Varikosis: Immer komplett abklären!

Konkret handelt es sich bei der primären Varikosis um eine degenerative Wanderkrankung der epifaszialen, intrafaszialen und transfaszialen Venen der Beine. Unter dem Einfluss verschiedener Manifestationsfaktoren, zum Beispiel Orthostasebelastung, können sich im Laufe des Lebens in unterschiedlicher Ausprägung und Schweregrad Krampfadern (Varizen) entwickeln. International hat sich heute die klinische Einteilung (C) nach der CEAP-Klassifikation durchgesetzt. Der Begriff stammt aus dem Englischen und ist eine Abkürzung für „Klinischer Befund“ (C = clinical condition), „Ätiologie“ (E = etiology), „Lokalisation“ (A = anatomic location) und „Pathophysiologie“ (P = pathophysiology).

Keine Daten aus Österreich

„Die primäre Stammvarikosis der Vena saphena magna ist eine sehr häufige und relevante Erkrankung. Sie kann in jedem Lebensalter auftreten, die Prävalenz nimmt jedoch mit steigendem Lebensalter zu“, erklärt der Linzer Chirurg Prim. Univ.-Doz. Dr. Andreas Shamiyeh. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Frauen über dem 60. Lebensjahr tragen ein zehn- bis zwanzigfach höheres Risiko, eine Varikosis auszubilden. Österreichische Daten zur Prävalenz gibt es nicht. Zur Einschätzung der Häufigkeit dient die sogenannte Bonner Studie. Demnach erkrankt nahezu jeder zweite Erwachsene im Verlauf seines Lebens an Krampfadern, bei 15 % der Erkrankten besteht dabei erheblicher Leidensdruck. In einer Erhebung zur Prävalenz der Varikose in der Bundesrepublik Deutschland von 2003, der Bonner Venenstudie, fand sich bei 12,4 % der Männer und 15,8 % der Frauen eine medizinisch bedeutsame primäre Varikosis ohne Zeichen einer chronisch-venösen Insuffizienz (CVI). Bei 11,6 % der Männer und 14,9 % der Frauen bestanden venöse Ödeme und 9 % der Untersuchten hatten eine krankhafte Varikose mit leichter venöser Insuffizienz. Ein Prozent der Untersuchten wies ein florides Ulcus cruris auf.
„Varizen im klinischen Sinne sind erweiterte, geschlängelte und knotig veränderte Äste der oberflächlichen Beinvenen. Im Bereich der Beine entsteht dadurch ein ‚Privatkreislauf‘, was besagt, dass das durch die intakten tiefen Venen nach oben gelangende Blut an der Einmündung der oberflächlichen Vene die Flussrichtung umkehrt und zu den Füßen hin strömt“, beschreibt Shamiyeh. Besonders stark betroffen sind Menschen mit stehenden und sitzenden Berufen, da es dabei zu einer verstärkten Beanspruchung der Venenklappen bei gleichzeitig geringer Bewegung der Beinmuskulatur kommt. Das venöse Blut steht unter einem hohen hydrostatischen Druck, weil die funktionsgestörten Klappen die Flüssigkeitssäule nicht abfangen können. Das Blut im Unterschenkelbereich dringt in die Venenverbindungen zwischen oberflächlichem und tiefem System (Perforansvenen) in der Tiefe vor und wird von den tiefen Venen zentripetal transportiert. „An den Mündungsstellen wiederholt sich dieses Phänomen. Blut zirkuliert, ohne das Herz und die Lunge zu durchströmen und ist dementsprechend sauerstoffarm und kohlendioxidreich. Dies schadet den Geweben. Im Liegen sind die Verhältnisse normal. Im Stehen und beim Gehen baut sich ein hoher hydrostatischer Druck auf, der wie beim Verschlusssyndrom zur Schädigung der Gewebe führt“, so Shamiyeh.
Primäre Varizen – rund 95 % der Fälle – sind konstitutionell bedingt. Begünstigende Faktoren sind: Erblichkeit, Adipositas, chronische Obstipation, Schwangerschaften und Hormonpräparate. Sekundäre Varizen werden durch Abflusshindernisse, vor allem durch Thrombosen, hervorgerufen.

