Forderung 2: Agieren von ­Beschaffern und Lieferanten auf Augenhöhe

Das Vergaberecht hat in Österreich eine noch sehr kurze Tradition, doch eine steigende Bedeutung, denn etwa die Hälfte der Ausgaben des Staates am Bruttoinlandsprodukt entfällt auf Einkäufe, die Bund, Land, Gemeinden oder öffentliche Einrichtungen bei privaten Unternehmen tätigen. Die Grundlage dafür ist in Österreich das Bundesvergabegesetz 2018 (BVerG 2018), das für alle Branchen, die der öffentlichen Hand Waren oder Leistungen anbieten, demnach auch für alle Medizinprodukte-Unternehmen oder Krankenhäuser gilt. Ob dort Betten, Verbandsmaterial oder Computertomografen gekauft werden – das BVerG soll die Wünsche der Anwender, die Hoffnungen der Patienten, die Erwartungen der Unternehmen und die Ansprüche der Gesundheitspolitik unter einen Hut bringen. Dieses Spannungsfeld macht bereits deutlich, dass die Umsetzung des Vergaberechts durchaus breiten Raum für Diskussionen eröffnet.

Aufholbedarf beim Bestbieterprinzip

Der Einsatz von medizintechnischen Innovationen gestaltet sich im Rahmen einer öffentlichen Beschaffung für das Gesundheitswesen meist schwierig, da Innovationen oft mit anfänglichen Mehrkosten verbunden sind. Die langfristigen Kosteneinsparungen werden in aktuellen Vergabeverfahren nicht bewertet – kurzfristige Kosteneinsparungen stehen im Vordergrund, auch wenn sie langfristig betrachtet zu höheren Gesamtkosten führen. Die in der Vergangenheit gewachsenen Strukturen im Gesundheitswesen sind nicht ausreichend auf eine Innovationsförderung ausgelegt. „Das ist natürlich kein Thema, das ein Krankenhaus allein lösen kann. Hier sind strukturelle Änderungen auf politischer Ebene erforderlich, die ein faires kompetitives Vergabeverfahren zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes ermöglichen“, beschreibt AUSTROMED-Präsident Gerald Gschlössl die Hindernisse und ergänzt: „In der Vergabepraxis sehen wir Aufholbedarf in der Anwendung des Bestbieterprinzips. Oft wird dieses falsch verstanden, Qualitätskriterien werden nicht ausreichend ausformuliert. Die Leistungsverzeichnisse geben der Qualität der Medizinprodukte zu wenig Differenzierungsspielraum und nivellieren unterschiedliche, nicht vergleichbare Qualitäten auf ein scheinbar einheitliches Niveau. Neben einer geeigneten prozentualen Aufteilung von Qualität und Preis als Zuschlagskriterien braucht es auch ein System zur Gewichtung des Kriteriums „Qualität“. Die AUSTROMED fordert daher die ausschließliche Anwendung von Vergabeverfahren zur Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots mit Verzicht auf Feigenblattkriterien, um eine faire und transparente Vergabe unter Berücksichtigung einer langfristigen Gesamtkostenoptimierung zu ermöglichen.

MedTech Europe, der Dachverband der europäischen Branchenvertretungen der Medizintechnik-Industrie, und das Beraterunternehmen Boston Consulting Group haben unter dem Titel „MEAT – Most Economically Advantageous Tender“ ein Konzept entwickelt, das die Forderungen der AUSTROMED bereits erfüllt und ein Kalkulationsschema zur Umsetzung zur Verfügung stellt. Dabei werden der Patientennutzen, die Transparenz, die volkswirtschaftliche Betrachtung und die Bewertung aller Vorteile für die Patienten, Anwender und das Gesundheitssystem gleichermaßen berücksichtigt.

Aufgrund der COVID-19-Krise waren kritische Artikel, insbesondere Schutzausrüstung, in den vergangenen Monaten am Weltmarkt schwer verfügbar. Der Bund ist kurzfristig durch eine zentrale Beschaffung eingesprungen. Dieser bundesweit koordinierte Notbeschaffungsprozess wurde mittlerweile beendet und für Spitäler oder Ordinationen ein Prozess über die Bundesbeschaffungsgesellschaft GmbH (BBG) eingerichtet. Für eine zukünftige Beschaffung kritischer Artikel wie unter anderem Medizinprodukte und Arzneimittel ist zur Erhöhung der Versorgungssicherheit eine Produktion in Österreich und Europa und deren Abnahme von großer Bedeutung. Gleichzeitig wird dadurch die Wertschöpfung optimiert.

 

Die Qualität muss bei Beschaffungsverfahren für Medizinprodukte mit mindestens 50 Prozent bewertet werden – bei lebenserhaltenden, lebensrettenden oder besonders innovativen Medizinprodukten mit zumindest 80 Prozent.
Derzeit werden Lieferanten verpflichtet, gewisse Stückzahlen zu liefern; für die Beschaffer gibt es aber keine Verpflichtung zur Abnahme. Diese Unsicherheit in der Umsatz- und Kapazitätsplanung stellt für Medizinprodukte-Unternehmen eine massive Hürde am Markt dar. Hohe Qualitätsstandards und wechselseitige Verpflichtungen in Beschaffungsverfahren steigern deren Fairness und die Versorgungssicherheit. Auf europäischer Ebene braucht es Regelungen, um Vergabeverfahren abkürzen und flexibler bei Beschaffungen von wichtigen Materialien agieren zu können.