„Digital“ darf kein Fremdwort sein

Dazu gehört, dass Aus- und Weiterbildungen gefördert werden oder Mitarbeiter ein gesun­des und attraktives Umfeld mit attraktiven Rahmenbedingungen vorfinden. Auch die Bedürfnisse des Nachwuchses, der Digitalen Natives, dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Was das konkret für die Medizinpro­dukte-Unternehmen bedeutet, haben Ex-Bil­dungs- und Wissenschaftsminister Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann und AUSTROMED-Geschäftsführer Mag. Philipp Lindinger diskutiert.

Lindinger: Ist unser Bildungs- und Wissen­schaftssystem auf den Fachkräftemangel gut vorbereitet und wo kann im universitären und außeruniversitären Setting angesetzt werden, um gegenzusteuern?

Faßmann: Demografie und Migration sind zentrale Themen in der Geografie und Raumforschung. Daher ist für uns Geografen der aktuelle demografische Wandel kein ganz neues Thema. Der spürbare Fachkräfteman­gel steht uns erst bevor, wenn die Babyboomer-Generation in den Ruhestand tritt. Das heißt, in den Betrieben gehen qualifizierte Mitarbei­ter in Pension. Das heißt aber auch, dass etwa 50.000 Menschen pro Jahr weniger das Bildungssystem verlassen. Wir benötigen eine Strategie, die aus drei wesentlichen Kompo­nenten besteht. Die erste ist die Hebung der Erwerbsquote, hier liegt eine beträchtliche Reserve bei den Frauen. Weiters gilt es zu überlegen, wie Menschen bis zu ihrem gesetz­lichen Pensionsantrittsalter im Erwerbsleben gehalten werden können. In Branchen, wo besondere Belastungen bestehen, sollte an veränderte Berufsbilder gedacht werden. Die dritte Komponente ist die Form der qualifi­zierten Zuwanderung.
Natürlich bedarf es auch einer Ausbildungsof­fensive, um überhaupt qualifizierte Fachkräfte für den Markt bereitstellen zu können. Das hat aber im medizinischen Bereich seine Grenzen, denn ein Teil der Qualität heißt Zeit investie­ren. Wir brauchen daher eine moderne und innovative Medizintechnik, um das ärztliche und pflegerische Personal zu entlasten und Freiräume für ihre Tätigkeiten zu schaffen.

Welches Ministerium sehen Sie hier besonders in der Pflicht?

Das Bildungs- und das Gesundheitsministe­rium sind in dem Bereich besonders gefor­dert, aber auch die Länder, die Gemeinden, die Krankenkassen und die Standesvertretun­gen. Die Kompetenzen im Gesundheitsbe­reich sind zersplittert und die Interessen gehen oft weit auseinander. Es hilft nicht viel, wenn die Landeshauptleutekonferenz einen Beschluss fasst, dass es eine Ausbildungsoffensive geben muss. Darin sind sich ja viele Entscheidungsträger einig, doch was das dann in der Umsetzung konkret bedeutet, bleibt umgeklärt.

Die Medizinprodukte-Branche besteht aus vielen KMUs, die technische Innovationen an der Schnittstelle zur Medizin auf den Markt bringen. Aktuell bremsen neue Gesetze die Innovationskraft. Wo sehen Sie trotz aller Hürden die Stärken der heimischen Forscher und Wissenschaftler?

Österreich hat exzellente Hochschulen, die auch bereit sind, inter- und multidisziplinär zu arbeiten und auszubilden. Gerade an der Schnittstelle zwischen Technik und Medizin entsteht Innovatives, wenn ich an das Master­studium Medical Engineering an der Johannes Kepler Universität in Linz denke. Auch die Fachhochschulen waren und sind immer wieder gefordert und bereit, bedarfsgerechte Studiengänge anzubieten, die auf breite Akzeptanz treffen.
Auch auf der EU-Ebene erkenne ich die Bereitschaft, disziplin- und branchenüber­greifende Fragestellungen zu fördern. Seltene Krankheiten, Gesundheitstechnologie, aber auch fördernde Maßnahmen für ein aktives Leben in einer alternden Gesellschaft sollen erforscht werden. Das sind Fragestellungen, die nicht nur Mediziner alleine beantworten können.

Wir werden älter und stehen länger im Arbeitsprozess. In heimischen Betrieben arbeiten bis zu fünf unterschiedliche Alters­gruppen parallel zusammen – was sind aus Ihrer Sicht besondere Herausforderungen für dieses Zusammenarbeiten und sind wir auf die gut vorbereitet?

Es wird uns nicht viel anders übrig bleiben, als uns sehr intensiv mit der Frage auseinanderzusetzen. Wir können künftig die ältere Generation nicht früher in die Nicht-Erwerbs­tätigkeit schicken. Das würde beachtliche qualifikatorische Lücken hinterlassen.„Lebenslanges Lernen“ ist sehr wichtig geworden, aber politisch nicht einfach zu steuern, denn die Unternehmen sind ebenso verantwortlich dafür wie der Bund und die Länder und die Weiterbildungsinstitutionen selbst. Wir müssen uns aber Gedanken darüber machen, auch um die Betriebe technologisch fit zu halten. Digitalisierung – beispielsweise – darf kein Fremdwort sein, egal wie alt jemand ist.

In der Jugendstudie „Skills to be Fit for the Future“ wird gefordert, dass unser Bildungssystem mehr Wirtschaftskompetenz braucht. Wie sehen Sie das?

Im Bildungssystem werden laufend und auch mit viel Berechtigung immer wieder neue Skills gefordert. Wirtschaftskompetenz ist eine davon, aber auch das gesunde Leben und die richtige Ernährung. Ich strebe an, diese neuen Themen mit dem traditionellen Fächerkanon zu verbinden. Konkret heißt das zum Beispiel: Integration von Financial Lite­racy in den Geografie- und Wirtschaftskun­deunterricht oder Health Literacy in den Biologie- und Umweltkundeunterricht. Neben den konkreten Skills und Kompetenzen darf man aber auf eines nicht vergessen: Es ist eine zentrale Aufgabe der Schule, Kinder und Jugendliche zu mündigen, kritikfähigen und sozial empathischen Bürgern zu erziehen. Das ist weitaus mehr als eine reine Kompetenzvermittlung und eine Art zukünftige Lebens­beratung, um später zu wissen, wie man beispielsweise einen Vertrag richtig unter­schreibt.

Wo setzen Sie international die Benchmarks?

Überprüft werden in unserem Bildungssystem die Kompetenzen in Mathematik, Deutsch, „Science“ und einer Fremdsprache. Das passiert in PISA, aber auch in den nationalen Tests. Wir müssen das im Hinterkopf behal­ten, denn im Bildungssystem geht es – wie angedeutet – um mehr. Und ob die PISA-Spitzenreiter auch reflexiv denkende, krea­tive, kritikfähige und verantwortungsbewusste Absolventen und Absolventinnen hervorbrin­gen, lasse ich dahingestellt. Aber darauf kommt es auch an.