Die Adipositaschirurgie greift

Es sind patientenseitig einige Voraussetzungen nötig, ehe man sich der Frage „Magenband, Sleeve oder Bypass“ stellen darf. Tatsache ist, dass Studien für eine bestimmte Patientengruppe diese Art der Versorgung als ideale Wahl identifizieren. Der Body-Mass-Index muss 35 überschreiten. Konventionelle Gewichtsreduktionsprogramme müssen frustran verlaufen sein. „In der Regel besteht eine Art Teufelskreis aus metabolischem Syndrom mit hohem Blutdruck, geringem HDL, erhöhtem LDL, Arthrose mit Schmerzen in vielen Gelenken; zusätzlich häufig Depressionen durch die gesellschaftliche Stigmatisierung und möglicherweise auch durch pathophysiologische Mechanismen“, erklärt Prim. Univ-Prof. Dr. Stefan Kriwanek, Chef der chirurgischen Abteilung am Wiener Donauspital und einer der wichtigsten Proponenten der bariatrischen Chirurgie in Österreich. Sogar Psychopharmaka kommen dann zum Einsatz, die allerdings selbst auch wieder gewichtsfördernd sind. Bei jungen Frauen kommt es häufig zur Infertilität. Am Ende des Weges drohen Diabetes und Dialyse. Das alles klingt wie eine Thematik aus der „Inneren Medizin“ – und die war es auch lange Zeit.Über Jahre fand die bariatrische Chirurgie allerdings keine Akzeptanz seitens der „Inneren Medizin“. Heute weiß man es besser. Ab BMI 40 – ab 35 bei Zusatzerkrankungen – ist die Adipositaschirurgie die Therapie der Wahl. Gleichsam „über Nacht“ kommt es bei vielen Patienten zum Verschwinden des Diabetes – etwas, das keine andere Therapie imstande ist, zu bewirken. Das hat mittlerweile dazu geführt, die Rückbildung dieser Erkrankung besonders zu studieren, um über die noch immer nicht völlig geklärte Entwicklung des Diabetes mehr zu lernen.

Österreich konkret

Jeder zehnte Österreicher ab 18 Jahren mit einem BMI (Body-Mass-Index) von mehr als 40 kg/m2 ist krankhaft übergewichtig. Daten zeigen eine Inzidenz der morbiden Adipositas von drei bis fünf Prozent. Das betrifft auf Basis der Volkszählung 2010 rund 700.000 Menschen. Sie alle gehören sprichwörtlich „unters Messer“, denn sie haben nur eine einprozentige Chance, mit konservativen Methoden ihr Gewicht dauerhaft zu reduzieren. „Die einzige sinnvolle Therapie für alle Betroffenen ist dann die Adipositaschirurgie – sie ist auch notwendig, da ein derartiges Übergewicht eine enorme Gefährdung der Gesundheit darstellt. Die Patienten sind üblicherweise 18 bis 65 Jahre alt. Danach kann zwar noch ein positiver Effekt auf die Lebensqualität, nicht jedoch eine ‚Lebensverlängerung‘ erreicht werden“, meint Kriwanek. In Extremfällen operiert man auch vor dem 18. Lebensjahr.1979 führte Prof. Karl Dinstl den ersten Magenbypass an der Wiener Rudolfstiftung durch. Zehn Jahre war das in Folge der Standard, wobei die Patientenzahlen deutlich geringer waren als heute. Zurzeit werden jährlich rund 2.300 Eingriffe in Österreich durchgeführt. Dabei ist das bekannte Magenband deutlich in den Hintergrund getreten, da etwa ein Drittel der Betroffenen seine Magenbänder binnen zehn Jahren wegen Speiseröhrenüberdehnung oder anderen Problemen wieder verliert, wobei bei den restlichen Patienten der Eingriff durchaus von Erfolg begleitet ist. Heute dominieren der „Magenbypass“ und der „Magenschlauch“. Beim Bypass wir der obere Magenanteil durchtrennt und die dadurch gebildete Tasche mit dem Dünndarm verbunden. Das entspricht funktionell einer fast vollständigen Magenentfernung, wobei der „ausgeschaltete“ Teil aber nicht entfernt wird. Theoretisch könnte man hier also rückoperieren. „Der Begriff Magenschlauch kann in etwa wörtlich aufgefasst werden, da der Magen gartenschlauchförmig verengt wird. Die restlichen Magenanteile werden entfernt“, erklärt Kriwanek. Wesentlich ist es in allen Fällen, dass an Spezialzentren mit mindestens 50 OPs je Chirurg pro Jahr operiert wird. Alle Eingriffe werden laparoskopisch – also minimalinvasiv – durchgeführt.

