FALLBERICHT: Pulmonalembolie mit paraneoplastischer Ursache

Einleitung

Venöse Thromboembolien (VTE), zu denen akute Venenthrombosen einschließlich der Katheter-induzierten Thrombosen sowie Pulmonalembolien zählen, gehören zu den häufigsten Komplikationen bei Tumorpatienten. Die Häufigkeit einer VTE liegt bei Patienten mit einer Neoplasie 4- bis 7-fach höher als bei Nicht-Tumorpatienten. Bei Patienten ohne Risikofaktoren können VTE das erste Symptom einer malignen Grunderkrankung sein, sie sind außerdem bei Tumorpatienten ein prognostisch ungünstiges Zeichen.1

Patient

Ein 74-jähriger männlicher Patient, geboren in Österreich, wurde wegen akut einsetzender Dyspnoe sowie stechender Oberbauchschmerzen aufgenommen. Er berichtete weiters über eine einmalige Synkope eine Woche davor. An Vorerkrankungen sind ein Vorderwandinfarkt mit Primär-PCI und Stentimplantation in die mittlere LAD (Ramus interventricularis anterior) und die RCA (rechte Koronararterie) vor 5 Monaten, eine arterielle Hypertonie, eine Hyperlipidämie, eine chronische Niereninsuffizienz sowie eine rheumatoide Arthritis bekannt. Weiters hatte der Patient im Alter von 17 Jahren einen Spontanpneumothorax sowie eine Tuberkulose mit Kavernenbildung erlitten. In der Echokardiografie fanden sich Zeichen der Rechtsherzbelastung. Ein D-Dimer von 10,05 ng/ml erhöhte den Verdacht auf Pulmonalembolie. Im CT zeigte sich eine ausgedehnte Pulmonalembolie rechts (Abb. 1), sämtliche Lappenarterien betreffend und es wurde, im Rahmen der Beurteilung der Becken- und Beinvenen zum Ausschluss einer TVT, der Verdacht auf einen blastomatösen Nierentumor rechts geäußert (Abb. 2 und 3).

 

 

 

 

Diagnostisches und therapeutisches Procedere

Trotz Beginn einer Therapie mit niedermolekularem Heparin (NMH) blieb der Patient hochgradig dyspnoisch, sodass eine systemische Lyse mit rtPA in reduzierter Dosis (15 mg Bolus/65 mg über 2 h) erfolgte. Nach 4 Stunden trat eine hämodynamische Besserung ein. Eine echokardiografische Kontrolle sechs Tage nach der Aufnahme zeigte eine komplette Rückbildung der Rechtsherzbelastung. Fünf Tage nach Aufnahme wurde eine MRI-Untersuchung der Niere vorgenommen. Diese zeigte eine zirka 6 cm große Raumforderung, ausgehend vom kaudalen Nierendrittel rechts ventral (Abb. 4). Eine Invasion des Nierentumors in die rechte Nierenvene wurde angenommen. Zusätzlich fiel in der Vena cava inferior eine etwa 3 cm haltende Kontrastmittelaussparung im Sinne eines Thrombus auf, welcher sich bis auf Höhe des Lebervenensterns ausdehnte (Abb. 5).

 

 

In der Farbduplex-Sonografie fanden sich ein Thrombus in der Nierenvene und ein nahezu kompletter Verschluss der Vena cava inferior bis knapp unter die Zwerchfellkuppe reichend. Zusammenfassend bestand bei dem Patienten ein 6 cm großer Nierenzelltumor rechts mit Invasion der rechten Nierenvene und Thrombose der Vena cava inferior (Abb. 4 und 5).

 

 

Die Ganzkörperknochenszintigrafie zeigte keinen Hinweis auf sekundärblastomatöse Absiedelungen. Die Differenzierung zwischen einem Tumorzapfen, der in die Vena cava eingebrochen war, und einem Thrombus der Vena cava war durch die Bildgebung nicht möglich und erfolgte erst intraoperativ: Es zeigte sich thrombotisches Material, welches auf einem Tumorzapfen aufgelagert war.

