Wenn das Gehirn anders vernetzt ist

Neuromentale Entwicklungsstörungen zählen zu den relevanten psychischen Erkrankungen, von denen gleichsam Kinder, Adoleszente und Erwachsene betroffen sind. Autismus-Spektrum-Störungen und ADHS sind die bekanntesten Vertreter neuromentaler Entwicklungsstörungen, die zu erheblichen Beeinträchtigungen in der Bewältigung alltäglicher Aktivitäten führen.

Symptomatik

Neuromentale Entwicklungsstörungen sind mit Besonderheiten der kognitiven, emotionalen, kommunikativen, sprachlichen und motorischen Entwicklung sowie der Lernentwicklung assoziiert. Die Beschwerden manifestieren sich meist in der Kindheit und sind in mehreren Lebensbereichen vorhanden. Im Kindergarten oder in der Volksschule sind Buben und Mädchen, die an neuromentalen Entwicklungsstörungen leiden, im Vergleich zu anderen Kindern (Peer Group) hinsichtlich der einen oder anderen Norm auffällig. Die Beschwerden persistieren – mitunter in einer etwas abgeschwächten Ausprägung – ins Erwachsenenalter.

Aus klinischer und neuropathophysiologischer Sicht überlappen neuromentale Entwicklungsstörungen in erheblichem Ausmaß. Aufgrund dieser Schnittmengen sollten Psychiater:innen und Psycholog:innen im diagnostischen Prozess stets das erhöhte Risiko für das Vorliegen weiterer komorbider Entwicklungsstörungen berücksichtigen und gezielt danach fragen. Die hohen Komorbiditätsraten gehen in der Regel mit einer komplexeren Symptomatik und einer tendenziell ungünstigeren Prognose einher. Die jeweilige Symptomatik kann als konstant und strukturell („trait-like“) verstanden werden und bildet die Grundlage für die weitere Persönlichkeits- und Lebensentwicklung.

Bei Autismus-Spektrum-Störungen finden sich Beeinträchtigungen in den Bereichen Kommunikation und soziale Interaktion (z.B. eingeschränkte oder situationsunangemessen eingesetzte Mimik und Gestik) sowie stereotype, repetitive Verhaltensmuster. Das Einsetzen der Sprachentwicklung kann verspätet sein oder in schweren Fällen sogar gänzlich ausbleiben.

ADHS ist gekennzeichnet durch Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität und Impulsivität. Zum Aufmerksamkeitsdefizit gehört auch die Problematik bei Organisation und Zeitmanagement, die bei den meisten Betroffenen vorhanden ist. Hinzu kommen neben Beschwerden wie emotionale Dysregulation (u.a. Wutausbrüche und emotionales Verhalten), Hyperfokus sowie Gedankenwandern.

Ursachen von Autismus-Spektrum-Störungen und ADHS

Es wird davon ausgegangen, dass bestimmte Prozesse der Reizverarbeitung und neuronalen Vernetzung im Gehirn bei Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen und ADHS verändert und in ihrer Reifung verzögert sind. Beide Störungsbilder sind stark genetisch bedingt – mit einer geschätzten Erblichkeit von rund 80 %. Daraus lässt sich ableiten, dass es im Rahmen der Diagnostik sinnvoll ist, auch die Symptomatik der Eltern zu berücksichtigen. Dies ermöglicht einerseits eine präzisere diagnostische Einschätzung und eröffnet andererseits die Chance, auch den Eltern bei Bedarf eine gezielte Unterstützung anzubieten. Dies kann insgesamt zu einer höheren Zufriedenheit und einem besseren Verständnis innerhalb des Systems Familie beitragen. Im Rahmen des biopsychosozialen Modells werden zusätzlich Umweltfaktoren wie frühe Entwicklungseinflüsse, familiäre Belastungen oder chronischer Stress berücksichtigt, die den Verlauf und die Ausprägung beeinflussen können, jedoch in der Regel nicht als Hauptursache gelten.

Behandlung

Für die Therapie bei Autismus-Spektrum-Störungen werden sowohl Psychotherapie im Einzel- oder Gruppensetting als auch Psychoedukation und Beratung für Betroffene und deren Familien empfohlen. Die Evidenzlage ist für den Einsatz einer störungsspezifischen Therapie nicht ausreichend, weswegen keine zugelassene Medikation bei Autismus-Spektrum-Störungen vorhanden ist (Anm.: Verordnung psychopharmakologischer Therapien bei Autismus-Spektrum-Störungen findet daher nur im Off-Label-Bereich statt). Bei entsprechend starker Ausprägung einzelner Symptome wie stereotypen Verhaltensmustern ergibt es allerdings Sinn, diese zu behandeln.

Bei der Behandlung von ADHS werden meist Psychotherapie, medikamentöse Therapie oder eine Kombination beider Ansätze empfohlen. Stimulanzien (z. B. Methylphenidat, Amphetamine) und Nichtstimulanzien (z.B. Atomoxetin) gelten als hoch wirksam und sind in der Regel gut verträglich; mögliche Nebenwirkungen lassen sich meist gut behandeln. Die Medikamente fördern die dopaminerge und noradrenerge Signalübertragung im Gehirn, was Konzentration und Selbstregulation deutlich verbessert. Durch Psychotherapie und Psychoedukation lernen Betroffene, ihre Symptome besser zu verstehen und gezielt zu bewältigen; insbesondere kognitive Verhaltenstherapie hilft, ungünstige Denkmuster zu erkennen und zu verändern.