Kleines Impflexikon – Teil 8: Erreger kennen keine Grenzen

Wiederauftreten der Poliomyelitis

Die europäische Zone der WHO, der 53 Staaten angehören, wurde im Juni 2002 für poliofrei erklärt. 2010 traten jedoch in dieser Region erstmals wieder Poliofälle auf. Durch aus Indien eingeschleppte Polioviren kam es in Tadschikistan zu einem Polioausbruch, das Virus wurde nachfolgend in die Russische Föderation, nach Kasachstan und Turkmenistan “exportiert”. Insgesamt wurden offiziell 475 Poliofälle registriert (Stand 14. Oktober 2010), es gab 19 Todesfälle. Vor diesem Ausbruch war 13 Jahre lang keine Erkrankung an Poliomyelitis beobachtet worden. Durch eine nationale Impfkampagne in Tadschikistan und den benachbarten zentralasiatischen Republiken konnte die Infektion inzwischen eingedämmt werden.
Als die WHO-Region Europa 2002 für poliofrei erklärt worden war, kam es zeitgleich in Nordnigeria zu einem Impfstopp. Grund waren falsche Gerüchte über die Qualität des Impfstoffs. Dies hatte eine weite Verbreitung der Polioviren in ihrem spezifischen Wirt – nämlich der Darm des Menschen – zur Folge. Im Rahmen der Hadsch-Pilgerreise gelangten so Polioviren nach Mekka; bei mangelhafter Hygiene in den Zeltlagern konnten sich die Viren weiter verbreiten und letztlich in 22 andere Länder, die bereits poliofrei waren, exportiert werden (u. a. Jemen und Indonesien). Zwei Jahre später waren global etwa 80% aller Poliovirusisolate nigerianischem Ursprung zuzuordnen.
Auch ein besonders häufiges Auftreten von akuten schlaffen Paresen (Acute Flaccid Paralysis, AFP) in der Republik Kongo im Jahr 2010 verdeutlicht das hohe Risiko nicht geimpfter Bevölkerungsgruppen, an Polio zu erkranken. Sequenzanalysen ergaben eine hohe Übereinstimmung mit dem Virus, das ursprünglich aus Indien stammte. Die Republik Kongo war dank extensiver Impfprogramme seit dem Jahr 2000 poliofrei gewesen.
Es ist daher gerade bei Poliomyelitis sehr wichtig, eine hohen Immunisierungsrate auch der nachwachsenden Geburtskohorten sicherzustellen. Trotz der geschilderten Rückschläge gibt die Seuchenlage Grund zur Hoffnung auf Eradikation der Poliomyelitis. 1999 gab es das letzte Isolat von Poliomyelitis-Virus Typ II (WPV2). Per 27. 7. 2011 hatte Indien nur einen Fall von WPV1 (13. 1. 2011) – die längste Zeitspanne ohne Poliomyelitis in der Geschichte Indiens überhaupt. Und WPV3 scheint aus Asien zu verschwinden, nur ein Fall 2011 in Pakistan, allerdings noch 35 WPV3-Fälle in Afrika. Wir scheinen uns also der Eradikation von Poliomyelitis zu nähern.

Polio-Situation in Österreich

In Österreich ist die Poliomyelitis nach wie vor eine meldepflichtige Krankheit, der letzte Fall trat im Jahr 1980 auf (www.bmg.gv.at). Bereits am Beginn der 1960er-Jahre wurde mittels kostenloser Impfkampagnen die Bekämpfung dieser Viruserkrankung begonnen. Statt des ursprünglich verwendeten oralen Impfstoffes (OPV), der als sehr seltene Nebenwirkung (1 Fall auf 890.000 Erstimpfungen) eine Polio-Lähmung hervorrufen kann, wird seit 1999 für die Immunisierung nur mehr ein Polio-Totimpfstoff (IPV) verwendet.
Entsprechend dem derzeitigen Österreichischen Impfplan sind im Säuglingsalter drei Teilimpfungen in Form der 6-fach-Impfung empfohlen, die Auffrischungsimpfung dip-TET-PEA-IPV zwischen dem 7. und 9. Lebensjahr. Im Erwachsenenalter kann die 3-fach- (alle 10 Jahre) durch die 4-fach-Auffrischung mit der zusätzlichen Polio-Komponente ersetzt werden. Dies sollte vor allem dann geschehen, wenn Reisen nach Afrika oder Asien geplant sind. Die Reisemedizin nimmt insbesondere im Rahmen der Impfberatung einen besonderen Stellenwert ein, wobei die Erhebung des Impfstatus und die Durchführung der notwendigen Impfungen auch bei Erwachsenen wichtig sind. Ab 65 sollte eine Auffrischung mit dip-TET-PEA in 5-jährigen Intervallen vorgenommen werden.