Arm und krank

„Lieber arm und gesund als reich und krank“ war eine vermeintliche Weisheit früherer Generationen. Man versuchte damit nicht die eigene Gesundheit als hoch zu bewerten, sondern suchte eher Trost für die eigenen bescheidenen Verhältnisse. Leider lehrt uns die Sozialmedizin seit Jahrzehnten, dass dem nicht so ist. Richtig heißt es: Bist du arm, bist du eher krank. Wir Hausärzte erleben diesen Zusammenhang regelmäßig in unserer täglichen Arbeit, oft jedoch ohne ihn bewusst wahrzunehmen. Da ist die alleinstehende Pensionistin, die wegen einer Pneumonie visitiert wird und nur ein paar Kartoffeln als Mittagessen am Teller hat. Da ist die türkischstämmige Familie mit der depressiven Mutter, die zu sechst auf nicht einmal siebzig Quadratmeter lebt, sodass kaum Luft zum Atmen ist und die Schulkinder keinen Platz zum Hausaufgabenmachen haben. Dort wo wir mit Armut konfrontiert sind, sind wir gewohnt, entsprechend zu reagieren. Leider verschließt sich ein Großteil der Armut auch unseren Augen, sodass wir dann nicht optimal handeln können. Daher wäre es gut, würde sich ein Teil des Fortbildungsangebotes auch mit sozialmedizinischen Themen beschäftigen. Wir könnten dann unseren schönen Beruf noch umfassender und fundierter ausüben und so auch manche unnütze Untersuchung oder wirkungslose Therapie vermeiden.
Aber gibt es nicht für jeden Österreicher unabhängig von seiner finanziellen und sozialen Situation freien Zugang zu allen Leistungen? Der Vergleich mit dem Birnbaum im nachstehenden Beitrag von Martin Schenk zeigt schön, dass Theorie und Praxis schnell auseinanderklaffen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchung. Wir erleben regelmäßig, dass jene, die am ehesten davon profitieren würden, sich am schwersten dazu motivieren lassen oder erst gar nicht in unsere Ordinationen kommen. Hier ließe sich zum Beispiel durch ein Listensystem Abhilfe schaffen, bei dem sich jeder bei einem Hausarzt einschreiben muss. Dadurch wäre zumindest ein Ansprechpartner formuliert und ein leichteres Ansprechen von sogenannten Randgruppen möglich. Dass finanzielle Anreize nicht den gewünschten Erfolg bei der Gesundheitsförderung bringen, hat die Aktion der Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft gezeigt. Sie bietet bekanntlich ihren Versicherten eine Reduktion des Selbstbehalts bei der Erreichung von (großteils schwer überprüfbaren) Gesundheitszielen. Diese werden noch dazu, siehe BMI, mit unzulänglicher Evidenz angewendet. Es kam zwar zu einer deutlichen Zunahme der Vorsorgeuntersuchungen, jene aber, welche eine Lebensstilveränderung benötigen, waren bei den neu zur Vorsorgeuntersuchung Erschienenen kaum dabei. Es waren auch großteils Versicherte, die von einer Reduktion des Selbstbehalts kaum profitieren, da sie ohnehin kaum Leistungen in Anspruch nehmen. Wo sind die slowakischen Pflegerinnen, die Einmannfirmen in der Baubranche, die unter prekären Verhältnissen arbeitenden Akademiker und Konsulenten? Sie wurden mit dieser Aktion nur höchst marginal erreicht, obwohl sie nach sozialmedizinischen Erkenntnissen jene wären, welche den höchsten Beratungsnutzen hätten.
Die ÖGAM versucht sich mit ihrem Arbeitskreis Prävention und Gesundheitsförderung auch diesen Fragen zu stellen und konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Probleme zu entwickeln. Eine der vordringlichsten Aufgaben dabei wird sein, vermehrt sozialmedizinische Aspekte in die Fortbildung einzubauen und einen fundierten Beitrag zu einer sinnvollen Weiterentwicklung der derzeitigen Präventionsprogramme zu leisten.