Das operative Procedere wurde zwischen Radiologen, Anästhesisten, Urologen und Kardiologen besprochen. Infolge der rezenten Pulmonalembolie und der Notwendigkeit zur Antikoagulation wurde als frühestmöglicher Zeitpunkt für die Operation 3 Wochen nach dem thromboembolischen Ereignis festgelegt. Es wurde kurz vor der Operation nochmals ein MRT zur Beurteilung des Thrombus durchgeführt, welches erstmals eindeutig einen Tumorthrombus bis in die Vena cava inferior reichend beschrieb. Zwei Tage präoperativ wurde die NMH-Dosis reduziert. Bei der Operation konnte nach sorgfältiger Präparation der Gefäße die rechte Niere en bloc mit dem in die Vena cava ragenden Tumorzapfen entfernt werden. Der intra- und postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. Das histologische Präparat ergab ein mäßiggradig differenziertes, klarzelliges Nierenzellkarzinom, G2 nach Fuhrmann, pT3a, R0, L0, V1. Intraoperativ hat der Patient drei, postoperativ weitere zwei Erythrozytenkonzentrate erhalten. Bereits am Abend des Operationstages wurde wieder mit NMH begonnen (Lovenox® 60-0-20 mg für 2 Wochen, anschließend Lovenox® 60-0-60 mg für weitere 2 Wochen). 14 Tage postoperativ wurde mit Marcoumar® begonnen. Es gab im Verlauf keinen Hinweis auf ein Rezidiv der PE oder eine TVT. Der Patient konnte schlussendlich acht Wochen nach Aufnahme, 15 Tage nach der Operation, in gutem Allgemeinzustand entlassen werden.

Resümee

Unser Patient hatte Glück im Unglück. Der Nierentumor wurde als Zufallsbefund im Rahmen der Diagnostik der vermuteten Pulmonalembolie festgestellt. Das Nierenzellkarzinom ist mit 90 % die häufigste bösartige Neubildung der Niere (3 % aller Tumorerkrankungen). Die Risikofaktoren dafür sind hohes Alter, Rauchen, chronische Niereninsuffizienz, langjährige Therapie mit Analgetika, Exposition mit Lösungsmittel, Cadmium- und Bleibelastung und genetische Dispositionen wie beispielsweise tuberöse Sklerose oder Morbus Hippel-Lindau (multiple Hämangiome an verschiedenen Organen). Die klassische Trias an Symptomen (Hämaturie, Flankenschmerzen und tastbarer Tumor) findet man in der heutigen Zeit nur noch selten. 70 % der Nierentumoren werden, wie in unserem Fall, als Zufallsbefund im Rahmen einer Sonografie oder Computertomografie gefunden.

Dieser Fall ruft in Erinnerung, dass eine Venenthrombose oder Pulmonalembolie, insbesondere bei Fehlen anderer Risikofaktoren, als erstes Symptom einer malignen Grunderkrankung auftreten kann. In der Literatur findet man eine Inzidenz von einer VTE auf 200 Krebserkrankungen1–4, das heißt, bei etwa 10–5 % der Patienten mit neu aufgetretener VTE ohne erkennbare Ursache wird innerhalb der folgenden 12 Monate ein Malignom diagnostiziert, beim Großteil dieser Patienten innerhalb von 4 bis 6 Monaten nach klinischer Manifestation der VTE5. Vor allem Tumoren des Magens und des Pankreas sowie Lungenkarzinome, Lymphome, gynäkologische Tumoren, Blasenkarzinom und Keimzelltumoren sind mit einem hohen Risiko für eine VTE verbunden.6, 9 In unserem Fall war die Tumorerkrankung ein Zufallsbefund im Rahmen einer schweren Pulmonalembolie, der Patient war bis zu diesem Zeitpunkt asymptomatisch.

