Die Spezifische Immuntherapie der Zukunft

Status quo

Ein Ausblick auf die Zukunft bedarf immer auch einer Definition der gegenwärtigen Positionierung. Zum 100. Geburtstag der Spezifischen Immuntherapie lässt sich verbuchen, dass

  • für manche Allergien (Insektengifte, Birke, Gräser) die Wirksamkeit der Spezifischen Immuntherapie sehr hoch ist,
  • das Nebenwirkungsprofil akzeptabel ist und
  • auch die Langzeitwirkung sowie die präventive Wirkung auf Asthma und Neusensibilisierungen gut abgesichert sind. 

Offene Fragen

Dem müssen wir leider entgegenhalten, dass wir von einer idealen Therapie trotzdem weit entfernt sind:

  • Für viele Allergene ist die Wirkung immer noch nicht verlässlich und stark genug.
  • Der Wirkungseintritt ist zu langsam.
  • Wir sind nur sehr bedingt in der Lage, ungeeignete Patienten schon vorab zu identifizieren.
  • Schwere anaphylaktische Zwischenfälle sind, wenn auch sehr selten, nicht auszuschließen.
  • Lokalreaktionen sind häufig und zumindest unangenehm.
  • Die Folge all dessen ist eine über die gesamte Therapiedauer erschreckend niedrige Compliance, die nach 3 Jahren um 25 % liegt. Das vielleicht wichtigste gegenwärtige Problem der Spezifischen Immuntherapie liegt aber in der mangelnden Dokumentation der Qualität mancher Impfextrakte, im teilweisen Mangel an Studien zu ihrer Wirksamkeit bzw. Sicherheit und in der Nicht-Vergleichbarkeit verschiedener Präparate. 

Ziele der Zukunft

Die Zukunft der Immuntherapie muss daher eigentlich 3 Ziele umfassen:

  1. die Wirksamkeit und Sicherheit der am Markt befindlichen Präparate besser zu dokumentieren
  2. bereits vorhandene Tools wie unterschiedliche Adjuvanzien, hypoallergene Extrakte, Applikationsformen (subkutan, sublingual) und Impfschemata (Kurzzeit, präsaisonal und perennial) besser zu kombinieren und zu optimieren
  3. fortgeschrittene Denkmodelle in die klinische Prüfphase zu bringen 

Bessere Dokumentation der Wirksamkeit

Aktuell besteht die eigentlich unglaubliche Situation, dass lediglich zwei Immuntherapie-Präparate (Grazax® und Oralair®) eine Zulassung im Sinne eines Arzneimittels haben. Alle anderen verfügen im besten Fall über eine „Zulassung“ des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts im Sinne einer Chargenprüfung. Die deutsche Therapieallergene-Verordnung aus dem Jahr 2008 verlangt nun, dass für die wichtigsten Allergene (Insektengifte, Pollen, Hausstaubmilben) bis zum Jahr 2017 Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit der Präparate vorgelegt werden müssen.
Diese Verordnung wird große – und auch bereinigende – Auswirkungen auf den gesamten europäischen Immuntherapie-Markt haben. In Österreich überlegt die AGES, noch einen Schritt weiter zu gehen und eine derartige Zulassung für alle Allergene zu verlangen. Ich halte das persönlich für kontraproduktiv, weil diese Forderung lediglich dazu führen wird, dass seltener benötigte Extrakte überhaupt nicht mehr verfügbar sein werden. Die WAO (World Allergy Organization) hat bereits vor einigen Jahren einen Katalog zur einheitlichen Gestaltung von Immuntherapie-Studien vorgelegt, der nicht nur Selbstverständlichkeiten wie statistische Fragen, Randomisierung etc., sondern auch einheitliche Zielparameter (kombinierte Medikamenten-Symptomen-Scores, Quality of Life etc.) umfasst. Insgesamt sollten beide Initiativen dazu führen, dass sich die Qualität der Immuntherapie in den nächsten Jahren verbessert, sich Präparate untereinander besser vergleichen lassen und schlechte vielleicht vom Markt verschwinden.

