Beruf und Berufung zusammenführen

Wir haben nach wie vor im Universitätsklinikum Graz Betten gesperrt, und zwar aus dem Grund, dass uns Diplompersonal fehlt“, erklärte Eveline Brandstätter, Pflegedirektorin der steiermärkischen Krankenanstalten KAGes, Mitte Mai gegenüber Radio Steiermark. In Vorarlberg teilt die Pressestelle des Landes auf Anfrage der Ärzte Krone mit, dass unbesetzte Pflegestellen die Bettenkapazität der Landeskrankenhäuser um etwa 6% reduzieren: „Aktuell können rund 90 der gesamt rund 1.512 Betten in den Landeskrankenhäusern aufgrund von Personalknappheit nicht bespielt werden.“ Die Tirol Kliniken können laut einem Bericht der Tiroler Tageszeitung Stand April 300 Betten aufgrund von Personalengpässen nicht nutzen. Auch aus anderen Bundesländern kommen solche Nachrichten.

Umfrage zeigt Personalmangel

Eine aktuelle Analyse von Foresight Research zeigt, dass zwar die Zahl an Beschäftigten in Gesundheitsberufen in den vergangenen 10 Jahren um ein Drittel gestiegen ist, allerdings stehen im Gesundheitswesen rund 98.000 Beschäftigten über 50 Jahre nur knapp 62.500 Beschäftigte unter 30 Jahren gegenüber. Nur etwa jede:r fünfte Jugendliche in Österreich könne sich grundsätzlich vorstellen, einen Pflegeberuf zu ergreifen, wobei vor allem der als zu niedrig eingeschätzte Verdienst sowie ein deutlich geringeres Berufsprestige als jenes von Ärzt:innen von dieser Berufswahl abschrecken. Vor allem körperliche und psychische Belastungen seien stark gestiegen, sagte Christoph Hofinger, Sozialforscher und Managing Partner von Foresight Research, beim Austrian Health Forum (AHF) in Schladming.

Ärztemangel durch Mehrbedarf

Die Herausforderungen stellen sich auch im ärztlichen Bereich, erklärte Univ.-Doz. Dr. Thomas Szekeres, Ehrenpräsident der Wiener Ärztekammer. Er sieht unter anderem in veränderten Ansprüchen ans Arbeitsleben eine der Ursachen für den Personalmangel: „Als ich Arzt wurde, waren 100 Arbeitsstunden pro Woche keine Seltenheit. Es ist natürlich gut, dass das heute kein Standard mehr ist. Aber dadurch entstehen Probleme, auf die wir Antworten finden müssen. Wir haben heute doppelt so viele Ärzt:innen wie damals, und trotzdem gibt es einen Ärztemangel.“ OMR Dr. Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer und der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien, ergänzte: „Wenn die Zeiten wirtschaftlich schlecht sind, dann steigt der Bedarf an medizinischen Dienstleistungen. Gesundheit ist eine Notwendigkeit, in die gerade jetzt investiert werden muss.“

Wertschätzung ist wichtig

Doch es geht nicht nur um die äußeren Rahmenbedingungen, waren sich die Expert:innen in Schladming einig. „Die Beschäftigten im Gesundheitswesen sind heute im Durchschnitt wesentlich älter als früher und auch wesentlich stärker belastet als vor der Pandemie. Damit steigt der Anteil jener, der den Beruf wechseln wollen“, skizzierte Hofinger die Problemlage. Um die aktuelle gesundheitliche Versorgung aufrecht zu halten, müssten nicht nur junge Menschen für Gesundheitsberufe gewonnen werden, sondern es gelte, auch die bestehenden älteren Beschäftigten so lange wie möglich gesund im Beruf zu halten, meinte der Forscher und führe weiter aus: „Trotz der oft schwierigen Rahmenbedingungen sind Menschen in Gesundheitsberufen stark intrinsisch motiviert. Diese Motivation muss durch bessere Arbeitsbedingungen und Wertschätzung auf Augenhöhe gezielt gefördert werden.“ Beschäftigte für das Gesundheitswesen können laut Hofinger gewonnen werden, indem Jobsicherheit, Zukunftsperspektiven und Wertschätzung geboten würden. Dazu gehören allerdings auch die Autonomie im eigenen Handlungsfeld und ein wertschätzender Umgang zwischen den Hierarchien und Berufsgruppen. Dr.in Katharina Reich, Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit und Sektionschefin im Gesundheitsministerium, schlug in dieselbe Kerbe: „Wir müssen die Jobs so gestalten, dass sie nicht nur erträglich sind, sondern dass Beruf und Berufung wieder zusammenkommen.“ Dr. Arno Melitopulos, Leiter des Bereiches Gesundheitssystem und Qualität der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), forderte, dass die Gesundheitsberufe selbst stärker in den Fokus der Debatte um den Fachkräftemangel rücken müssten: „Wir haben es ein wenig verlernt, mit den Menschen in den Gesundheitsberufen gute Gespräche zu führen. Wir sollten uns stärker auf den Austausch mit jenen konzentrieren, welche die Arbeit machen.“

