TYROL-study, Twenty Years Retrospective of Lung Cancer

Das Lungenkarzinom ist nach wie vor eine der häufigsten tumorassoziierten Todesursachen in Österreich. Laut der aktuellsten Publikation des Tumorregisters der Statistik Austria erkrankten im Jahre 2015 2.956 Männer und 1.904 Frauen in Österreich an einem bösartigen Lungentumor. Hinsichtlich der Mortalität ist das Lungenkarzinom beim männlichen Geschlecht nach wie vor die häufigste tumorassoziierte Todesursache und bei Frauen nach dem Mammakarzinom die zweithäufigste Krebstodesursache. Über die letzten Jahre lässt sich auch eine äußerst ungünstige Entwicklung hinsichtlich der Anzahl der Neuerkrankungen und der Prognose speziell bei Frauen ablesen. Beim weiblichen Geschlecht stieg sowohl die altersstandardisierte Neuerkrankungs- als auch die Sterberate um 33 % bzw. 30 %. Im Gegensatz dazu wurde bei Männern ein Rückgang der Inzidenz um 10 % und ein Rückgang der altersstandardisierten Sterberate um 17 % verzeichnet.
Neben den österreichweiten epidemiologischen Analysen dienen krankenhausbasierte Register zur kritischen Evaluierung der Patientenversorgung in der klinischen Praxis und erlauben detaillierte Analysen zu speziellen Fragestellungen, die ansonsten in Studien nicht adressiert werden. Aus diesem Grund werden seit den frühen 2000er Jahren klinische Daten von Lungenkarzinompatienten der Universitätsklinik Innsbruck und affiliierter Zentren sowohl retrospektiv als auch prospektiv in der TYROL-study (Twenty Years Retrospective of Lung Cancer) erfasst. Es wird eine Vielzahl an klinischen Parametern und therapierelevanten Aspekten sowohl zum Zeitpunkt der Diagnose als auch im weiteren Krankheitsverlauf detailliert erhoben. Durch den langen Beobachtungszeitraum lassen sich auch zeitliche Trends hinsichtlich der Epidemiologie und Prognose der Patienten aus der klinischen Praxis ablesen.

TYROL-study: Ergebnisse und zeitliche Trends

Nichtkleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC)

In einer umfassenden Analyse der TYROL-study bei 2.293 NSCLC-Patienten wurde das Hauptaugenmerk auf die therapeutischen Strategien und das Ansprechen der NSCLC-Patienten gelegt. Das mittlere Alter bei Diagnosestellung betrug 64,1 Jahre und 70,3 % der Erkrankungen betrafen das männliche Geschlecht. Ähnliche Ergebnisse wurden auch in der Analyse der Statistik Austria publiziert. Die radikale Tumorresektion ist noch immer die wichtigste Therapiesäule, um eine Heilung beim NSCLC zu erlangen. Immerhin betrugen die 5- und 10-Jahres-RFS-Raten 54 % und 45 %. 119 Patienten, die sich nicht für eine Operation eigneten, wurden einer stereotaktischen Radiotherapie (n = 32) oder einer Radiochemotherapie in kurativer Intention (n = 87) zugeführt. Das mediane OS dieser Patientengruppe lag bei 16,6 Monaten. Trotz der ermutigenden Überlebensdaten zur Lokaltherapie wird der Großteil der Patienten nach wie vor in fortgeschrittenen Stadien ohne kurative Optionen diagnostiziert. Das mediane Überleben bei Patienten mit primär palliativer Therapie betrug 10,0 Monate (Abb. 1). Ebenso ist die Ansprechrate mit 24,0 % ernüchternd. Aus diesem Grund wurde in den letzten Jahren das Hauptaugenmerk der Forschung auf die Entwicklung und Einführung neuer potenter Substanzen gelegt. Als Faustregel lässt sich anhand der TYROL-Studie ablesen, dass in etwa 40–50 % der palliativ therapierten Patienten eine nächste Therapielinie erreichen. Gleichzeitig nehmen mit höherer Therapielinie die Ansprechrate und das progressionsfreie Überleben kontinuierlich ab (weitere interessante epidemiologische Details sind der Factbox zu entnehmen).

 

Gemäß der österreichweiten Registerdaten stiegen die relativen 1-Jahres-Überlebensraten bei Lungenkarzinompatienten im Zeitraum von 1998–2002 und 2013–2015 von 40 % auf 50 %. Ein ähnlicher Trend zeigt sich auch in der TYROL-study. In denselben Zeiträumen stieg die 1-Jahres-Überlebensrate im Gesamtkollektiv signifikant von 65,7 % auf 73,4 % an (p = 0,002) (Abb. 2). Es bleibt abzuwarten, wie sich die breite Anwendung von Checkpoint-Inhibitoren und zielgerichteten Therapien auf die Prognose des Gesamtkollektivs der Lungenkarzinompatienten niederschlagen wird.

