Forderung 1: Klare Definition des Stichwortes Versorgungssicherheit

Man sollte meinen, dass die sichere Versorgung mit Medizinprodukten, Arzneimitteln, aber auch ausreichenden Ressourcen erforderlicher Manpower in einem qualitativ hochwertigen Gesundheitssystem, dessen sich Österreich immer wieder rühmt, vorhanden ist. 2020 hat gezeigt, dass dem nicht so ist. Zuständigkeiten sind nicht klar definiert, Prozesse wurden erst aufgesetzt, als es buchstäblich „5 nach 12“ war, und manche Beschaffungsvorgänge sind bis heute nicht ausreichend transparent – Doppelgleisigkeiten und Ressourcenverschwendung sind also vorprogrammiert. Im Krisenfall kann dies über Leben und Tod entscheiden.
Klar ist: In Österreich fehlt eine klare Definition des Schlagwortes Versorgungssicherheit. Das gilt für den Fall einer Pandemie, aber auch für den Normalbetrieb des heimischen Gesundheitssystems. Die AUSTROMED hat daher Themen festgemacht, die es jetzt und für die Zukunft dringend zu klären gilt. Eine der wesentlichsten Fragen ist, wie die Vorratshaltung von Medizinprodukten in Österreich für den Pandemiefall geregelt wird. Konkret braucht es einen Plan, welche Art, welche Menge und welche Qualität an Produkten vorrätig sein müssen und wer für diese Vorratshaltung – und damit auch den regelmäßigen Warenumschlag – verantwortlich zeichnet sowie die Kosten trägt. Die Planung über Staatsgrenzen hinaus auf europäischer Ebene hat sich als sinnvolle Strategie erwiesen und stärkt die Position als Nachfrager am Weltmarkt.

Keine Angst vor dem Arztbesuch

Kollateralschäden für die Gesundheit anderer Patienten, die durch den fehlenden Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen oder Therapien entstehen, müssen vermieden werden. Das umfasst Pläne, wie gerade in Krisenzeiten Spitäler entlastet und die niedergelassene Versorgung sichergestellt und gestärkt werden kann. „Keine Angst vor dem Arztbesuch!“ muss die Devise heißen, denn gerade dort werden die Hygienevorschriften besonders sicher überwacht. Gerade chronisch Kranke zählen zu Hochrisikopatienten und dürfen in Krisenzeiten nicht alleine gelassen werden. Sie waren vom Lockdown im niedergelassenen Sektor jedoch besonders betroffen.

Eine Umfrage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Mai in 155 Ländern hat gezeigt, dass das Thema der Kollateralschäden nicht nur Österreich betroffen hat. 31 Prozent der Länder mussten die Versorgung bei akuten Herz-Kreislauf-Problemen einschränken oder ganz unterbrechen. 42 Prozent beschnitten die Versorgung bei Krebspatienten, 49 Prozent bei Diabetespatienten und mehr als die Hälfte konnte die Versorgung bei Menschen mit Bluthochdruck nicht wie sonst aufrechterhalten. Reha-Programme wurden in 63 Prozent der Länder zurückgefahren. Vorsorgeprogramme, etwa zur Erkennung von Brustkrebs, waren ebenfalls betroffen. Hochrechnungen von Wissenschaftlern zufolge könnten infolge der Coronavirus-Pandemie weltweit geschätzt rund 30 Millionen geplante Operationen verschoben oder abgesagt werden. Das geht aus einer Analyse der Universität Birmingham hervor, deren Ergebnisse ebenfalls kürzlich veröffentlicht wurden. Und auch Zahlen aus Österreich lassen aufhorchen: Forscher an der Kardiologie der Medizinischen Universität Graz haben die Zahlen der Patienten mit Herzinfarkt, Lungenembolie und Aortenriss während der sechs Wochen des Lockdowns in den Spitälern der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft (KAGes) ausgewertet. Insgesamt wurden 23 Prozent weniger Patienten eingeliefert, aber es starben 80 Prozent mehr Patienten innerhalb von 14 Tagen an einem Herzinfarkt. Die Dunkelziffer, also jene, die gar nicht ins Spital kamen, ist hoch.