Abklärung essenziell

Einer der häufigsten Fehler, die in der Versorgung der Varikosis gemacht werden, ist die unzulässig oberflächliche Diagnostik. „Besenreiser“ werden als harmlose „kleine“ Varizen bagatellisiert, obwohl sie ebenso wie eine unklare Schmerzsymptomatik im Venenbereich derselben diagnostischen Sorgfältigkeit bedürfen wie stark ausgeprägte „Krampfadern“. Nicht immer ist es medizinisches Unwissen, das diese scheinbar sorglose Handlungsweise beeinflusst, denn durch ihre Häufigkeit ist die Varikosis für manche Ordinationen ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor geworden. Der optische Effekt durch oberflächliches Veröden ist rasch erreicht – allerdings bleibt die Ursache unbehandelt und in vielen Fällen entwickeln sich binnen Jahresfrist erneut Besenreiser, die man ja wieder rasch veröden kann …
Das ist einer jener Punkte, die Venenspezialisten Sorgen bereiten, denn eine unzulänglich behandelte Varikosis führt letztlich zu einer chronischen venösen Insuffizienz mit allen Komplikationen bis hin zum Ulcus cruris als Endpunkt. Die bislang vorliegenden epidemiologischen Daten belegen, dass die Varikose infolge ihrer großen Häufigkeit sowie ihrer beträchtlichen Progressions- und Komplikationsneigung erhebliche Kosten verursacht und damit von relevanter sozioökonomischer Bedeutung ist. Es wird durch unzulängliche Versorgung in gesundheitsökonomischer Hinsicht also ein sehr kostspieliger Teufelskreis eröffnet. Ganz abgesehen davon, dass die Erkrankung vor allem in ihren fortgeschrittenen Stadien einen erheblichen Leidensdruck verursacht.
Shamiyeh betonte deshalb, dass jede Varikose mittels farbkodierter Dopplersonografie abzuklären wäre: „Die früher gebräuchliche Phlebografie hat hier heute als Methode der ersten Wahl nur mehr für spezielle Fragestellungen eine Berechtigung!“ In jeder Weise nachvollziehbar, denn der Duplex ist nicht invasiv, benötigt kein Kontrastmittel und es gibt keine Strahlenbelastung. In Zeiten wie diesen sehr wichtig, ist er in Summe nicht nur das wesentlich aussagekräftigere Verfahren, sondern auch weit kostengünstiger.

Welche Therapie?

Die klinische Symptomatik ist sehr variabel, wobei das Ausmaß der Krampfaderbildung nicht streng mit den klinischen Beschwerden korreliert ist. Konservativ wird die Kompressionstherapie eingesetzt – eine Therapieform, die durch lokalen Druck auf das venöse Beingefäßsystem zu einer Steigerung der Fließgeschwindigkeit des Blutes führt. Dieser Druck kann durch Bandagieren des Beines mit Kompressionsbinden oder durch spezielle Strümpfe erzeugt werden. Die Compliance bei dieser Behandlungsmethode ist allerdings lückenhaft. Neben der – trotz mittlerweile vielfarbiger Produkte – vermeintlich mangelnden Attraktivität sind die Stützstrümpfe in der warmen Jahreszeit natürlich eine tatsächliche Belastung.
Als Therapie der Wahl gilt vor allem die operative Sanierung. Eine relative Operationsindikation ergibt sich bei gelegentlichen Beschwerden (zum Beispiel Spannungsgefühl, Schweregefühl) oder bei prophylaktischen Erwägungen. Eine absolute Operationsindikation ist gegeben bei regelmäßigen typischen Beschwerden (Dysästhesien, Juckreiz, Schweregefühl, Spannungsgefühl, Schwellneigung, Wadenkrämpfe, Schmerzen), bei stattgehabter Varizenblutung, Thrombophlebitiden bei Varikosis, trophischen Weichteilläsionen (Induration, Pigmentierungen, Dermatitis, Ekzem, Atrophie) sowie bei Vorliegen eines Ulcus cruris venosum.
Hinsichtlich der Wahl des Verfahrens entscheiden nicht zuletzt anatomische Gegebenheiten. Grundsätzlich stehen zwei Therapierichtungen zur Verfügung:

  1. Venen-Stripping – dabei wird das kranke Venensegment entfernt
  2. Endoluminale Verfahren wie Laser (1.470 nm), Radiowelle und die „ClosureFast“-Methode

Bei Letzterer wird ein Katheter bis in die Leiste vorgeschoben. Anschließend wird eine örtliche Betäubung gesetzt und die Spitze des Katheters über Thermosonde auf 120 Grad erhitzt, sodass sich die Vene von innen verschließt. Verläuft die zu behandelnde Vene eingebettet zwischen Muskelfaszien, präferiert Shamiyeh die endoluminalen Verfahren, da sie in der Effizienz dem Stripping äquivalent sind. Je mehr das Gefäß jedoch subkutan verläuft, desto eher entscheidet er sich für das konventionelle Stripping, da die hitzegestützten Verfahren zu Hautschäden oder zu gitarrensaite
nartigen Venenstrangverhärtungen führen können. Damit schließt sich der Kreis, denn zur differentialdiagnostischen Abklärung ist eine Untersuchung via Duplex-Sono unerlässlich.

Wer behandelt?

Dieser Frage begegnet Shamiyeh mit überraschender Gelassenheit. Vorbei sind die Zeiten, da Chirurgen und Dermatologen um die Varikosis gerittert haben. Heute gilt: Kompetenz geht vor Fach! Es gibt bundesweit flächendeckend eine ausreichende Versorgung mit spezialisierten Zentren, die allerdings nirgendwo übersichtlich gelistet sind. Betroffene können sich nur insofern orientieren, als mit der Kompetenz die Bandbreite an angebotenen Verfahren steigt und damit auch die therapeutische Objektivität, denn wer ein breites Spektrum an Möglichkeiten hat, muss sich nicht auf eine bestimmte Methode kaprizieren. Logisch, gut nachvollziehbar und ein klarer Punktgewinn für Zentren mit möglichst hoher Spezialisierung.

 

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Jahrestagung der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft ÖKG 2013
5. bis 8. Juni 2013, Salzburg
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