Herpes labialis – individuelle therapeutische Entscheidungen

Herpes labialis stellt die bekannteste Form der Infektion mit dem Herpes-simplex-Virus (HSV) dar, ist weltweit verbreitet und in der Bevölkerung sehr häufig. Das Virus zeigt eine altersabhängige Seroprävalenz, die am Ende der Pubertät bereits etwa 85–90 % beträgt. HSV Typ 1 ist die häufigste Ursache für Herpes labialis und ist charakterisiert durch plötzliches Auftreten von kleinen Bläschen auf geröteter Haut bzw. Schleimhaut.

Infektion und Übertragung

Die Infektion erfolgt durch Speichelkontakt, Schmierinfektionen bzw. engen Schleimhautkontakt mit einem Virusträger. Die HS-Viren dringen bei einer Primärinfektion meist am Übergang Haut/Schleimhaut in die Epithelzellen des Mund- bzw. Rachenraumes ein. Dort kommt es zur Zerstörung des Epithels und zur Freisetzung neuer Virionen. HSV wird schließlich entlang des Axons retrograd zum Zellkörper sensibler Neurone transportiert, wo es lebenslang verbleibt und individuell reaktiviert werden kann. Rund 30–40 % der Bevölkerung leiden an rezidivierendem Herpes labialis.
HSV Typ 2 hingegen ist zumeist die Ursache für Herpes genitalis, wobei die Zuteilung der beiden Typen zu den jeweiligen Lokalisationen nicht obligat ist. Die Virusausscheidung kann auch ohne sichtbare Läsionen erfolgen. Häufig sind auch Autoinokulationen durch Kontakt der Hände mit offenen Bläschen und Übertragung an andere empfängliche Hautpartien (Abb. 1 + 2).
Die Erstinfektion mit HSV-1 nimmt zumeist einen milden oder gar asymptomatischen Verlauf. In einem geringen Prozentsatz der Fälle kann es vor allem bei Kindern zu einer akuten Gingivostomatits mit Ulzera, Aphthen, Lymphknotenschwellung, bakterieller Superinfektion und generalisierten Krankheitssymptomen kommen (Abb. 3).

Diagnose – in der Regel klinisch

Die Diagnose erfolgt zumeist aufgrund der Klinik, bei Unsicherheit auch durch eine Polymerase-Kettenreaktion (PCR), Viruskultur, direkte Immunfluoreszenz oder einen Tzanck-Test. Die Serologie spielt zumeist eine untergeordnete Rolle, da Antikörper (IgM) nur bei der akuten primären Infektion ansteigen und selten bei einem ausgeprägten Rezidiv. IgG-Antikörper bleiben bei der latenten symptomlosen Infektion erhöht. Eine Übersicht über die häufigsten Differentialdiagnosen des Herpes labialis zeigt die Tabelle.

Therapie

Bezüglich der Therapie gibt es nur wenige evidenzbasierte Daten. Die Durchführung klinischer Studien bei HSV-Patienten erweist sich zumeist als schwierig, da die Erkrankung plötzlich auftritt, eine sehr kurze Periode der Virusausscheidung hat und selbstheilend ist.

Systemische Virostatika

Die primäre Infektion mit Herpes labialis wird bei Immunkompetenten generell nicht systemisch behandelt. Die Entscheidung, Patienten mit rezidivierendem Herpes labialis systemisch zu behandeln, sollte individuell erfolgen und ist abhängig von der Häufigkeit bzw. Schwere der klinischen Erkrankung und der Einschränkung der Lebensqualität.
In einer Studie wurden Kinder (< 6 Jahre) und junge Erwachsene (< 25 Jahre) mit primärer herpetiformer Gingivostomatits inkludiert und es zeigte sich, dass der Benefit von systemischem Aciclovir im Vergleich zu Placebo nur marginal gegeben war, was die Reduktion schmerzhafter Läsionen, das Auftreten neuer Läsionen oder Komplikationen betraf.1, 2 Einige klinische Studien weisen darauf hin, dass bei frühzeitiger Behandlung (Prodromi bzw. Erythem) jene Patienten mit rezidivierendem Herpes labialis von einer kurzen Therapie mit einem hochdosierten Virostatikum in Kombination mit einem topischen Steroid profitieren.3,4 Die Rezidivrate wird aber weder vom topischen Steroid noch von der systemischen Gabe beeinflusst.
Unter den systemischen Virostatika haben sich höher dosierte Regimen bewährt, die über einen bis maximal drei Tage gegeben werden, wie z. B. Famciclovir (Famvir® 1.500 mg/die) oder Valaciclovir (Valtrex® 2.000 mg/die). Die Kombination dieser Medikamente mit neuen topischen Mitteln wie Docosanol, Toll-like-Rezeptor-Agonisten und viralen Ribonukleosid-Reduktase-Inhibitoren soll die Wirkung noch zusätzlich potenzieren.5
Im Gegensatz dazu belegen Studien bei immunsupprimierten Krebspatienten, dass die systemische Gabe von Aciclovir effizient in der Prävention und Therapie von Herpes labialis ist, wobei Valaciclovir hier keine weitere Überlegenheit zeigt, weder in einer niedrigen noch in einer höheren Dosierung.6

Prophylaxe: Sowohl Aciclovir und Valaciclovir als auch Famciclovir bieten ausreichende Prophylaxe gegen HSV-1-Reaktivierung und werden Patienten immer häufiger bei kosmetischen Eingriffen verordnet. Leider gibt es hier bezüglich minimalinvasiver Eingriffe keine klaren, evidenzbasierten Empfehlungen oder Studien. In der Praxis werden je nach Größe eines geplanten Eingriffs, vor allem aber bei ablativen Behandlungen (Laser, tiefes Peeling) systemische Prophylaxen durchgeführt.