Dr. Thomas Hofer, MA
Politikberater


„Diese Krise müsste man jetzt schon dazu nutzen, um die Kompetenzen für die Zukunft klar festzulegen. Dass jeder von uns, auch jede Institution, mit der Situation ab März bis zu einem gewissen Grad überfordert war, ist aber auch klar. Eigentlich bräuchte es jetzt eine Taskforce, die sich ausschließlich darum kümmert, die Strukturen auf Dysfunktionalitäten und bessere Abläufe hin zu screenen. Klar ist aber auch, gerade wenn es um Versorgungs- und Produktionsabläufe geht, dass das nicht binnen ein, zwei Jahren umzustellen ist. Die Gefahr ist, dass, wenn die Pandemie erst einmal bewältigt ist, dann auch schnell wieder der Druck in Richtung Veränderungen nachlässt.“

 

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Positives mitnehmen

Die Telemedizin hat ein großes Potenzial, hochqualitative und kosteneffiziente Leistungen im Gesundheitswesen zu übernehmen. Dennoch ist bisher wenig in der Regelversorgung angekommen. Dazu brauchte es erst eine Pandemie, die die Welt erschütterte. Es gab in den letzten Monaten massive Innovationsschübe, vor allem auf dem E-Health-Sektor, die nicht ungenutzt bleiben dürfen. Jetzt gilt es, jene Hürden zu identifizieren, an denen Telemedizin bisher scheiterte, und die Versäumnisse rasch nachzuholen. So kann ein patientenzentriertes, benutzerfreundliches Konzept, das sich in der Krise bewährt hat, auch für später erhalten bleiben. Für den Fall neuerlicher Gesundheitskrisen sollten Ärzte so ausgestattet sein, dass es möglichst keinen Unterscheid zum Normalbetrieb macht, wie sie ihre Patienten rasch und sicher versorgen. Dazu braucht es ein passendes Tarifsystem, um diese Leistungen auch adäquat abrechnen zu können. „Lessons Learnt“ zusammenzufassen ist das Gebot der Stunde. Die Konzepte dafür müssen unter Einbindung der Medizinprodukte-Branche erarbeitet werden – ebenso wie die Kriterien für die Beschaffungsvorgänge, die letztlich dafür sorgen, dass Versorgungssicherheit kein politischer Wunsch bleibt, sondern tatsächlich im medizinischen Alltag realisiert werden kann. Dies erfordert insbesondere im Pandemiefall hohe Kompetenz im Schnittstellenmanagement. Hier will sich die AUSTROMED in Zukunft direkt einbringen, etwa bei der Koordination der Beschaffung von In-vitro-Diagnostika und Medizinprodukten im Rahmen eines Pandemie-Krisenstabs.

 

Rudolf Anschober
Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz


„Das Schlagwort „Versorgungssicherheit“ stand oft im Mittelpunkt der Diskussion – wie realistisch kann sich ein Land überhaupt auf derartige Krisen vorbereiten? Wer trägt die Verantwortung dafür, wer muss dabei mitarbeiten?

Man kann sich auf Krisen immer nur bis zu einem gewissen Grad vorbereiten. Grundsätzlich sind wir in Österreich gut aufgestellt. Die Zivilschutzverbände leisten beispielsweise hervorragende Arbeit. Was es brauchen wird, sind regelmäßige Übungen auch für Gesundheitskrisen, wie es sie beispielsweise für atomare Bedrohungen oder Tunnelkatastrophen schon gibt. Hier muss praxisnah das Zusammenspiel aller Stakeholder – in der Verwaltung, in den Gesundheitseinrichtungen und in der Politik regelmäßig geübt werden und aus diesen Übungsszenarien müssen dann Ableitungen für die Praxis getroffen werden. Auch die Bevorratung von Schutzausrüstungen schauen wir uns an. Verantwortlich sind wir im Prinzip alle: alle politischen Ebenen, die Gesundheitsdiensteanbieter, aber auch jeder von uns. Denken Sie nur daran, dass ein zeitgerecht angelegter Notvorrat zu Hause schon Sinn machen kann und man im Ernstfall dann nicht die Supermärkte stürmen muss.

 

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