Schutzkleidung – notwendig in der Praxis?

Definitionsgemäß ist Schutzkleidung jene Kleidung, die dazu bestimmt ist, Beschäftigte vor schädigenden Einwirkungen durch Kolonisation, Verletzung und Schadstoffe bei der Arbeit oder deren Arbeits- bzw. Privatkleidung vor der Kontamination durch biologische Arbeitsstoffe zu schützen. Ihre Funktionstüchtigkeit wird durch Einhaltung von EN-Normen (EN 455 für medizinische Handschuhe, EN 374 für Schutzhandschuhe gegen Chemikalien und Mikroorganismen etc.) gesichert. Grundsätzlich ist im medizinischen Betrieb zwischen Berufs-, Bereichs- und Schutzkleidung zu unterscheiden. Bereichskleidung ist dem erhöhten Infektionsrisiko entsprechend farblich gekennzeichnete Berufskleidung. Berufs- oder Dienstkleidung dient meistens allein zur Kennzeichnung der Funktion am Arbeitsplatz.
Im Wesentlichen umfasst die heute gebräuchliche Schutzkleidung Handschuhe, Haube, Schutzbrille, Mund-Nasen- Maske, Schürze (Schutzkittel) und Überschuhe als Einwegprodukte. Zumeist genügt das Tragen von Schürze und Handschuhen (Kontaktbarriere), im Falle einer aerogenen Streuquelle wird zudem das Tragen von Maske, Haube und fallweise auch Brille notwendig. Grundsätzlich wird Schutzkleidung tätigkeits- bzw. patientenbezogen (meist zusätzlich zur Berufs- bzw. Bereichskleidung) getragen. Die Beschaffung obliegt wie auch bei der Dienstkleidung dem Arbeitgeber, er haftet zudem für Desinfektion, Reinigung und Instandhaltung derselben. Eine Umkleidungsmöglichkeit soll den jeweiligen Arbeitsbereichen räumlich angegliedert und ausreichend bemessen sein.
Das Tragen von Schutzkleidung kann gesetzlich oder durch die Berufsgenossenschaft (Pflege) vorgeschrieben sein und ist beliebt, da die Wirkung offensichtlich anmutet und nachvollziehbar scheint.

 

Abstimmung mit Händedesinfektion

Neben Barrieremaßnahmen wie der Schutzkleidung stellt die Dezimierung der transienten Hautflora einen unerlässlichen Bestandteil wirkungsvoller Hygiene da. Mit konsequent durchgeführter hygienischer Händedesinfektion allein wären bereits ca. 30% aller nosokomialen Infekte vermeidbar!
Abgesehen von der Compliance, die je nach Literaturquelle zwischen 30 und 60% beziffert wird, führen Benetzungslücken (insbesondere Daumen und Fingerkuppen) sowie unzureichendes Ablüften mit mangelnder Auftrocknung des alkoholischen Präparates zu deutlichen Wirkungseinbußen der Händedesinfektion. Zudem bedarf es einer zeitlichen Abstimmung zwischen Desinfizieren der Hände und Anziehen der Schutzkleidung.

Schutzkleidung nicht desinfizieren!

Um den zeitlichen Aufwand zu reduzieren, hat es sich mancherorts etabliert, anstelle der Händedesinfektion eine Desinfektion der Schutzkleidung Handschuh durchzuführen! Medizinische Handschuhe sind dünnwandig und grundsätzlich weder zur Mehrfachverwendung noch zur Desinfektionsarbeit konzeptioniert. Die Schutzfunktion ist nur bei bestimmungsgemäßer Handhabung gewährleistet. Abhängig von Handschuhmaterial (s. unten) und Desinfektionssubstanz sowie Einwirkzeit und Belastung kommt es zur Degradation des Schutzmaterials, das schließlich klebrig, steif und brüchig wird. Lange bevor die physikalische Beeinträchtigung sichtbar ist, kommt es zur Zunahme der Permeation. Chemikalien diffundieren durch die Handschuhwand und bereiten den Weg für Kleinsterreger und weitere Penetration. Auch die doppelte Behandschuhung kann diesen Prozess nicht suffizient stoppen. Mangels Reproduzierbarkeit der Schutzintegrität sowie des Desinfektionserfolgs der Schutzkleidung muss daher gemäß den Empfehlungen der WHO ein regelmäßiger Handschuhwechsel erfolgen!
Es gilt die Desinfektion von Schutzkleidung als allgemeines Handlungsprinzip in weiterer Folge obsolet!

