Prasugrel und Ticagrelor – Was bei Therapie mit den neuen Antithrombotika zu beachten ist

Durch viele Jahre hindurch stellte die duale plättchenaggregationshemmende Therapie mit Azetylsalizylsäure und Clopidogrel die Standardtherapie nach Myokardinfarkt und Koronarstent-Implantation dar. In den letzten Jahren wurden neue plättchenaggregationshemmende Substanzen entwickelt und in großen Studien mit Clopidogrel verglichen: Sowohl Prasugrel als auch Ticagrelor führten in der TRITON-TIMI-38- bzw. PLATO-Studie zu weniger kombinierten Endpunkten (kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall) als Clopidogrel. Nachteil der neuen Substanzen waren höhere Blutungsraten als in den mit Clopidogrel behandelten Patientengruppen.
Sowohl Prasugrel als auch Ticagrelor werden in den Guidelines der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft für Patienten mit ST-Hebungs-Infarkt (2012) und Nicht-ST-HebungsInfarkt (2011) mit Klasse-1-Evidenzlevel A empfohlen. Im Folgenden soll ein Überblick darüber gegeben werden, was bei der Therapie mit diesen neuen antithrombotischen Substanzen beachtet werden soll.

Kontraindikationen

Sowohl Prasugrel als auch Ticagrelor sind bei Patienten kontraindiziert, die schon einmal eine Gehirnblutung durchgemacht haben. Prasugrel ist bei Patienten kontraindiziert, die schon einen Schlaganfall oder eine transiente ischä­mische Attacke durchgemacht haben, bei > 75-Jährigen, bei Patienten, die < 60 kg wiegen, und bei Patienten mit Hepatopathie.

Medikamenteninteraktionen

P-Glykoprotein: Die Absorption von Prasugrel und Ticagrelor ist abhängig von der Aktivität des P-Glykoproteins, einer ATP-abhängigen Effluxpumpe. P-Glykoprotein wird an intestinalen Epithelzellen exprimiert. Wechsel in der Aktivität des P-Glykoproteins beeinflussen die Bioverfügbarkeit von Medikamenten, die ein Substrat des P-Glykoproteins sind. Eine Fülle von Medikamenten und Nahrungsmitteln beeinflussen die Aktivität des P-Glykoproteins (Tab.). Derzeit ist weitgehend unbekannt, wieweit eine zusätzliche Einnahme von P-Glykoprotein-beeinflussenden Medikamenten zu klinisch relevanten Veränderungen in der Thrombozytenaggregationshemmung durch Ticagrelor bzw. Prasugrel führt.

 

 

Cytochrom-P450-Isoenzyme: Der Metabolismus von Ticagrelor und Prasugrel ist von der Aktivität des Cytochrom-P450-Isoenzyms CYP3A4 abhängig, bei Prasugrel spielt zusätzlich CYP2B6 eine Rolle. Die Aktivität dieser Enzyme wird von einer Vielzahl von Medikamenten beeinflusst. So kann die gleichzeitige Anwendung starker CYP3A4-Inhibitoren (z. B. Clarithromycin, Ritonavir, Atazanavir) zu einem erheblichem Anstieg der Ticagrelor- bzw. Prasugrel-Konzentration führen, während starke CYP3A4-Induktoren (z. B. Rifampicin, Dexamethason, Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital) konzentrationsverringernd wirken können. Derzeit ist weitgehend unbekannt, wieweit eine zusätzliche Einnahme von CYP3A4- bzw. CYP2B6-beeinflussenden Medikamenten zu klinisch relevanten Veränderungen in der Thrombozytenaggregationshemmung durch Ticagrelor bzw. Prasugrel führt.

Orale Antikoagulantien: Eine Therapie mit Vi­tamin-K-Antagonisten war sowohl in der PLATO- als auch in der TRITON-TIMI-38-Studie ein Ausschlusskriterium. Deswegen gibt es keinerlei Erfahrungen über die Anwendung einer Tripletherapie von Azetylsalizylsäure plus Ticagrelor oder Prasugrel mit Vitamin-K-Antagonisten. Ebenso liegen keinerlei Berichte über die Kombination von neuen Antikoagulantien wie Dabigatran, Rivaroxaban oder Apixaban mit Ticagrelor oder Prasugrel vor, weder in dualer Therapieform, noch in Kombination mit Azetylsalizylsäure als Tripletherapie. Aus dieser Datenlage lässt sich die Empfehlung ableiten, dass in den Fällen, in denen eine Tripletherapie indiziert ist, eine „konventionelle“ Kombinationstherapie von Azetylsalizylsäure, Clopidogrel und Vitamin-K-Anatogonisten bevorzugt werden sollte, mit der wir Erfahrung haben und die durch die Messung des INR-Wertes monitiert werden kann.

Nicht-steroidale Antirheumatika: Eine längerdauernde Gabe von nicht-steroidalen Antirheumatika ist bei Einnahme von Ticagrelor oder Prasugrel kontraindiziert, weil es die Blutungsneigung erhöht. Patienten, die unter chronischen Schmerzen leiden und unter einer Therapie mit Ticagrelor oder Prasugrel stehen, sollten deswegen mit einer Liste von erlaubten Schmerzmitteln ausgestattet werden, damit sie nicht zu den „unerlaubten“ greifen.

Nebenwirkungen

Blutungen sind die häufigsten Nebenwirkungen von Prasugrel und Ticagrelor. In seltenen Fällen wurde unter einer Prasugrel-Therapie eine Leukozytopenie und Thrombopenie beobachtet, derartige hämatologische Nebenwirkungen sind unter Ticagrelor bisher noch nicht berichtet worden.
Unter Ticagrelor, vor allem zu Beginn der Therapie, wurde eine Häufung von Atemnot beobachtet, die weder durch eine kardiale noch durch eine pulmonale Ursache erklärt werden kann. Diese Atemnot ist zumeist vorübergehend, nur in seltenen Fällen erzwingt sie das Absetzen des Medikaments. Eine weitere Nebenwirkung von Ticagrelor ist das Auftreten von Bradykardie mit ventrikulären Pausen, die vor allem in der Nacht beobachtet werden. Deswegen ist Vorsicht bei der Anwendung von Ticagrelor geboten, wenn es sich um Patienten mit AV-Block II oder III handelt, die nicht mit einem Schrittmacher versorgt sind. Warum es unter Ticagrelor zu Atemnot und einer Neigung zu Bradykardie kommt, ist bisher nicht geklärt.

Konklusion und Tipps für die Praxis

Prasugrel und Ticagrelor sind hochwirksame Substanzen und werden in den Guidelines für Patienten nach akutem Myokardinfarkt als antithrombotische Therapie, zusätzlich zu Azetylsalizylsäure, empfohlen. Im niedergelassenen Bereich werden diese Substanzen so gut wie nie neu verordnet, zumeist findet dies im Krankenhaus statt. Probleme mit potenziellen Arzneimittelinteraktionen und Nebenwirkungen treten oft erst nach Krankenhausentlassung auf. Deswegen ist bei der Betreuung von Patienten, die Ticagrelor oder Prasugrel nehmen, eine gute Kommunikation zwischen dem niedergelassenen Bereich und dem Krankenhaus von Bedeutung. Ein Absetzen dieser Substanzen bzw. Umstellen auf Clopidogrel sollte nach Möglichkeit nur nach Rücksprache mit dem kardiologischen Zentrum erfolgen, in dem die Therapie begonnen wurde.