Epilepsie im Kindesalter – anders als bei Erwachsenen

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Vimeo. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Aufgrund des Umstandes, dass die kindliche Epilepsie auf ein unreifes Gehirn trifft, besteht oft bereits nach kurzem Krankheitsverlauf die Gefahr schwerer und irreversibler Beeinträchtigungen der psychomotorischen Entwicklung. Im Folgenden sind die wichtigsten Besonderheiten der Epilepsien des Kindesalters zusammengefasst:

  1. Anfallstypen – sowohl konvulsive/motorische als auch nichtkonvulsive/nichtmotorische – sind primär altersabhängig (nicht ursachenspezifisch) und unterscheiden sich somit bezüglich klinischer Semiologie grundlegend.
    a. Anfallstypen, die bei Erwachsenen selten oder gar nicht vorkommen: infantile Spasmen, tonische, myoklonische oder atonische Sturzanfälle etc.
    b. Gehäuftes Auftreten von ausschließlich nichtkonvulsiven Anfällen: Verglichen mit konvulsiven Anfällen werden sie 4-fach häufiger nicht erkannt, und die Latenz bis zur Epilepsiediagnose ist selbst bei wiederholtem Auftreten bis zu 10-fach länger. Trotz subtilerer Semiologie bergen nichtkonvulsive Anfälle ein erhöhtes Morbiditäts-/Mortalitätsrisiko und führen bei fehlender Kontrolle zudem oft zu signifikanten kognitiven Defiziten und/oder neuropsychiatrischen Störungen.
  2. Dem Elektroenzephalogramm (EEG) kommt hier besondere Bedeutung zu. Kenntnis altersspezifischer EEG-Veränderungen, insbesondere jener im Schlaf, ist für pädiatrische Epileptolog:innen essenziell.
  3. Die Ursachen/Ätiologien kindlicher Epilepsien unterscheiden sich ebenfalls grundlegend und sind oft kombiniert. Sie umfassen Strukturläsionen (v. a. Störungen der Hirnentwicklung/kortikale Malformationen, epilepsieassoziierte Tumoren und vaskuläre Defekte) und/oder genetische und/oder neurometabole Ursachen. Da auf den Gebieten Bildgebung, Molekulargenetik und Neurometabolik rezent signifikante Fortschritte erzielt und vielfach auch vielversprechende Therapieansätze entwickelt wurden, ist gezielte Diagnostik entsprechend aktuellen Standards notwendig. Für alle genannten Bereiche existieren Richtlinien bzw. zumindest Empfehlungen bezüglich diagnostischen Vorgehens.
  4. Die Zuordnung zu spezifischen Epilepsiesyndromen ist der wohl grundlegendste Unterschied zur Erwachsenen-Epileptologie und ermöglicht maßgeschneiderte Diagnostik und Therapie, inklusive gezielter Behandlung assoziierter komorbider Störungen (intellektuelle Einbußen, Autismus, Hyperaktivität etc.) sowie seriöse Prognosestellung und Beratung der Eltern bzw. Angehörigen.
  5. Die Mehrzahl der derzeit zur Verfügung stehenden Antianfallsmedikamente (ASM) wurde primär an Erwachsenen getestet. Sowohl Wirkung/Unwirksamkeit am unreifen Rezeptor als auch zu erwartende Verträglichkeit/Nebenwirkungen sind jedoch unterschiedlich.
  6. Vielversprechende – auf das Kindesalter abgestimmte – neue Therapieansätze:
    a. Derzeit verfügbare ASM können den Prozess der Chronifizierung/Epileptogenese nicht behandeln/stoppen. Empfohlen wird daher zunehmend das „Screenen“ von Risikokindern mittels regelmäßig wiederholter EEG sowie eine präventive Behandlung bereits bei Auftreten von spezifischen EEG-Veränderungen (und vor Auftreten manifester Anfälle).
    b. Schaffung individualisierte Behandlung/Krankheitsmodifikation basierend auf der zunehmenden Kenntnis der zugrunde liegenden genetischen und/oder neurometabolen Ursachen. Prototypische Beispiele sind die Anwendung des mTOR-Inhibitors Everolimus bei tuberöser Sklerose oder jene der ketogenen Ernährungstherapie bei GLUT1-Defekt.
    c. Noch immer bleiben etwa 30–40 % der Epilepsiepatient:innen – im frühen Kindesalter beträchtlich höhere Prozentsätze – mit Medikamenten schwer oder nicht behandelbar (pharmakoresistent). Demgegenüber wurden in den letzten Jahren zunehmend prächirurgische Diagnostik (Definition der epileptogenen Zone im Gehirn) und epilepsiechirurgische Eingriffe (Entfernung des die Anfälle generierenden Hirnareals) auch erfolgreich an Kleinkindern und Säuglingen durchgeführt. Die Zuweisung an ein pädiatrisches Epilepsiezentrum zur erweiterten Diagnostik und/oder bei Behandlungsschwierigkeiten – spätestens jedoch bei nachgewiesener Pharmakoresistenz (definiert als das Versagen +/– nichttolerierbare Nebenwirkungen von zwei ASM) – ist daher dringend empfohlen.
  7. Pädiatrische Epileptologie ist immer familienzentriert. Seriöse Beratung der Familien muss durch ein spezialisiertes multiprofessionelles Team basierend auf akkurater Diagnose- und damit Prognosestellung erfolgen. Dies beinhaltet auch die Unterstützung der Angehörigen durch Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen.

Transitionsprogramme: Geführt ins Erwachsenenalter

Nur ein kleiner Teil der im Kindesalter beginnenden Epilepsien remittiert vollständig im Erwachsenenalter. Transition ist die Vorbereitung von Jugendlichen mit Epilepsie auf zukünftige Autonomie im Erwachsenenalter hinsichtlich Compliance, Lebensstil, selbstständiges Wohnen, Berufswahl, Führerschein, Partnerschaft und Familiengründung, Kontrazeption, Schwangerschaft etc. Da junge Menschen Zeit für diese Entwicklung brauchen, sollte damit schrittweise ab dem 13., spätestens jedoch ab dem 15. Lebensjahr begonnen werden. Die Transition multimorbider, lebenslang auf Unterstützung angewiesener Jugendlicher mit komplexen und im Bereich der Erwachsenen-Epileptologie oft noch wenig bekannten Epilepsien erfordert spezielle Transitionsprogramme sowie eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie die Schaffung adäquater familienzentrierter Infrastrukturen im Erwachsenenbereich.