Limitationen der Materialien

Auch das Material der Schutzkleidung verdient eine genaue Betrachtung. So bestehen medizinische Handschuhe heutzutage aus Kunstgummi (Styrol-Etylen-Butylen-Styrol-[Tactylon]-Styrol-Butadien-Kautschuk; Polychloropren [Neopren] oder Nitrilkautschuk) bzw. Kunststoff (Polyethylen oder Polyvinylchlorid). Die zunehmend häufiger eingesetzten Vinylhandschuhe besitzen gegenüber den bislang verwendeten Nitril- oder Kautschukvetretern durch die fehlende molekulare Kreuzvernetzung eine reduzierte Dehnungsfähigkeit. Damit verbunden ist neben der deutlichen Reduktion der Tastsensibilität die vermehrte Penetration und Permeation durch chemische Substanzen und Kleinsterreger unter Belastung. Aus diesen Gründen musste in den europäischen Normen (EN 455-2) für diesen Materialtyp eine um 2,6 Newton niedrigere Mindestreißkraft gegenüber Kautschuk- oder Nitrilhandschuhen erlaubt werden. Zudem liegt eine deutlich geringere Widerstandsfähigkeit gegenüber diversen Chemikalien, einschl. Aldehyde und Alkohole, vor. Wie auch bei den Kunstgummihandschuhen besteht die Möglichkeit einer allergischen Kontaktdermatitis, im Falle der Kunststoffhandschuhe durch Bisphenol A, Benzoisothiaziolinon, Adipinpolyester, Propylenglykolverbindungen oder Ethylhexylmaleat.
Durch den hohen Prozentsatz von Weichmachern (45% Phtalate) können diese insbesondere bei Hautmazeration durch mangelnde Alkoholablüftung vermehrt über die Haut resorbiert werden.

Kontaminationsrisiko beim Anlegen

Ein weiterer Problemkomplex neben Abstimmung mit Desinfektion und der Materialbeschaffenheit ist die korrekte Anlage der Schutzkleidung, hier exemplarisch bei Anziehen von Überschuhen dargestellt. Dieser Teil der Schutzkleidung verliert zunehmend an Bedeutung, da mit ihm in der Praxis die Gefahr der (erneuten) Kontamination verbunden ist. Mit dem Versuch, Überschuhe anzulegen, erhöht sich das Risiko, durch Berührung mit Hosenbein, Schuh oder Boden eine massive Kontamination einer prinzipiell wesentlich sensibleren Region, der Hand, zu erfahren. Nach Risikoabwägung wird heute daher allgemein von einem Gebrauch der Überschuhe zunehmend abgesehen und dieser Teil der Schutzkleidung im Bedarfsfall durch Bereichsschuhe ersetzt.

 

Fact-Box

  • Schutzkleidung erfüllt ihre Barrierefunktion in durchdachter Abstimmung mit der hygienischen Händedesinfektion.
  • Bei Kontaktisolierung Schürze und Handschuhe, bei aerogener Streuquelle zudem Maske, Haube, ev. Brille.
  • Wechsel nach jedem Patienten, Desinfektion der Schutzkleidung ist nicht zulässig.
  • Schutzfunktion variiert stark nach verwendetem Material.
  • Gefahr der Kontamination bei Anlegen der Schutzkleidung – aus diesen Gründen z.B. häufig Verzicht auf Überschuhe.


Literatur beim Verfasser