Im dritten Jahr der Pandemie wird einerseits nach wie vor über Virusmutationen und Impfstoffanpassungen diskutiert, andererseits gibt es eine Vielzahl an Therapien, die auf den Markt kommen beziehungsweise Indikationserweiterungen erfahren. Die Arzneien unterteilen sich also in gänzlich neue Medikamente und „Repurposing“-Medikamente – für einen anderen Zweck getestete Mittel, die für COVID-19 umgewidmet wurden. Anderen bestehenden Medikamenten wiederum werden von manchen Ärzten aus der Praxis Wirkungen zugeschrieben, die aber wissenschaftlich nicht belegt sind oder sich nach entsprechender Prüfung als nicht zielführend herausstellen.
Das ist bei neu auftretenden Erkrankungsbildern in der Medizin nicht ungewöhnlich. Die pandemische Situation und die global sehr breite Suche nach Therapien bringt ständig neue Erkenntnisse und erschwert damit den Überblick. Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe wurden seit Ausbruch der Pandemie fast 150.000 Studien in der National Library of Medicine (PubMed) veröffentlicht. Mehr als 80.000 zu Therapien und Impfstoffen gegen COVID-19. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat nicht zuletzt deshalb auf ihrer Website einen aktuellen Überblick zu COVID-19-Medikamenten erstellt, der laufend aktualisiert wird (siehe Link und QR-Code im Kasten). Die Ärzte Krone gibt in dieser Serie einen Überblick zu aktuellen Entwicklungen und Therapien. Den Auftakt bildet das orale COVID-19-Arzneimittel mit der Wirkstoffkombination PF-07321332 + Ritonavir, das von der Bundesregierung beschafft wurde und nun seit Anfang März auch zur Verfügung steht. Weitere Tranchen seien über das gesamte Jahr 2022 geplant, teilte Gesundheitsminister Dr. Wolfgang Mückstein (Grüne) mit. Das Medikament ist damit das erste orale Produkt, das in Österreich auf dem Markt verfügbar ist.
Vorgesehen ist das Medikament für Risikopatienten, bei denen nach einem positiven Test ein schwerer Verlauf und eine Hospitalisierung vermieden werden soll. PF-07321332 + Ritonavir ist zur Behandlung einer symptomatischen COVID-19-Erkrankung bei Erwachsenen zugelassen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf haben. „Das Arzneimittel stellt zwar keine Alternative zur Corona-Schutzimpfung dar, kann aber – bei positivem PCR-Ergebnis und frühzeitiger Einnahme innerhalb der ersten Tage der Erkrankung – Risikopatienten vor einem Krankenhausaufenthalt bewahren. Die Einnahme dieses Arzneimittels müsse für die optimale Wirkung innerhalb der ersten fünf Tage nach Symptombeginn gestartet werden, erklärte Mückstein. Ob eine Behandlung im konkreten Fall notwendig ist, werde von besonders geschulten Ärzten (teilweise von Epidemieärzten, teilweise von niedergelassenen Ärzten – das ist in den Bundesländern unterschiedlich) entschieden (vgl. Seite 22 „ÖGAM-Empfehlungen“).