Potenzielle Komplikationen

Studien konnten belegen, dass bei Betroffenen mit besonders ausgeprägtem Bauchfett weniger Komplikationen auftreten, wenn ein Magenschlauch angelegt wird. Dieser Eingriff ist technisch auch weniger anspruchsvoll als der Bypass. Allerdings besteht das Risiko einer Refluxentwicklung, wenn der Verschlussmechanismus zwischen Speiseröhre und Magen schon vorher beeinträchtigt war. Sollten beide Eingriffe keinen Erfolg zeigen, besteht noch die Möglichkeit des Duodenal-Switchs, bei dem vorsätzlich eine Malabsorption (Resorptionsstörung) herbeigeführt wird, die zu enormem Gewichtsverlust führt, allerdings auch sehr komplexe ernährungstechnische Begleitmaßnahmen erfordert. Fettlösliche Vitamine und Calcium werden vermindert aufgenommen. Es drohen Hyperparathyreoidismus und Osteoporose. Auch beim Bypass muss in der Folge auf den Eisen- und Vitamin B12-Spiegel geachtet werden.Hinsichtlich des immer wieder angefragten Operationsrisikos ist dieses beim Magenschlauch etwas geringer als beim Bypass, allerdings ist letzterer eine Methode, mit der man bereits rund 35 Jahre Erfahrung hat. Eine österreichweite Statistik aus 2009 weist insgesamt eine Letalität von 0,4 % (4 aus 1.000) aus – das steht für „sehr sicher“. „Wir entscheiden uns für den Eingriff bei einem BMI von 40 oder mehr (krankhafte Fettleibigkeit), im Fall von schweren Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus ab einem BMI von 35. Zahlreiche Studien bestätigen dieses Vorgehen. Unterhalb dieses Wertes führen wir keine primären Übergewichtsoperationen durch. Für die Betroffenen ist die Adipositaschirurgie derzeit die einzige Chance, aus dem Teufelskreis der krankhaften Fettsucht zu entkommen“, so Kriwanek.

Job für Experten

Diese Behandlungsmethode ist ausschließlich eine Aufgabe für Spezialzentren mit umfassender Ausrüstung und Wissen. So sind etwa viele reguläre OP-Tische für ein Gewicht von 150 und mehr Kilo gar nicht zugelassen. Ähnliches gilt auch für Spitalsbetten. Nur dort, wo ein interdisziplinäres Spezialistenteam zur Verfügung steht, dürfen derartige Eingriffe gemacht werden. Dazu gehört ein Internist, der mit dieser besonderen Problematik vertraut ist, sowie ein speziell versierter Anästhesist, denn die Freihaltung der Luftwege während der Narkose stellt eine besondere Herausforderung dar. Die Psychiatrie muss Kontraindikationen wie Borderline oder Alkoholismus ausschließen. Die Physikotherapie sorgt für die möglichst rasche postoperative Mobilisierung. Diätberatung ist nach der OP notwendig, um eine geeignete Ernährung zu sichern.Und hieraus ergibt sich ein wesentliches postoperatives Problem. Es betrifft den Mangel an Vitaminen, Mineralen und Spurenelementen. Viele Betroffene ernähren sich schon vor der OP in dieser Hinsicht mangelhaft. Weniger vom Falschen bedeutet eine noch weiter verminderte Zufuhr – oft mit dramatischen Konsequenzen wie einer Polyneuropathie bei B1-Mangel oder generalisiertem Haarausfall bei Zinkdefizit. Daher sollten routinemäßig alle Operierten diese Stoffe substituieren. Am einfachsten gelingt das mit entsprechenden Sprays – einer ganz neuen Applikationsform. Keinesfalls sollte man auf den Mangel „warten“, denn eine Überdosierung ist mit diesen Präparaten praktisch nicht möglich. Kriwa­nek zur Sinnfrage: „Der Nutzen des Eingriffs steht außer Zweifel. So identifizierte eine englische Beobachtungsstudie über 24 Jahre an 100.000 Frauen Übergewicht als den einzigen unabhängigen Risikofaktor für frühe Sterblichkeit. Eine schwedische Studie an 4.000 Männern und Frauen zeigte, dass die OP das Mortalitätsrisiko um 30 % senkt. ‚Zuwarten‘ entspricht nach heutigen Erkenntnissen einer verweigerten Hilfeleistung sowie der wissentlichen Steigerung des kumulativen Risikos für Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall und Karzinome – um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen.“