Wann ist der richtige Zeitpunkt für Palliativmedizin?

Zahlreiche Studien verdeutlichen, dass eine Einbeziehung palliativmedizinischer Ansätze in die Betreuung der Patienten bisher relativ spät im Krankheitsverlauf geschah. Negative Auswirkungen waren Einbußen in der Lebensqualität und in der Betreuung der Patienten1–3.

Frühe palliativmedizinische Betreuung: Neuere Studien zeigen nun, dass eine frühzeitige – möglichst ab Diagnosestellung – palliativmedizinische Betreuung bei onkologischen PatientInnen einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat. Temel et al.4 führten eine Studie bei ambulanten Krebspatienten durch, die mit der Erstdiagnose eines metastasierten nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) konfrontiert waren. Die Probanden wurden in zwei Gruppen randomisiert: Ein Teil wurde laut Protokoll nach „standard oncologic care“ behandelt, und der andere Teil erhielt „standard oncologic care“ kombiniert mit „early palliative care“. Das Design der Studie sah vor, im Palliativzweig Ambulanztermine in einem bestimmten Setting mit vorgegebenem Ablauf zu absolvieren. Drei Wochen nach Studieneintritt erfolgte das Erstgespräch. Ein Palliativmediziner und eine Pflegeperson waren gemeinsam Ansprechpartner für den Patienten. Während der Erstbegutachtung erfolgte ein Screening via standardisierte Fragebögen auf gängige Symptome bei Palliativpatienten und die Erhebung der Lebensqualität. Es wurden gemeinsam Therapieziele erstellt, „End of Life“-Diskussionen geführt und die Behandlung individuell auf den Patienten abgestimmt. Weitere solcher Treffen fanden dann zumindest einmal monatlich bis zum Tod statt. Simultan erhielt der Patient der kombinierten Gruppe „standard oncologic care“ durch den betreuenden Onkologen. Nach 12 Wochen erfolgte laut Studienprotokoll nochmals eine genauere Befragung mittels der bereits im Screening verwendeten Fragebögen.

Das Ergebnis ließ aufhorchen: Die Gruppe mit kombinierter onkologischer/palliativmedizinischer Betreuung hatte klare Vorteile. Zum einen wurde bei diesem Zweig eine bessere Lebensqualität festgestellt, und es war auch weniger Belastung durch depressive bzw. ängstliche Störungen vorhanden. Weiters fand sich in dieser Gruppe weniger „aggressive end-of-life-care“, die wie folgend definiert wurde: Chemotherapie bis 14 Tage vor dem Tod, keine „hospice care“ oder Aufnahme ins Hospiz drei Tage oder weniger vor dem Tod. Die Festlegung der Therapieziele und die Diskussionen über die Wünsche, das eigene Sterben betreffend, führten dazu, dass in der palliativonkologischen Gruppe mehr Dokumentationen über DNR-Regelungen (geplanter Verzicht auf kardiopulmonale Wiederbelebung) erfolgten. Außerdem hatte jener Teil der Patienten, der eine frühe palliativmedizinische Behandlung erhielt, einen Überlebensvorteil von knapp zwei Monaten gegenüber der anderen Gruppe. Vor allem letzteres Ergebnis schlug in den nachfolgenden Diskussionen hohe Wellen. Weitere Untersuchungen auch andere Tumorentitäten betreffend sollten folgen, um Vergleichsdaten zu erhalten.

Mit der Frage des richtigen Zeitpunkts für Palliativmedizin befassten sich auch eine Reihe von Experten. Im Jänner 2011 erschien eine Stellungnahme der American Society of Clinical Oncology (ASCO) mit dem Titel „Toward Individualized Care for Patients with Advanced Cancer“5. Auch hier wird betont, den palliativmedizinischen Einflussbereich zu vergrößern. Das palliativmedizinische Konzept soll nicht erst in einem Stadium zum Tragen kommen, in dem die Lebenszeit des Patienten nur mehr auf Tage bis Wochen begrenzt scheint. Ab Diagnosestellung soll ein Evaluieren und stetes Optimieren der vorherrschenden Symptome und deren Behandlung erfolgen. Gespräche über Therapieziele (darunter auch Aufklärung über Prognose und Behandlungsoptionen) und Entscheidungen am Lebensende sollen an der Tagesordnung stehen, um auf diesem Wege die Lebensqualität zu verbessern und aggressive Therapien am Lebensende zu vermeiden.

Kostenfaktor und Lebensqualität: Doch nicht nur die oben beschriebenen Vorteile wie Verbesserung der Lebensqualität und Minimierung von aggressiven Behandlungsmethoden sprechen für eine frühe Einbeziehung von palliativmedizinischen Behandlungskonzepten. Auch der Kostenfaktor spielt im Spannungsfeld „Kurative Medizin – Palliativmedizin“ eine wichtige Rolle. Zum Beispiel führen Diskussionen über Therapieentscheidungen am Lebensende nicht nur zu einer nachgewiesenen Verbesserung der Lebensqualität6, sondern haben auch positive Auswirkungen auf das Gesundheitssystem generell. In ihrer Studie zeigten Zhang et al.7, dass durch die aufklärenden Gespräche über Optionen am Lebensende die Kosten für die Ausgaben im medizinischen Bereich in der letzten Lebenswoche deutlich gesenkt werden können. Und nicht nur das – niedrigere Kosten gehen mit einer höheren Lebensqualität einher.

Resümee

In Summe kann wohl die Frage „Wann ist der richtige Zeitpunkt für Palliativmedizin?“ mit einem „So früh wie möglich.“ beantwortet werden. Diese Forderung sollte nicht missinterpretiert werden, die Patienten in einem einzigen Gespräch mit Informationen zu überschütten und Antworten auf Therapieentscheidungen am Lebensende zum Zeitpunkt der Diagnosestellung zu erhalten. Aufklärung bedeutet in diesem Setting eine wiederkehrende Diskussion über Prognose und Krankheitsverlauf, die sich von Mal zu Mal vertieft. Somit sollte das Postulat nach einer möglichst frühen palliativmedizinischen Betreuung als Aufforderung dienen, individuell mit dem Patienten einen Therapieplan zu erstellen und daran zu denken, dass schwierige Gespräche über Prognose und Sterben positive Auswirkungen auf die Lebensqualität unserer Patienten haben.


1 Interval between first palliative care consult and death in patients diagnosed with advanced cancer at a comprehensive cancer center. Osta BE et al., J Palliat Med 2008; 11(1):51–7
2 Late referrals to specialized palliative care service in Japan., Morita T et al., J Clin Oncol 2005; 23(12):2637–44
3 Aggressiveness of cancer care near the end of life: is it a quality-of-care issue? Earle CC et al., J Clin Oncol 2008; 26(23):3860–6. Review. Erratum in: J Clin Oncol 2010; 28(19):3205
4 Early palliative care for patients with metastatic non-small-cell lung cancer. Temel JS et al., N Engl J Med 2010; 363(8):733–42
5 American Society of Clinical Oncology Statement: Toward Individualized Care for Patients With Advanced Cancer. Peppercorn JM et al., J Clin Oncol 2011 Jan 24. [Epub ahead of print]
6 Associations between end-of-life discussions, patient mental health, medical care near death, and caregiver bereavement adjustment. Wright AA et al., JAMA 2008; 300(14):1665–73
7 Health care costs in the last week of life: associations with end-of-life conversations. Zhang B et al., Arch Intern Med 2009; 169(5):480–8