation mit der Patientin, dem Ehemann und auch den Kindern, ist es insgesamt gelungen, eine großteils entspannte – wenn auch naturgemäß sehr traurige – Stimmung bei der Familie zu ermöglichen und alle Beteiligten bestmöglich zu unterstützen. Die Patientin verstirbt ruhig und ohne Anzeichen von Stress.
Effektive Schmerztherapie und Symptomkontrolle, wahrhaftige Gesprächsprozesse mit PatientInnen und ihren Angehörigen, Verständnis im gesamten interdisziplinären Team für das jeweilige und sich ändernde Therapieziel und darauf gut abgestimmte Teamarbeit sind im Vertrauen auf die spezifische Fachkompetenz jeder Einzelnen die Schlüssel zu guter palliativer Betreuung.
„Sei Spezialist, wenn’s sein muss im Neben amt, aber im Hauptamt sei Mensch.“ (Christian Morgenstern)