Enorme Herausforderungen

Doch das ist nicht einfach, weil auch die äußeren Herausforderungen steigen. „Wir erleben Zeiten des Wandels, und das schafft Unsicherheit. Trotz aller Herausforderungen müssen wir das Vertrauen in unser Gesundheitssystem wiederherstellen und stärken. Die Frage der Gesundheit ist auch eine soziale Frage und damit wichtig für eine stabile Demokratie“, betonte Korinna Schumann, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. „Wir haben in Österreich Spitzenmedizin für alle, unabhängig von Herkunft, Alter oder finanziellen Mitteln. Aber wenn wir jetzt nicht die richtigen Weichen stellen, wird das in Zukunft keine Selbstverständlichkeit sein. In der medizinischen Forschung ist einiges in der Pipeline, auf das wir uns freuen, aber auch hier müssen wir schauen, wie wir die finanziellen Mittel bereitstellen können“, beschrieb Mag. Peter McDonald, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), künftige Herausforderungen. Dr. Johannes Pleiner-Duxneuner, Geschäftsführer der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), skizzierte zudem neue Probleme: „Die Herausforderungen im Gesundheitssystem werden nicht kleiner, auch wegen der Umweltbedingungen: Wir müssen mit dem Klimawandel zurechtkommen, der schon jetzt bis zu 500 Hitzetote pro Jahr fordert. Erkrankungen wie die Vogelgrippe könnten auf den Menschen übergreifen. Wir verzeichnen steigende Fallzahlen bei exotischen Krankheiten.“

Technologie als Lösung?

Angesichts der drängenden Probleme und der Sparzwänge betonten zahlreiche Referent:innen beim AHF in Schladming die Potenziale neuer Technologien. Pleiner-Duxneuner: „Die großen Probleme können wir nur zusammen bewältigen, etwa durch eine bessere Nutzung vorhandener Gesundheitsdaten für die Patientensteuerung.“ Mag. Michael Zettel, Country Managing Director des Beratungsriesen Accenture Österreich, erklärte: „Technologie und Robotik können unser Produktivitätsproblem im Gesundheitssektor bereits lösen.“ Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH, sieht das ähnlich: „Ich halte es für klug und dringend erforderlich, die menschliche Arbeit mit Technologieeinsatz zu unterstützen und damit produktiver zu machen. Darüber hinaus kann dieser Technologieeinsatz auch dazu beitragen, dass sich Tätigkeiten in den Gesundheitsberufen neu – und integrativer – organisieren lassen.“

Neue Wege beschreiten

Dr.in Meinhild Hausreither, Leiterin der Sektion Humanmedizinrecht und Gesundheitstelematik im Gesundheitsministerium, betonte die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit: „Eine zentrale Frage ist: Wie können wir das Zusammenwirken der verschiedenen Gesundheitsberufe gestalten, wie sieht beispielsweise eine optimale Kooperation von Ärzteschaft und Pflegekräften aus? Wir müssen neue Wege beschreiten, um sicherzustellen, dass eine gute Versorgungsqualität auch in Zukunft gesichert ist.“ Zuversicht versuchte Dr. Alexander Biach, Generaldirektor der Sozialversicherung der Selbständigen (SVS), zu vermitteln: „Wir haben ein Gesundheitssystem, um das uns viele beneiden, wir dürfen die Diskussion nicht nur auf die Frusterlebnisse reduzieren. Die Ausgaben, die künftig nötig sind, werden wir solidarisch finanzieren. Dieses Land kann sich das leisten, und es wird sich das leisten.“