Im Gespräch mit …

Evaluation und Evidenz zu digitalen Gesundheitsanwendungen stecken noch in den Kinderschuhen. Warum ist das Thema so schwierig?

Das hat zwei Komponenten: Die Entwickler von medizinischen Apps wissen häufig nicht über die Finanzierungsströme im Gesundheitswesen Bescheid, das heißt, dass Kostenträger Evidenz benötigen. Die zweite Seite ist, dass Diagnostik-Apps schwer zu bewerten sind, denn eine HTA (Health Technology Assessment) beurteilt den Patientennutzen und nicht die Diagnosegenauigkeit. So nützt es zum Beispiel nicht, wenn ein Symptom-Checker für seltene Erkrankungen damit wirbt, dass er schneller diagnostizieren kann als ein Arzt, und das dann aber auch nicht belegen kann. Bei Diagnose-Apps ist der Endpunkt häufig sehr unklar: Es werden viele Fragen gestellt, Daten erhoben und dann kommt die App zu fünf Ergebnissen, die aber – zum Beispiel bei der Melanomerkennung – fast ausschließlich ein Facharzt bewerten kann. Damit ist auch nicht belegt, dass ein Gesundheitssystem entlastet wird – das ist eines der häufigsten Versprechen von digitalen Anwendungen. Im Gegenteil: Wenn Patienten durch die Ergebnisse verunsichert sind, kommen sie noch häufiger zum Arzt!

Gibt es andere Länder, die hier schon mehr Erfahrung haben und was können wir von diesen Ländern lernen?

In Deutschland werden nur Qualitäts-, aber keine Nutzenbewertungen gemacht. Das wird sich Österreich bestimmt nicht zum Vorbild nehmen. Es gibt aber zumindest valide Studiendesigns, die man sich anschauen sollte. Apps müssen jedenfalls für jene Patienten relevant sein, die im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz abgebildet sind. Das sind nicht die Gesunden, sondern Kranke. Ich sehe zum Beispiel durchaus einen Nutzen, wenn chronisch Kranke zu Hause überwacht werden können und so eine nachweisbare Entlastung des Gesundheitssystems entsteht.

Gibt es Vorschläge, wie Entwickler künftig besser auf die Anforderungen der Kassen eingehen können?

Es ist sicher sinnvoll, die Sozialversicherung proaktiv einzubinden, sodass wünschenswerte Features gut abgebildet werden. Wichtig wäre auch, dass Apps untereinander kompatibel sind, das heißt, dass sie alle die gleichen Datensätze erfassen und am besten noch ELGA-kompatibel sind.

Digitale Anwendungen brauchen immer wieder Softwareupdates – wie kann das in HTAs abgebildet sein?

Das wissen auch fortgeschrittene Länder noch nicht. Evaluiert man bei jedem Update oder unterschiedliche Anwendungen im Vergleich, wenn man davon ausgeht, dass es Me-too-Produkte sind? Hier ist vieles noch offen und das müssen jene entscheiden, die auch die Finanzierung übernehmen.

Können digitale Anwendungen damit ­überhaupt in absehbarer Zeit auf den Markt kommen?

Ich denke, dass man im kommenden Jahr zumindest in Workshops zu einer gemeinsamen Willensbildung kommen wird. Dann müssen diese Entscheidungen in den Leistungskatalog einfließen. Der Zeitdruck ist jedenfalls da, weil Deutschland oder Großbritannien schon fortgeschrittener sind.