 

 

Kleinzelliges Lungenkarzinom (SCLC)

Das kleinzellige Lungenkarzinom wird in der österreichweiten Statistik nicht isoliert abgebildet. Jedoch entfallen in etwa 10–15 % aller Lungentumoren auf das SCLC. In der TYROL-study sind insgesamt 484 Patienten mit kleinzelliger Histologie erfasst. Die systemischen Therapiekonzepte beim SCLC haben sich in den letzten 20 Jahren nur wenig verändert. In der palliativen Therapiesituation ist die Prognose der Patienten nach wie vor schlecht. Im Median lag das Überleben nach Beginn der palliativen Therapie bei nur 9,7 Monaten. Trotz dieses bescheidenen Erfolges ist festzuhalten, dass bei Patienten, die nach der Erstlinie eine komplette Remission erreichten, das mediane OS deutlich länger war (medianes OS: 24,5 Monate). Leider erreichten aber nur 9,1 % der Patienten eine komplette Remission. Im letzten Jahrzehnt wurde die prophylaktische Ganzhirnbestrahlung als therapeutische Option in die Behandlungsempfehlungen implementiert. Auch an unserem Register ist ablesbar, dass diese therapeutische Innovation im Lauf der Zeit stetig häufiger eingesetzt wurde. In der Gruppe der radiochemotherapierten Patienten war das OS bei Patienten mit prophylaktischer Ganzhirnbestrahlung doppelt so lange wie bei Patienten ohne diese Intervention.

Ausgewählte Subanalysen

Große Register mit detaillierter Parameter­erhebung erlauben die Analyse spezieller Fragestellungen hinsichtlich Symptomen oder Komorbiditäten. Zusätzlich ermöglichen sie die statistische Auswertung von Subgruppen an Patienten, die für gewöhnlich in klinischen Studien unterrepräsentiert sind.
Im Rahmen der TYROL-study werden neben den therapierelevanten Parametern auch die Symptome bei Erstdiagnose und Komorbiditäten erhoben. Zum Diagnosezeitpunkt war protrahierter Husten (50,4 %) das häufigste Symptom, gefolgt von Atemnot (54,3 %), Schmerzen (37,8 %) und Gewichtsverlust (35,9 %). Erwähnenswert ist hierbei auch, dass bei 9,1 % der NSCLC-Patienten die Diagnose in einem asymptomatischen Stadium gestellt wurde. Wenig überraschend wurden diese Patienten in früheren Stadien als das symptomatische Kollektiv diagnostiziert. Eine Zufallsdiagnose wirkte sich ebenfalls positiv auf das Gesamtüberleben aus. Das mediane Gesamtüberleben bei Patienten mit einer NSCLC-Zufallsdiagnose betrug 38,9 Monate, im Vergleich dazu betrug das Überleben in der symptomatischen Kohorte 16,1 Monate (p < 0,001). Zusätzlich zeigte sich in einer multivariaten Analyse, dass eine tumorspezifische Symptomatik ein unabhängiger prognostischer Faktor ist (HR = 1,325; 95 % CI 1,042–1,684; p = 0,022).
Es ist bekannt, dass Patienten nach Or­gantransplantation ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Tumoren haben. Dies gilt auch für das Auftreten von Lungenkarzinomen nach Lebertransplantation. Durch eine Kooperation mit der Universitätsklinik für Gastroenterologie der Medizinischen Universität Innsbruck gelang es, 22 Patienten zu detektieren, die nach einer Lebertransplantation ein Lungenkarzinom entwickelten. Im Vergleich zur altersstandardisierten Tiroler Allgemeinbevölkerung hatten lebertransplantierte Frauen ein 4,4-fach und Männer ein 2,6-fach erhöhtes Risiko, an einem Lungenkarzinom zu erkranken. In 42,1 % der Fälle wurde ein Lungenkarzinom im Rahmen der jährlichen Nachsorgekontrollen nach Lebertransplantation diagnostiziert. Erwartungsgemäß war der Anteil an Rauchern im Vergleich zum Gesamtkollektiv der lebertransplantierten Patienten erhöht. Die Entwicklung eines Lungenkarzinoms führte zu einem signifikant kürzeren Post-Transplantations-Überleben. Das Überleben (ab der Diagnose des Lungenkarzinoms) der 22 Patienten mit Post-Transplant-Lungenkarzinom und des Gesamtkollektivs der TYROL-Studie war vergleichbar. Somit könnte das ähnliche OS bei transplantierten und transplant-naiven NSCLC-Patienten darauf hindeuten, dass eine Lebertransplantation einen geringen Effekt auf das tumor-spezifische Überleben hat.

Zusammenfassung

Registeranalysen ermöglichen einen umfassenden Überblick über das Patientenkollektiv der klinischen Praxis. Große Patientenzahlen erlauben auch die Beantwortung spezieller Fragestellungen, die in klinischen Studien meist nicht adressiert werden. Zu guter Letzt dient die TYROL-study als Qualitätskontrolle des eigenen Handelns.

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