Fallbericht: Drei unabhängige maligne Tumoren bei einer jungen Erwachsenen

Vorgeschichte: Eine 35-jährige Frau wurde wegen starker Ermüdung und Hydronephrose der linken Niere zugewiesen. Sonographisch war die Hydronephrose ausgeprägt und das Serumkreatinin betrug 180 µg/ml (Norm < 95 µg/ml). Bei der Patientin war eine nicht näher bezeichnete kongenitale Erkrankung mit Fehlbildung aller Finger und Zehen sowie Agenesie der rechten Niere bekannt. Aus der bisherigen Anamnese ist eine Hysterektomie wegen Zervixkar­zinom sowie eine Operation wegen Mammakarzinom 1996 und bilateraler ­Ovarektomie 2010 dokumentiert. Aktuell nimmt sie Tamoxifen ein.
Es wurde eine perkutane Nephrostomie links eingelegt. Im Anschluss daran verbesserten sich die Werte für Serumkreatinin und Harnstoff langsam, das Serumkreatinin blieb schlussendlich bei 120 µg/ml. Ein CT-Abdomen mit oralem Kontrastmittel (Abb. 1) und ein antegrades Pyelogramm (Abb. 2) wurden durchgeführt. Weitere Pathologien außerhalb des Harntraktes wurden vom Radiologen im CT nicht beschrieben.
Die Ureteroskopie des linken Ureters zeigte eine intraluminale Raumforderung, die biopsiert wurde. Die Histologie ergab nekrotisches, undifferenziertes Karzinomgewebe, negativ für Östrogenrezeptoren. In dieser Situation stellte sich die Frage, ob weitere Untersuchungen angezeigt waren und welche therapeutischen Möglichkeiten in Betracht kamen.

 

 

 

 

Differenzialdiagnostische Überlegungen: Diese junge Patientin mit angeborener Einzelniere präsentiert sich mit einer schmerzlosen Hydronephrose aufgrund von histologisch bestätigtem Karzinomgewebe im distalen linken Harnleiter. Früher wurde sie wegen eines rezidivierenden Mammakarzinoms und wegen eines Zervixkarzinoms behandelt. Brustkrebs im Alter von 20 Jahren ist selten und – zusammen mit den Fehlbildun­gen – lässt dies an ein Syndrom denken (z. B. Li-Fraumeni-Syndrom) mit erhöhter Anfälligkeit für weitere Tumoren wie z. B. im Kolon oder Urothel. Die Harnblase war anlässlich der Ureteroskopie tumorfrei und ein isoliertes Harnleiterkarzinom ist in diesem Alter doch selten. Möglich wäre auch eine Metastase des Mammakarzinoms im Ureter. Die wahrscheinlichste Diagnose ist aber ein Rezidiv des Zervixkarzinoms.
Die weitere Evaluation müsste demzufolge ihr Hauptaugenmerk auf folgende vier Punkte richten: Eine sorgfältige Anamnese der früheren Krankengeschichte, die klinische Untersuchung, die Immunhistochemie und Tumormarker im Serum und die Bildgebung.
Beim Zervixkarzinom ist es von großer Wichtigkeit, den genauen histologischen Typ zu erfahren (ungefähr 80–85 % sind Plattenepithelkarzinome und 15 % Adenokarzinome). Wissenswert sind auch das klinische Stadium und ob eine Lymphadenektomie und eine adjuvante Radiotherapie durchgeführt wurden.
Um die lokale Situation besser zu beurteilen, sollte eine Vaginaluntersuchung inklusive Kolposkopie gemacht werden. Die obligatorische Zystoskopie ist bereits anlässlich der Ureteroskopie durchgeführt worden.
Das nekrotische, undifferenzierte Karzinomgewebe sollte mittels Antikörper gegen Plattenepithelkarzinom (SCC) gefärbt werden. Das SCC-Antigen kann auch im Serum gemessen werden. Ein positives Resultat würde weitgehend Kolon- und Urothelkarzinome als Ursache der Obstruktion ausschließen. Ein normaler Wert für das karzinoembryonale Antigen (CEA) im Serum würde weiterhin die Möglichkeit für ein Kolonkarzinom verringern, womit eine Koloskopie wahrscheinlich nicht angezeigt ist.
Das CT-Abdomen mit oralem Kontrastmittel (Abb. 1) ist ungenügend für die Stadieneinteilung. Die Obstruktion im distalen Harnleiter ist am wahrscheinlichsten durch eine Lymphangiosis carcinomatosa verursacht – oft durch konventionelle Bildgebung nicht darstellbar. Da der Metastasierungsweg des Zervixkarzinoms entlang der Lymphbahnen (iliakal, obturatorisch, retroperitoneal, mediastinal) und in die Lunge erfolgt, ist ein 18F-Fluorodeoxyglukose-PET-CT zu empfehlen.
Die weitere Behandlung basiert auf der Stadieneinteilung der noch unbekannten Krankheit, wie sie im 18F-FDG-PET-CT zur Darstellung kommt. Im Falle von Lungenmetastasen und/oder ausgedehnten Lymphknotenmetastasen im Retroperitoneum wäre die Prognose absolut schlecht und nur eine systemische Chemotherapie mit Carboplatin/Taxol könnte in palliativer Hinsicht der Patientin angeboten werden. In einer solchen Situation würde man angesichts der sehr begrenzten Lebenserwartung die perkutane Nephrostomie links am besten in situ belassen. Die Implantation eines nephrovesikalen subkutanen Ureterbypasses wäre eine Alternative, aber die Berichte dazu sind in der Literatur spärlich.
Im Falle, dass im PET-CT keine pathologische metabolische Aktivität nachgewiesen würde, ist eine explorative Laparotomie mit großzügiger Exzision des distalen Harnleiters und einer Ureterozystoneostomie mittels Psoas-Hitch-Technik angezeigt.

Weiterer klinischer Verlauf: Der nächste therapeutische Schritt war die Laparotomie. Der distale Harnleiter war mit einer soliden Masse ausgefüllt und wurde reseziert, wobei eine starke Adhärenz an der Arteria und Vena iliaca communis bestand. Das Gewebe musste scharf von den großen Gefäßen abgetrennt werden. Die intraoperativen Schnellschnitte des proximalen Ureterabsetzungsrandes und der distalen Blasenmanschette waren tumorfrei. Eine intraoperative flexible Ureterorenoskopie war normal. Da der Defekt zu lang für einen Psoas-Hitch oder eine Boari-Plastik war, wurde er mittels Ileuminterponat überbrückt. Der postoperative Verlauf war völlig unauffällig, und die Patientin wurde am 11. postoperativen Tag ohne Drainagen und ohne perkutane Nephrostomie aus dem Spital entlassen.

Die histologische Untersuchung ergab ein lokal fortgeschrittenes Urothelkarzinom des Harnleiters (pT3 pN0 (0/1) L1 V0 R1 G3), wobei der positive Absetzungsrand im Bereich der Adhäsionen an den iliakalen Gefäßen war. Eine ­adjuvante Chemotherapie mit Gemci­ta­bin+Cisplatin wurde ohne wesentliche Probleme durchgeführt. Der weitere mittelfristige Verlauf ist noch offen.

FACT-BOX

Drei unabhängige maligne Tumoren bei einer jungen Erwachsenen deuten auf eine sehr stark erhöhte Krebsanfälligkeit hin. Diese Patientin sollte bezüglich weiterer Prädilektionsstellen (Magen-Darm, Schilddrüse, Lunge, Nieren) überwacht werden.