In den Studien seien Erwachsene mit nachgewiesener COVID-19-Erkrankung und Symptomen und einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf eingebunden gewesen, erzählt Dr. Sylvia Nanz, Country Medical Director der Pfizer Corporation Austria. Ein „erhöhtes Risiko“ gilt für Personen über 60 (egal ob Zusatzerkrankungen oder nicht), für Personen mit chronischen Erkrankungen, Diabetes, chronischen Lungenerkrankungen, aktiven Krebserkrankungen, Herzerkrankungen, immunsupprimierte Personen und Übergewichtige. „Nicht eingesetzt werden sollte es bei Personen mit schwerer Nieren- oder Leberfunktionsstörung. Bei mittelgradiger Nierenfunktionsstörung muss die Dosis angepasst werden. Bei einer bekannten und therapierten HIV-Infektion kann man das Arzneimittel einfach dazugeben. Bei einer unbehandelten HIV-Infektion kann es zu Resistenzen führen“, sagt Nanz. Der Grund für Letzteres: Das Medikament enthält zwei verschiedene Wirkstoffe, die einzeln über verschiedene Tabletten eingenommen werden. Einer davon ist das HIV-Therapeutikum Ritonavir. Nanz: „Das wird deshalb gegeben, damit die Konzentration des COVID-19-spezifischen Wirkstoffes hochgehalten werden kann. Dieser würde sonst recht rasch durch Leberenzyme abgebaut, Ritonavir verhindert das und ist somit ein pharmakokinetischer Verstärker.“
Der eigentliche Wirkstoff PF-07321332 ist ein Proteaseinhibitor, der ein viruseigenes Enzym hemmt. „Der Wirkstoff wurde extra für SARS-CoV-2 entwickelt. Er verhindert, dass sich das Virus vermehren kann. Das Virus setzt in Körperzellen seine RNA frei, dann werden Proteinketten gebildet. Der zentrale nächste Schritt, das Zerschneiden dieser Proteinketten, die sogenannte Proteolyse, wird durch PF-07321332 gehemmt. Er greift aber nicht in andere Prozesse in menschlichen Zellen ein“, erklärt Nanz. Weil das Arzneimittel die Virusvermehrung hemme, muss man die Behandlung innerhalb von fünf Tagen nach Symptombeginn starten. Danach muss es fünf Tage lang morgens und abends genommen werden. „Das reicht, um die Virusreplikation massiv zu unterdrücken.“ Die Herausforderung: Man muss Patienten, die eventuell nur leichte Symptome haben, überzeugen, über mehrere Tage sechs Tabletten täglich zu nehmen.
In die Zulassungsstudie seien 2.246 Erwachsene eingebunden gewesen, schildert Nanz. Untersucht wurde, wie hoch das Risiko im Vergleich zu Placebo ist, entweder ins Spital eingewiesen zu werden oder gar zu versterben. „Bei Therapiebeginn innerhalb von 5 Tagen verringerte PF-07321332 + Ritonavir das Risiko einer Krankenhauseinweisung oder eines Todesfalls aus jeglicher Ursache um 88 % im Vergleich zu Placebo bei Patienten.“ Die Studie ist im New England Journal of Medicine erschienen. Die empfohlene Dosierung beträgt 300 mg PF-07321332 und 100 mg Ritonavir (das entspricht drei Tabletten zweimal am Tag). Nebenwirkungen seien wenig berichtet worden, sagt Nanz: „Es kam gegenüber Placebo häufiger zu Geschmackstörungen (ca. 6 %), Diarrhö (3 %), Kopfschmerzen und Erbrechen (je 1 %).“ Wechselwirkungen seien hingegen heikler. „Das Leberenzym, das durch Ritonavir gehemmt wird, hemmt auch die Verstoffwechslung von anderen Medikamenten, die über den gleichen Weg abgebaut werden. Das sind etwa einzelne Krebsmedikamente, manche Antibiotika, Produkte aus dem psychiatrischen Umfeld, gegen Herzrhythmusstörungen, manche Cholesterinsenker und auch Johanniskraut. Man könnte bei manchen Medikamenten eventuell pausieren – dieser Punkt der Interaktion muss aber mit jedem einzelnen Patienten gut abgeklärt werden“, sagt Nanz.
Generell warnt die Vertreterin des Herstellers, dass die orale Medikation kein Ersatz für die Impfung sei. „Das ist nicht die Tablette, die ich schnell einmal nehme, wenn ich nicht geimpft bin und mich anstecke.“ Keine Rolle spielen die bisher bekannten Virusmutanten. „Das Enzym, auf welches das Medikament zielt, verändert sich derzeit kaum. Es ist auch eher unwahrscheinlich, dass es stark mutiert. Das ist nicht wie beim Spikeprotein.“ Allerdings müsse die Situation weiter beobachtet werden.