Highlights aus der Gerinnungsforschung: Klinische Forschung – Brücke zur Zukunft

Neue Antikoagulantien

Ein zentrales Thema waren natürlich die neuen oralen Antikoagulantien Apixaban (Eliquis ®), Rivaroxaban (Xarelto®) und Dabigatran (Pradaxa®). Für die Indikation Schlaganfallprävention bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern wurden die Ergebnisse der Studien ARISTOTLE (Apixaban), ROCKET-AF (Rivaroxaban) sowie RE-LY (Dabigatran) diskutiert und verdeutlicht, dass diese Substanzen bei gleich guter und teilweise sogar besserer Wirksamkeit im direkten Vergleich mit Warfarin ein deutlich sichereres Nebenwirkungsprofil hinsichtlich schwerer, lebensbedrohlicher Blutungen (insbesondere Hirnblutungen) haben.
Dass die neuen Substanzen in der Indikation Prophylaxe einer venösen Thromboembolie effektiv sind, ist hinreichend bekannt, dieses Jahr konnten auch vielversprechende Ergebnisse hinsichtlich der Indikation Therapie der akuten tiefen Beinvenenthrombose diskutiert werden (Rivaroxaban: EINSTEIN-DVT; Dabigatran: RE-COVER). Auch bei langfristiger Antikoagulation mit Rivaroxaban oder Dabigatran liegen durch die großen Studien EINSTEIN- Extension bzw. RE-SONATE und REMEDY Daten vor, die einen deutlichen Vorteil beider Substanzen gegenüber Placebo und eine gleich gute Wirksamkeit in der Verhinderung von Rezidivthrombosen im direkten Vergleich mit Warfarin bei nicht erhöhten Blutungsraten belegen. Auch die Ergebnisse der Studien STARS E-III und STARS J-V wurden vorgestellt und lassen vermuten, dass der orale, direkte Faktor-Xa-Inhibitor Edoxaban (Lixiana®) eine effektive Alternative zu bisher verwendeten niedermolekularen Heparinen (LMWH) oder auch Warfarin/Marcoumar darstellt. In Japan ist diese Substanz bereits zur Prophylaxe von venösen Thromboembolien nach elektivem Knie- und Hüftgelenksersatz zugelassen.
Diesen sehr positiven Resultaten stehen allerdings Nachteile wie die großteils renale Elimination dieser Substanzen und somit Einschränkungen hinsichtlich Verschreibung und Dosierung bei Patienten mit Niereninsuffizienz gegenüber. Auch dass Wirkung (und Nebenwirkung) dieser Antikoagulantien derzeit noch nicht mit einem geeigneten Testsys – tem überprüft/überwacht werden können und im Falle einer Überdosierung ein spezifisches Antidot nicht vorhanden ist, waren Punkte, die hinterfragt wurden. In diesem Zusammenhang hat Gualtiero Palareti aus Bologna eine sehr kritische Übersicht über die Möglichkeiten der Antagonisierung von Antikoagulantien bei Patienten mit Blutungen gebracht, wobei doch klar herauskam, dass die Wirkung von „herkömmlichen“ Vitamin-KAntagonisten im Gegensatz zu den „neuen oralen Antikoagulantien“ sehr leicht und rasch aufgehoben werden kann.
Andere Nachteile der neuen Antikoagulantien waren die erhöhte Rate an Myokardinfarkten, die in der RE-LY-Studie unter der Einnahme von Dabigatran beobachtet wurde, weiters wurden auch die derzeit noch hohen Kosten der neuen Medikamente und die möglichen Auswirkungen auf das Gesundheitssystem kontrovers diskutiert.

Tumor und Thrombose

Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung war das Thema Tumor und Thrombose, welchem ein Satellitensymposium mit dem Titel „Thromboembolien bei Tumorpatienten und aktuelle Leitlinienempfehlungen“ gewidmet war. Die aktuellen Leitlinien (Onkopedia-Leitlinien, www.dgho-onkopedia.de) wurden in Kooperation mit der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH), der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (OeGHO) unter der Leitung von Frau Professor Dr. Ingrid Pabinger aus Wien erarbeitet und von ihr auf der diesjährigen Tagung präsentiert. Dieses Jahr konnte auch ein Mitglied aus der Gruppe rund um Frau Professor Pabinger, Herr PD Cihan Ay, mit Erkenntnissen aus der Wiener CATS-Studie (Cancer and Thrombosis Study) hinsichtlich Risikofaktoren für venöse Thromboembolien bei Tumorpatienten, den Alexander-Schmidt-Preis erlangen.
Weiters wurden neue Daten zu einem ultrakurzen niedermolekularem Heparin, Semuloparin, vorgestellt. Es ist bekannt, dass etwa ein Drittel aller Tumorpatienten innerhalb des ersten Jahres nach Diagnosestellung eine venöse Thromboembolie erleidet. Durch den Erhalt von Chemotherapie wird dieses Risiko noch weiter erhöht. Die Ergebnisse der SAVE-ONCO-Studie von Agnelli et al., in der Semuloparin bei Tumorpatienten unter Chemotherapie (ambulant und stationär) angewandt wurde, konnten einen signifikanten Vorteil hinsichtlich Prävention eines ersten symptomatischen thromboembolischen Ereignisses (tiefe Beinvenenthrombose oder Pulmonalembolie) im Vergleich zu Placebo demonstrieren. Bei Anwendung von Semuloparin kam es zusätzlich zu keiner erhöhten Blutungsrate, ebenfalls im Vergleich zu Placebo.

