Östrogene zur primären Prävention der Osteoporose

Entscheidend für die Verhinderung von osteoporotischen Knochenveränderungen ist der frühzeitige Einsatz präventivmedizinischer Maßnahmen. Sie sollen verhindern, dass eine Osteoporose auftritt (Primärprävention) bzw., wenn bereits eine Osteoporose vorliegt, dass es zu Frakturen kommt (Sekundärprävention).

Die primäre Prävention hat zum Ziel,

einerseits den bestmöglichen Wert für die maximale Knochenmasse (“Peak Bone Mass”) im Jugendlichen- und jungen Erwachsenenalter zu erreichen

und andererseits den physiologischen postmenopausalen Knochenabbau zu verlangsamen

bzw. den pathologischen Knochenverlust sowie das Auftreten von Frakturen zu verhindern.

Östrogenmangel als Risikofaktor

Dem endogen Östrogenspiegel kommt in Bezug auf die Knochengesundheit eine maßgebliche Rolle zu: Es ist erwiesen, dass bei Östrogenmangel in der Adoleszenz nur eine suboptimale Peak-Bone-Mass erreicht wird. Allerdings ist bei Östrogenmangelzuständen auch nach Erreichen einer optimalen Peak-Bone-Mass das spätere Frakturrisiko erhöht.

Zur Risikogruppe für Osteoporose gehören vor allem Frauen mit primärer oder sekundärer Amenorrhö, Anorexie, übermäßiger sportlicher Betätigung, Hyperprolaktinämie u. a. m. In diesem Kontext von besonderer Bedeutung ist die vorzeitige Menopause, von der Frauen vor allem durch onkologische Therapiemaßnahmen nicht selten betroffen sind: In diesen Fällen ist eine Hormonersatztherapie (HRT) aus präventivmedizinischen Überlegungen eine absolute Notwendigkeit, sie stellt bei korrekter Dosierung die altersgemäße, physiologische endokrine Balance wieder her. Sofern keine Kontraindikation (wie z. B. ein östrogenabhängiges Malignom oder eine Thrombophilie) vorliegt, sind Nutzen und Risiken einer Hormonsubstitution ident mit jenen der altersgerechten, endogenen Östradiol-Sekretion.

Postmenopausale Osteoporose: Den größten Knochenverlust erleidet die Frau zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr, wenn der Östradiolspiegel abfällt und der RANK-Ligand aktiviert ist. In der Folge steigt die Wahrscheinlichkeit, eine osteoporotische Fraktur zu erleiden, dramatisch an. Aus Sicht der Gynäkologie ist es deshalb sinnvoll, sich gerade in diesem Lebensalter in besonderer Weise um den Knochen zu kümmern, noch dazu, weil der Knochen nicht nur für die Stabilität verantwortlich ist, sondern viele andere Funktionen im Körper (Knochenstoffwechsel, Pankreas) erfüllt, die teilweise auch gynäkologische Bedeutung haben. Abzuwarten, bis es in der 6. oder 7. Lebensdekade zur Fraktur kommt, ist nicht zielführend. Eine sachgerechte HRT verhindert das Auftreten von Osteoporose und senkt die Frakturrate am Wirbelkörper und Schenkelhals signifikant um 30-40%. Das relative Risiko (RR) für Frakturen jeder Lokalisation beträgt entsprechend der WHI-Studie (Women’s Health Initiative) unter kombinierter CEE/MPA-Hormonsupplementation 0,76, unter CEE-Monotherapie 0,70. Durch die osteoprotektive Wirkung der HRT wird das Erreichen der Frakturschwelle verzögert, sie stellt in den ersten Jahren postmenopausal das Mittel der Wahl zur Osteoporoseprävention dar. In der Altersgruppe zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr ist eine HRT zur Prävention von Osteoporose-bedingten Frakturen auch bei Frauen mit niedrigem Risiko wirksam und sicher. Es liegt zwar kein direkter Vergleich zwischen HRT und Bisphosphonaten in Hinblick auf die Reduzierung von Knochenbrüchen vor, allerdings gibt es auch keinerlei Beweise dafür, dass Bisphosphonate oder andere antiresorptive Behandlungen einer HRT im Bezug auf Wirkung und Risikoprofil überlegen sind.
Im Übrigen sind körperliche Aktivität, ausgeglichene Ernährung, Vermeidung von Risikofaktoren wie Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum sowie ausreichende Versorgung mit Kalzium und Vitamin D (Tagesbedarf 1.000-1.500 mg Kalzium, ≥ 800 IE Vitamin D) entscheidende Voraussetzungen für einen normalen Knochenstoffwechsel.

