Schulungskonzepte („Therapie aktiv“)

Die Diabetesschulung gehört seit ihrer Etablierung in den 1980er-Jahren zum Standard in der Behandlung des Diabetes mellitus. Ging es anfangs vorwiegend um die Vermittlung von Wissen zur Entstehung, zum Verlauf, zu den Therapiemöglichkeiten und den Folgen der Erkrankung, so wurden neuere Schulungskonzepte durch die Betonung des „Selbstmanagements“ erweitert. Die Einbeziehung des Diabetes in den beruflichen und privaten Alltag durch Befähigung der Betroffenen, situativ richtig zu reagieren und langfristig durch Selbstkontrolle (vor allem Körpergewichtskontrolle, Blutzucker- beziehungsweise Gewebsglukosemessung, Blutdruckmessung) ihre Stoffwechseleinstellung zu optimieren, bestimmt damit heute den Weg zum „Empowerment“ des Einzelnen.

Therapie aktiv

Dazu wurden vor allem in Deutschland in den letzten Jahren umfassende Konzepte und davon abgeleitete Programme entwickelt. Die Basisschulung für Personen mit Typ-2-Diabetes, die nach wie vor den Hauptanteil der Betroffenen ausmachen, besteht aus mehreren Modulen, die durch Schulungsteams in Österreich in vergleichbarer Form angeboten werden. Personen, bei denen erstmals Diabetes festgestellt wurde, sollten jedenfalls zeitnah zur Diagnosestellung entsprechend informiert und unterrichtet werden. So ist die Diabetesschulung im Rahmen des Disease-Management-Programms (DMP) Typ-2-Diabetes „Therapie aktiv“ ein wichtiger Bestandteil dieses Betreuungsprogramms. Beispielhaft kann für die Basisschulung das MEDIAS-2-Programm genannt werden. Die Unterlagen dazu wurden in den letzten Jahren von einem Team der Diabetesklinik Bad Mergentheim, Deutschland, zusammengestellt und dienen gemeinsam mit Schulungsmaterialien des sogenannten „Düsseldorfer Modells“ als Grundlage. Letzteres wurde bereits vor mehr als 30 Jahren in der Universitätsklinik Düsseldorf entwickelt und immer wieder an die Neuerungen in Diagnostik und Therapie angepasst. Üblicherweise erfolgt die Diabetesschulung in Modulen von 4 bis 5 Einheiten mit einer Länge von jeweils circa 2 Stunden. Diese Module umfassen Informationen zu Grundlagen des Diabetes (Risikofaktoren, Ursachen, Definition), Selbstkontrolle, Behandlung, Folge- und Begleiterkrankungen.

Paradigmenwechsel

Wurde in den vergangenen Jahrzehnten der Ernährungsumstellung besondere Bedeutung zugemessen, so hat in den letzten Jahren die Betonung von und Anleitung zu regelmäßiger körperlicher Aktivität/Bewegung/Sport besonderes Augenmerk erhalten. Die über Jahre als „Diabetesdiät“ bezeichnete Ernährungsform hat schon lange ausgedient; selbstverständlich ist aber ein Modul zur Vorstellung und zur Besprechung einer gesunden Ernährung bei Diabetes Bestandteil jedes Schulungskurses. Ernährung ist und bleibt ein wichtiges Thema, das für die Betroffenen oft im Mittelpunkt einer Lebensstiladaptierung steht. Zusätzlich gehört, wie angesprochen, ein Modul Bewegung mit praktischem Teil in jeden modernen Schulungskurs. Als Beispiel dazu sei DiSko („Wie Diabetiker zum Sport kommen“) genannt, ein über die Deutsche Diabetes-Gesellschaft validiertes Programm, in dem die Betroffenen den positiven Einfluss von Bewegung auf Blutzucker, Herzfrequenz und Blutdruck im Rahmen einer einfachen Bewegungseinheit (zum Beispiel 30 Minuten Nordic Walking) direkt erleben. Die Inhalte der Module eines Schulungskurses werden in Form eines Team-Zugangs von Ärzten, Diabetesberatern und Diätologen an Personen mit Diabetes weitergegeben. Wie bereits angesprochen, sind die Inhalte nicht auf reiner Wissensvermittlung aufgebaut, sondern dienen als Grundlage für die Besprechung und Diskussion mit den Kursteilnehmern. Die Form einer Gruppenschulung beziehungsweise eines Gruppenkurses mit maximal 10 Personen hat sich für die interaktive Beschäftigung mit dem persönlichen Thema Diabetes sehr bewährt. Der Umgang mit akuten Komplikationen wie Diabetesentgleisungen (Hypoglykämie, Hyperglykämie), der Glukoseselbstkontrolle, der selbständigen Anpassung der Medikation (insbesondere des Insulins), dem Verhalten im Alltag (Beruf, Familie, Sport, Reisen et cetera) sowie psychologische Aspekte zum Leben mit Diabetes werden dabei aufgezeigt und entsprechend vermittelt. In Österreich hat sich diese Form der Gruppenkurse für Personen mit Typ-2-Diabetes sowohl in Kliniken als auch im niedergelassenen Bereich etabliert.