Angeborene Hämophilie

Besonders interessant war auch die Präsentation der ersten Ergebnisse der multizentrischen, prospektiven PROLONG-9FP-Phase IStudie bei Patienten mit schwerer Hämophilie B. Patienten mit schwerer Hämophilie B (Gerinnungsfaktor IX/FIX < 2 %) benötigen entweder eine prophylaktische oder eine Ondemand- Therapie mit Faktor-IX-Präparaten. Die Halbwertszeit dieser Präparate ist recht kurz, sodass in der Regel 2–3-mal pro Woche eine Substitution erfolgen muss, um eine signifikante Reduktion schwerer Blutun- gen zu erzielen. Es wurde nun erstmals ein rekombinantes FIX-Albuminfusionsprotein entwickelt, also ein an Albumin gebundener rekombinanter FIX, um die Halbwertszeit von FIX so zu verlängern. Im Rahmen der PROLONG- 9FP-Phase-I-Studie konnte die Sicherheit des Präparats sowie eine günstige Pharmakokinetik bis zu 28 Tage nach Verabreichung nachgewiesen werden. Aufgrund dieser vielversprechenden Ergebnisse ist es vorstellbar, dass eine deutliche Vereinfachung der FIX-Substitutionstherapie von Patienten mit schwerer Hämophilie B möglich ist, was in weiterer Folge zu einer klaren Verbesserung der Lebensqualität solcher Patienten beitragen würde.

Erworbene Hämophilie

Andreas Tiede aus Hannover stellte eine Interimsanalyse der GTH-AH-01/2010-Studie vor, deren Rekrutierungsgrad derzeit voll den Erwartungen entspricht. Zurzeit sind über 90 Patienten inkludiert, der Studienzeitraum wird um ein weiteres Jahr verlängert, um auf eine Fallzahl von 120 Patienten zu kommen. Die GTH-Studie wird hoffentlich die Frage der optimalen Immunsuppression bei erworbener Hämophilie klären können.
Angela Huth-Kühne aus Heidelberg präsentierte Ergebnisse aus dem EACH-2 Register hinsichtlich wirksamer Immunsuppression bei Patienten mit erworbener Hemmkörperhämophilie. Es zeigt sich, dass durch die Kombination von Kortison mit Cyclophosphamid ein deutlich schnelleres Ansprechen im Sinne einer schnelleren Inhibitor-Eradikation erzielt werden kann, als dies mit Kortison oder Rituximab alleine der Fall ist. Allerdings ist bei dieser Therapiestrategie auch die Toxizitätsrate (schwere Infektionen, Sepsis) deutlich erhöht.

vWS und TTP

Interessant war auch eine Kontroverse hinsichtlich der Diagnostik des Von-Willebrand- Syndroms (vWS) zwischen Francesco Rodeghiero aus Vicenza und Reinhard Schneppenheim aus Hamburg: Rodeghiero, der die Diagnostik an gerinnungsphysiologischen Parametern und ausführlicher Erhebung des Gerinnungs-Phänotyps festmachte, und Schneppenheim, der die molekulare Diagnostik als unabdingbar erachtet. In derselben Sitzung hat auch Paul Knöbl aus Wien neue Therapiekonzepte zur Beeinflussung der Von-Willebrand-Faktor-Glykoprotein-Ib- (GPIb)-Interaktion vorgestellt, die in der Behandlung der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP) und möglicherweise der koronaren Herzerkrankung Bedeutung erlangen könnten.

FACT-BOX

• Die neuen oralen Antikoagulantien sind in einer zunehmenden Anzahl von Indikationen im Vormarsch, Vor-und Nachteile müssen trotzdem kritisch betrachtet werden.
• Aktuelle Leitlinien zur Thromboseprophylaxe bei Tumorpatienten finden sich unter www.dgho-onkopedia.de.
• Albumin-konjugierte Faktor-IX-Präparate haben eine längere Halbwertszeit und kommen möglicherweise bald bei der Prophylaxe-Therapie bei Patienten mit Hämophilie B.
• Die kombinierte Immunsuppression bei erworbener Hämophilie scheint derzeit eine sinnvolle Therapiestrategie zu sein, allerdings muss mit erhöhter Toxizität gerechnet werden.

Literatur bei der Verfasserin