Die Leitlinien der Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie „onkopedia“ empfehlen in einem solchen Fall (fehlender anamnestischer/klinischer Hinweis auf das Vorliegen einer Tumorerkrankung) lediglich Untersuchungen, deren Wert in der Früherkennung bei Patienten ohne Thrombose anerkannt ist (Tab.).7
Eine tatsächliche Tumorsuche ist laut Leitlinien nicht indiziert, es sollte jedoch Hinweisen auf Vorliegen einer Tumorerkrankung (Gewichtsverlust in kurzer Zeit, Fieber etc.) große Aufmerksamkeit geschenkt werden.

 

 

In unserem Fall muss man sagen, dass dieser Tumor nur durch die Aufmerksamkeit der Radiologen und die Schichtung des Spiral-CTs bis zu den Nieren aufgefallen ist. Unser Patient war von urologischer Seite vollkommen beschwerdefrei und klagte über keinerlei Symptomatik, welche auf ein Malignom zurückzuführen gewesen wäre. Da in den Leitlinien eine Tumorsuche nach neu aufgetretener PE oder TVT nicht indiziert ist, hätte unser Patient möglicherweise erst in einem sehr viel späteren Stadium der Tumorerkrankung Symptome bekommen.
Dieser Fall zeigt, dass eine venöse Thromboembolie ohne klassische Risikofaktoren immer an die Möglichkeit einer Paraneoplasie denken lassen soll. Wird, so wie in unserem Fall, ein Tumor entdeckt, ist die operative Sanierung infolge der rezenten Thromboembolie mit Antikoagulation mit einem hohen Re-Embolie- beziehungsweise Blutungsrisiko behaftet. Der interdisziplinären Kooperation bei Planung und Durchführung der Operation nach rezenter Thromboembolie kommt eine entscheidende Rolle zu.

Bei Vorliegen eines Tumors gibt es Scoring-Modelle, wie zum Beispiel den Khorana Risk Assessment Score7 oder den Vienna VTE Risk Assessment Score8, um das Risiko für das Auftreten einer VTE im Rahmen der Tumorerkrankung abzuschätzen. Es zeigte sich, dass Patienten, die einen Tumor mit einem hohen Risiko für eine VTE haben, von einer prophylaktischen Antikoagulation profitieren.9

1 Pabinger I. et al.: Venöse Thromboembolien bei Tumorpatienten, Hämostaseologie 04/2011; 281-290
2 Silverstein M.D., Heit J.A., Mohr D.N. et al.: Trends in the incidence of deep vein thrombosis and pulmonary embolism: a 25-year population-based study. Arch Intern Med 1998; 158:585-593
3 Lee A.Y., Levine M.N.: Venous thromboembolism and cancer: risks and outcomes. Circulation 2003; 107 (23 Suppl. 1):I17-21
4 Heit J.A., Silverstein M.D., Mohr D.N. et al.: Risk factors for deep vein thrombosis and pulmonary embolism: a population-based case-control study. Arch Intern Med 2000; 160:809-815
5 Carrier M., Le Gal G., Wells P.S. et al.: Systematic review: the Trousseau syndrome revisited: should we screen extensively for cancer in patients with venous thromboembolism. Ann Int Med 2008; 140:323-333
6 Khorana A.A., Streiff M.B., Farge D. et al.: Venous thromboembolism prophylaxis and treatment in cancer: a consensus statement of major guidelines panels and call to action. J Clin Oncol 2009; 27:4919-4926
8 Khorana A.A.: Cancer and thrombosis: implications of published guidelines for clinical practice. Ann Oncol 2009; 20:1619-1630
9 Thaler J. et.al.: Venous thromboembolism in cancer patients – Risk scores and recent randomised controlled trials. Thromb Haemost 2012 Jul 26; 108 (4)