Nutzen-Risiko-Profil einer HRT

Da nur sehr wenige konklusive Studien bezüglich der Zeitdauer einer HRT-Medikation von > 5 Jahren vorliegen und da sich die verwendeten Therapieschemata zum Teil stark unterscheiden, sind die bislang vorliegenden Daten zur Langzeitanwendung einer HRT bzw. zum Stellenwert der verschiedenen Gestagene widersprüchlich. Für die Klinik folgt daraus, dass jede Langzeitsubstitution von Hormonen (> 5 Jahre HRT oder ET) einer klaren Indikation bedarf und alle Frauen unter Substitution über eine mögliche Risikoerhöhung bezüglich Mammakarzinom aufgeklärt werden müssen. Auf Basis der WHI-Daten liegt diese Risikoerhöhung jedoch im Promillebereich und ist damit wesentlich geringer als bei Vorliegen anderer Risikofaktoren für Mammakarzinom, wie z. B. von Adipositas. In Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko unter HRT ist festzustellen, dass bei jüngeren Frauen (< 10 Jahre Abstand seit der Menopause oder < 60. Lebensjahr) weder die WHI noch die Nurses Health Study einen Risiko-Anstieg zeigten. Der Trend geht eher in Richtung eines protektiven Effekts, sodass aus kardiovaskulärer Sicht ein “günstiges Fenster” (“window of opportunity”) für den Beginn einer HRT unmittelbar postmenopausal gegeben ist. Das gleiche “günstige Fenster” besteht auch für das Schlaganfallrisiko. Bei älteren Frauen findet sich hingegen unter HRT ein (geringer) Risikoanstieg für kardiovaskuläre Ereignisse.
Seit Jahren ist weiters bekannt, dass unter peroraler Hormonersatztherapie das thromboembolische Risiko, dosisabhängig, leicht ansteigt (50-59-Jährige, WHI-Studie: 2 zusätzliche Fälle pro 100.000 Frauen/Jahr), dieser Risikoanstieg ist unter transdermaler Östrogengabe nicht zu verzeichnen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Gesamtmortalität bei Frauen 60 Lebensjahren bleibt die Gesamtmortalität unter HRT unverändert. Fest steht aber auch, dass jede HRT so niedrig wie möglich dosiert werden sollte. Es wurde nachgewiesen, dass auch eine niedrig und ultraniedrig dosierte Hormongabe den Knochenmineralgehalt und -stoffwechsel günstig beeinflusst, allerdings fehlen entsprechende prospektiv-randomisierte Studien bezüglich Senkung der Frakturinzidenz (Empfehlungen der Internationalen Menopause Gesellschaft [IMS] zur Östrogendosierung siehe Tab.).

SCHLUSSFOLGERUNG: Bei korrekter Anwendung einer HRT (individualisierte Indikation, Einsatz der niedrigsten wirksamen Dosis, Anwendung nicht länger als indiziert) ist bei jüngeren Frauen mit Beginn der HRT vor dem 60. Lebensjahr oder innerhalb der ersten 10 Jahre nach Eintritt der Menopause, bei Gegenüberstellung von Nutzen und Risiken, ein so genanntes “günstiges Fenster” gegeben; der Nutzen überwiegt das Risiko. Die Hauptindikationen jeder HRT sind die Behandlung von klimakterischen Beschwerden, die Verbesserung einer wegen Östrogenmangels beeinträchtigten Lebensqualität und, bei Frauen mit erhöhtem Risiko, die Primärprävention der Osteoporose. Bei vorzeitiger Menopause ist es ein Fehler, eine Patientin, bei der keine Kontraindikationen zur HRT vorliegt, nicht mindestens bis zum Zeitpunkt des natürlichen Menopausenalters zu substituieren. Tatsächlich ist der Benefit bezüglich “Knochengesundheit” auch noch viele Jahre nach Absetzen der HRT nachzuweisen.
Abschließend ist anzuführen, dass es bei entsprechender Indikation kein oberes Alterslimit für die Weiterführung einer HRT gibt; Dosierungsreduktion und Therapieweiterführung bzw. -beendigung müssen allerdings jährlich individuell neu entschieden werden. Dies gilt auch für die eingesetzten Gestagene. Nicht zu empfehlen ist der Beginn einer HRT im Alter jenseits des “günstigen Fensters” zur Prävention einer Osteoporose bzw. von Osteoporose-bedingten Frakturen, da für diese Altersgruppe gut belegte, wirksame und sichere Alternativen (SERMS, Bisphosphonate, Denosumab, Strontiumranelat) zur Verfügung stehen.

 

Quelle: Empfehlungen der Schweizerischen Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO), www.svgo.ch