Erste Wahl: Topische Therapie

Abgesehen von den lange bekannten topischen Virostatika (topisches Aciclovir und Penciclovir) gibt es eine Vielzahl von neuen topischen Produkten, die in der Behandlung des Herpes labialis eine Rolle spielen sollen.
Dazu zählt beispielsweise Docosanol (Erazaban®), eine schon lange bekannte Substanz, die vor allem nach Applikation in den frühen Stadien zu einer rascheren Abheilung mit deutlich geringeren Symptomen führen soll.7 Im Gegensatz zu den antiviralen Produkten soll Docosanol den Eintritt von HSV-1 in gesunde Hautzellen verhindern. Die Creme soll fünfmal täglich appliziert werden.
In einer anderen rezenten Studie wurde die klinische Aktivität eines Gels nachgewiesen, welches Monocaprin und Doxycyclin enthält.8 Monocaprin, ein Derivativ der Caprinsäure, weist in vitro hohe antimikrobielle Aktivität auf. Gemeinsam mit Doxycyclin, bekannt für seine antiinflammatorische Eigenschaft durch Hemmung der Matrix-Metalloproteinasen, hat sich ebenfalls eine deutliche Verkürzung der Abheilung sowie eine Erleichterung in der Schmerzsymptomatik gezeigt.8
Bei den Patienten beliebt sind auch pflanzliche Produkte wie Teebaumöl, Pfefferminzöl und Zitronenmelisse. Alle genannten Produkte zeigen in vitro auch eine Aktivität gegen Herpes simplex, hauptsächlich durch eine direkte Interaktion mit dem Virus. In klinischen Studien finden sich hauptsächlich bei Teebaumöl antiherpetiforme und schmerzlindernde Eigenschaften.9

Lasertherapie

Die Lasertherapie, vor allem mit Infrarotlicht, wird bei rezidivierendem Herpes labialis als erfolgreiche und geeignete Therapieoption beschrieben, in der Literatur finden sich dazu vor allem Fallberichte, Kohortenanalysen und eine Studie mit knapp 40 Patienten.10 Die Frage nach der Kosteneffizienz des so häufigen und rezidivierenden Herpes labialis bleibt bei den meisten Studien unbeantwortet.

Resümee

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es trotz der verschiedenen Therapieoptionen und Studien nach wie vor keine befriedigende Behandlung des Herpes labialis gibt. Die therapeutischen Überlegungen sollten individuell getroffen werden und topischen Therapien sollte primär der Vorzug gegeben werden. Nur bei ausgeprägter Klinik und schwerem Verlauf sowie Immunsuppression sollten systemische Virostatika Einsatz finden.

1 Nasser M, Fedorowicz Z, Khoshnevisan MH, et al., Aciclovir for treating primary herpetic gingivostomatitis. Cochrane Database Syst Rev 2008; (4): CD006700
2 Porter SR. Little clinical benefit of early systemic Aciclovir for treatment of primary herpetic stomatitis. Evid Based Dent 2008; 9: 117
3 Gilbert S, Corey L, Cunningham A, et al., An update on short-course intermittent and prevention therapies for herpes labialis. Herpes 2007; Suppl 1: 13A
4 Hull C, McKeough M, Sebastian K, et al., Valaciclovir and topical Clobetasol gel for the episodic treatment of herpes labialis: A patient-initiated, double-blind, placebo- controlled pilot trial. J Eur Acad Dermatol Venereol 2009; 23 (3): 263
5 Gilbert SC. Management and prevention of recurrent herpes labialis in immunocompetent patients. Herpes 2007; 3: 56
6 Glenny AM, Fernandez Mauleffinch LM, et al., Interventions for the prevention and treatment of herpes simplex virus in patients being treated for cancer. Cochrane Database Syst Rev 2009; 1: CD006706
7 Sacks SL, Thisted RA, Jones TM, et al., Clinical efficacy of topical Docosanol 10% cream for herpes simplex labialis: A multicenter, randomized, placebo-controlled trial. J Am Acad Dermatol 2001; 45 (2): 222
8 Skulason S, Holbrook WP, Thormar H, et al., A study of the clinical activity of a gel combining Monocaprin and Doxycycline: A novel treatment for herpes labialis. J Oral Pathol Med 2011, Apr 30
9 Schnitzler P, Reichling J. Efficacy of plant products against herpetic infections. HNO 2011, May 25
10 De Carvalho RR, De Paula Eduardo F, Ramalho KM, et al., Effect of laser phototherapy on recurring herpes labialis prevention: An in vivo study. Lasers Med Sci 2010, 25 (3): 397