Salzburg als Vorbild

Einen adäquaten Zugang für alle Patienten zu gewährleisten gelingt aber aufgrund fehlender logistischer Ressourcen bisher nur lückenhaft. Als Beispiel für die Etablierung einer flächendeckende Diabetesschulung in einem Bundesland kann allerdings Salzburg genannt werden. Zusätzlich zu den seit Jahren über den Arbeitskreis für Vorsorgemedizin (AVOS) vorwiegend in den Krankenhäusern im Bundesland organisierten Kursen wurden mit Jänner 2019 durch die Salzburger Gebietskrankenkasse, nun Österreichische Gesundheitskasse, Diabeteskurse in allen Teilen des Bundeslandes direkt in den Gemeinden organisiert. Der Zuspruch war sehr groß: Bis Ende Dezember 2019 nahmen mehr als 800 Patienten teil. Davon waren bei Kursbeginn nur 21 % im DMP „Therapie aktiv“ eingeschrieben, was zeigt, dass damit viele bisher nicht erreichte Betroffene geschult werden konnten. Die Finanzierung der Schulungskurse erfolgt gemeinsam durch das Land Salzburg und die Gesundheits- beziehungsweise Krankenkassen. Erfreulich wäre eine Umsetzung eines solchen Modells in ganz Österreich, um mehr Patienten als bisher in Gemeinden ohne Nähe zu Kliniken oder Gesundheitszentren zu erreichen.

Natürlich ist eine einmalige Teilnahme an einem Diabeteskurs keine Garantie für ein komplikationsloses Leben mit der Erkrankung. Nachschulungsmodule und wiederholte Teilnahmen an solchen Kursen werden deshalb empfohlen und auch ermöglicht; Kosten entstehen den Patienten dadurch nicht. Weiters trägt die Einschreibung und damit Teilnahme am DMP Typ-2-Diabetes „Therapie aktiv“ zu einer regelmäßigen Evaluierung des Gesundheitszustandes im Rahmen einer strukturierten Diabetesbetreuung vonseiten des Patienten und des Arztes bei. Die Österreichische Diabetes-Gesellschaft (ÖDG) unterstützt den Ausbau dieses Programms, an dem – nach etwas mehr als 10 Jahren seit Etablierung – mit Anfang 2020 circa 1.800 aktive Ärzte und 85.000 Patienten teilnehmen. Evaluierungen des Programms beschreiben tendenzielle Verbesserungen in Bezug auf Morbidität und Mortalität sowie eine Verringerung der Betreuungskosten (in Hinblick auf stationäre Krankenhauskosten).

Zurück zur Schulung: Neben der genannten Basisschulung bei Typ-2-Diabetes werden zur alltagsnahen Schulung sogenannte „Conversation Maps“ eingesetzt. Es sind dies tischgroße Karten, die Alltagssituationen darstellen und in Kleingruppen von bis zu 5 Personen verwendet werden. Sie erweisen sich als sehr hilfreiche Materialien, um mit den Betroffenen und deren Angehörigen in Diskussion zu kommen und eigene Alltagserfahrungen auszutauschen.

Unterstützend können die Bewegungs– und Ernährungsboxen der ÖDG eingesetzt werden. Sie beinhalten Materialien, die zusammengestellt wurden, um Motivation, Unterstützung und Aufklärung zur individuellen Umsetzung eines gesunden Lebensstils zu bieten.

Formen der Schulung

Für Personen mit Typ-1-Diabetes oder auch für den Einsatz bei anderen Diabetesformen mit komplexer Insulintherapie erfolgt die Diabetesschulung meist in Form einer Einzelberatung. Gruppenkurse konzentrieren sich auf Zentren, in denen sich genannte Patientengruppen in größerer Zahl sehen und zeitgleich informieren können. Diese erfolgen dann meist in Form von Wochenkursen mit praktischen Anleitungen, vorwiegend in Diabeteskliniken und Rehabilitationszentren. Auch dafür stehen verschiedene Unterrichtsprogramme zur Verfügung (zum Beispiel DiabetesFIT-Curriculum, PRIMAS „Schulungs- und Behandlungsprogramm für ein selbstbestimmtes Leben mit Typ-1-Diabetes“). Für das Management spezifischer Erkrankungssituationen oder diabetischer Folgen (zum Beispiel HyPOs „Hypoglykämie – POsitives Selbstmanagement“, NEUROS „Aktiv werden – Neuropathie richtig behandeln“) und besondere Behandlungsformen wie die Insulinpumpentherapie oder die Glukosesensorunterstützung wurden ebenfalls hilfreiche Unterlagen für die zu Schulenden entwickelt (zum Beispiel SPECTRUM für das Continuous Glucose Monitoring, FLASH für das Flash Glucose Monitoring, INPUT für die Insulinpumpentherapie).

Digitale Unterstützung

Diabetesapps (zum Beispiel mySugr) und Diabetesportale (zum Beispiel Diabetes-Patientenfuchs) bieten den Betroffenen zusätzliche Information und Unterstützung im Alltag mit Diabetes, wobei hier die adäquate Auswahl qualitativ hochwertiger „Produkte“ durch ein Überangebot im Internet nicht einfach ist.
Die österreichischen Patienten-Selbsthilfeorganisationen und die darüber stehende kürzlich gegründete Plattform „wir sind diabetes“, die sich als Interessenvertretung aller Menschen mit Diabetes in Österreich versteht, muss in diesem Zusammenhang als hilfreiche Anlaufstelle beziehungsweise als Forum für Betroffene und Betreuende genannt werden.

 

Wissenswertes für die Praxis

  • Lag in der Vergangenheit der Schwerpunkt im Diabetesmanagement auf der Ernährung, steht nun zunehmend die Bewegung im Fokus.
  • Die Schulungsmodelle erweitern die Möglichkeiten der Befähigung zum Selbstmanagement und tragen dazu bei, die Krankheit situativ in den Alltag einbauen zu können und mehr Selbstbestimmtheit zu erlangen.
  • Die Diabetesschulung ist ein wesentlicher, integraler Bestandteil des Diabetes-Management-Programms „Therapie aktiv“.
  • Evaluierungen dieses Programms beschreiben tendenzielle Verbesserungen in Bezug auf Morbidität und Mortalität sowie eine Verringerung der Betreuungskosten.