Therapieoptimierung

Patientenprofiling: Eine weitere Maßnahme zur Verbesserung der Therapie betrifft das Patientenprofiling. Schon jetzt ist es ja vielfach möglich, das exakte Sensibilisierungsprofil des Patienten mithilfe von rekombinanten Einzelallergenen zu bestimmen und damit eine Aussage zu treffen, ob er gegen die in den Impfpräparaten vorwiegend enthaltenen Hauptallergene überhaupt sensibilisiert ist. Auf der anderen Seite sind Therapiestudien mit rekombinanten Majorallergenen, z. B. von Birke (Bet v 1) und Katze (Fel d 1), bereits in Phase II und III in Erprobung. Bei komplexen Allergenen wie Latex wird es eine derartige Therapie jedoch aus kommerziellen Gründen möglicherweise nie geben.

Neue Entwicklungen und Denkmodelle

Hypoallergene Moleküle sind in Form der so genannten Allergoide, bei denen die konfigurationsabhängigen B-Zell-Epitope unter Belassung der immunogen wirksamen T-Zell-Epitope zerstört werden, bereits seit Jahrzehnten auf dem Markt. Zweck ihrer Entwicklung war in erster Linie eine Verbesserung des Nebenwirkungsprofils. Tatsächlich scheinen Allergoide prinzipiell wirksam zu sein, eine bessere Verträglichkeit konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. In eine ähnliche Richtung geht der Versuch, rekombinante Allergene in Form von Polymeren (Dimere, Trimere), Allergenfragmenten oder Allergenisoformen für die Immuntherapie zu verwenden. Entsprechende Phase-I-Studien hatten jedoch mit Nebenwirkungen vor allem in Form starker Lokalreaktionen zu kämpfen.

Fusionsproteine: Durchaus viel versprechend ist die Idee, Fusionsproteine in der Immuntherapie einzusetzen. Das Grundprinzip ist auf anderen Gebieten bereits seit Jahren erprobt und bewährt (z. B. Etanercept bei rheumatoider Arthritis oder Psoriasis). Von der Gruppe um Barbara Bohle in Wien konnte gezeigt werden, dass ein Fusionsprotein aus dem rekombinanten Majorallergen der Birke, Bet v 1, mit einem bakteriellen Oberflächenprotein bei verminderter Allergenität zu einer Reifung dendritischer Zellen und einer Induktion von Th0/Th1-Zellen führt. In ähnlicher Weise gibt es Versuche mit Fusionsproteinen aus der FC-Region humaner IgE mit Allergenen, beispielsweise dem Majorallergen der Katze, Fel d 1. Während der Allergenanteil des Proteins an katzenspezifische IgE auf dem hochaffinen Fc-γ-Rezeptor bindet, hemmt der FC-γ-Anteil die allergische Reaktivität durch Aggregation mit dem FC-γ-Rezeptor IIB. Creticos hat bereits 2006 über den erfolgreichen klinischen Einsatz eines Konjugats aus Amb a 1, dem Ragweed-Hauptallergen, mit einer immunstimulatorischen DNA-Sequenz berichtet, die an Toll-like Receptor 9 bindet. Als Folge soll die – unerwünschte – Th2-Antwort unterdrückt werden.

Modifikation der Zytokinproduktion: Einen völlig anderen Denkansatz stellt die Modifikation der Zytokinproduktion im Regelkreis der allergischen Reaktion dar. Beispielsweise könnte durch Verabreichung von Interferon-γ die erwünschte Immunantwort verstärkt oder die Wirkung von Interleukin-4 oder Interleukin-5 durch entsprechende Antikörper antagonisiert werden.

Allergieimpfung: Eine Gruppe um Josef Thalhammer in Salzburg arbeitet an einer echten Allergieimpfung mittels RNA. Nach Einschleusung wird ihre genetische Information in der Zelle in das entsprechende Protein/Allergen transkribiert, das anschließend die gewünschte Immunantwort induzieren soll, während die RNA selbst innerhalb weniger Tage vom Organismus wieder abgebaut wird und dadurch keinen potenziellen Schaden anrichten kann. Damit würde es erst gar nicht zur Ausbildung allergischer Reaktionen kommen. Zielgruppe einer derartigen Impfung wären vorläufig Hochrisikokinder aus atopischen Familien, aus Kostengründen müsste man sich wohl auf einige wenige wichtige Allergene wie Pollen oder Nahrungsmittel beschränken.

Resümee

Zusammenfassend besteht die berechtigte Hoffnung, dass wir im Jahr 2020 über ein – geschrumpftes – Spektrum an quasi traditionellen, aber gut untersuchten und wirksamen Immuntherapie-Präparaten verfügen werden, aber auch bereits völlig neu konzipierte, potenziell nebenwirkungsfreie und hochwirksame Präparate auf dem Markt sein könnten.

Literatur beim Verfasser