Hot Topic: Nierensteine aus nephrologischer Sicht

Wie entstehen Nierensteine?

Nierensteine (Nephrolithiasis, Urolithiasis) sind kris­talline Ablagerungen in den Nierenkelchen und im Nierenbecken, die dem Urothel häufig im Bereich der Papillen anhaften oder sich frei im Urin bewegen. Die Entstehung von Nierensteinen ist ein komplexer und nur zum Teil verstandener Prozess, bei dem viele Mechanismen der Steinbildung, aber auch der Inhibierung derselben maßgeblich beteiligt sind. Im Prinzip bilden sich Nierensteine, wenn der Harn mit bestimmten Mineralien exzessiv übersättigt ist. Es gibt zwei Haupt­hypothesen zur initialen Steinbildung: Bei der Hypothese der freien Partikel kommt es zur Kristallisation, Wachstum und Aggregation der lithogenen Salze im den Tubuli, was schluss­endlich zur Ausbildung von Randall’schen Pfropfen führt, die die distalen Sammelrohre verstopfen. Diese initialen Nierensteine kommen mit dem Harn im Nierenbecken in Kontakt, was das Wachstum auf der einen Seite begünstigt. Auf der anderen Seite kommt es zur Stase des Harnflusses und zu weiterer Supersaturation mit lithogenen Salzen, was das Wachstum auf der anderen Seite fördert. Ein alternativer Mechanismus beschreibt die Ablagerung von Kalzium-Phosphat-Kristallen im Interstitium im Bereich der Henle’schen Schleife im Nierenmark. Durch Wachstum und Migration erreichen diese kristallinen Strukturen das Nierenbeckenepithelium, durchbrechen dieses und werden dadurch dem Harn ausgesetzt, wo es zur Bildung der Randall’schen Plaques und Apposition von v. a. Kalziumoxalat kommt. Beim Steinwachstum spielen dabei sowohl anorganische Salze (v. a. Kalziumoxalat und Kalziumphosphat) als auch eine Vielzahl an organischen Molekülen eine Rolle, die sowohl als Promotoren als auch als Inhibitoren der Steinbildung auftreten können (Khan et al., Nat Rev Dis Primers 2016).
Häufig handelt es sich um kalziumhältige Steine, welche entweder aus Kalziumoxalat (Whewellit, Whedellit) oder Kalziumphosphat (Apatit, Brushit, Whitlockit) oder aus einer Mischung von beiden bestehen. Harnsäuresteine machen ca. 8–10 % aller Nierensteine aus und treten vor allem bei Patienten mit Übergewicht und Dia­betes auf sowie vor allem in wärmeren Regionen. Anders als bei kalziumhältigen Nierensteinen ist ein Harn pH-Wert < 5,5 ein Risikofaktor für das Auftreten von Harnsäuresteinen, da unterhalb dieses ph-Werts Harnsäure in unlöslicher Form vorliegt. Struvit-Steine sind auch als „Infektionssteine“ bekannt und machen ca. 7–8 % aller Nierensteine weltweit aus. Sie entstehen durch erhöhte Mengen an Ammoniak im Harn, der sekundär durch Harnwegsinfektionen mit Urease-produzierenden Mikroorganismen (z. B. Klebsiella, Proteus) gebildet wird. Seltene Steine sind z. B. Cystinsteine, die durch einen autosomal-rezessiven Defekt im tubulären Transporter für Cystin verursacht werden (Evan et al., Pediatr Nephrol 2010).

Epidemiologie und Risikofaktoren

Die Prävalenz von Nierensteinen beträgt weltweit 1,7–14,8 %, und in nahezu allen Ländern scheint die Prävalenz zuzunehmen (Romero et al., Rev Urol 2010). In einer Analyse der National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) betrug die Prävalenz 10,6 % bei Männern und 7,1 % bei Frauen. Der Unterschied in der Nierensteinprävalenz zwischen Männern und Frauen nimmt mit steigendem Alter zu: Während sowohl bei 20–29-jährigen Männern wie Frauen die Prävalenz bei 3,4 % lag, betrug diese bei über 70-jährigen Männern 18,8 %, bei über 70-jährigen Frauen aber nur 9,4 % (Scales et al., Eur Urol 2012).
Im Vergleich zu Schwarzen haben Weiße ein signifikant erhöhtes Risiko für Nierensteine, wobei die Prävalenz bei Schwarzen in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat. Eine höhere Steinprävalenz findet sich typischerweise auch in warmen und trockenen Regionen. Zu den metabolischen Risikofaktoren für Nierensteine zählen vor allem Adipositas und Diabetes, aber auch Gewicht, Gewichtszunahme oder der Body Mass Index wurden als Risikofaktoren für eine höhere Steinprävalenz identifiziert ­(Taylor et al., JAMA 2005).
Das Risiko von Nierensteinen steigt bei Männern und Frauen parallel mit der renalen Ausscheidung von Kalzium und Oxalat an und fällt signifikant mit steigender Zitratausscheidung und Harnvolumina. Das Risiko scheint sich schon bei Werten im sogenannten „Normalbereich“ zu verändern, d. h. bei > 150–200 mg Kalzium/24 h, > 20–25 mg Oxalat/24 h, < 400–500 mg Zitrat/24 h und Harnvolumina < 1,5 l/24 h steigt das Risiko für Nierensteine signifikant an (Curhan and Taylor, Kidney Int 2008). Diese und andere Untersuchungen unterstreichen den Stellenwert einer 24-h-Harnsammlung zur Analyse der oben genannten Faktoren sowohl bei Diagnose als auch im Verlauf.

Nierensteine und Risiko für chronische Nierenerkrankung

Patienten mit einer Nierensteinanamnese weisen im weiteren Verlauf ein erhöhtes Risiko für eine chronische Nierenerkrankung (CKD) auf. In einer Analyse von 4.774 Nierensteinpatienten aus Olmsted County (Minnesota) war das relative Risiko verglichen mit Kontrollen signifikant um 25–68 % erhöht (je nach Definition der CKD). Das absolute Risiko einer CKD bei Nierensteinpatienten während einer Follow-up-Zeit von 8,6 Jahren war 20 % (verglichen mit 13 % bei den Kontrollen) (Rule et al., Clin J Am Soc Nephrol 2009). Ähnliche Daten kommen aus der NHANES-Kohorte, in der das relative Risiko für CKD bei Nierensteinpatienten um 25–77 % erhöht war, wobei interessanterweise dieses erhöhte Risiko nach Adjustierung nur bei den Frauen, nicht aber bei den Männern erhöht blieb. Das absolute Risiko für CKD betrug in der NHANES-Kohorte 18 % bei den Steinpatienten und 13 % bei den Kontrollen (Shoag et al., J Urol 2014). Auch das relative Risiko, eine terminale Nierenerkrankung zu erleiden, ist bei Patienten mit Nierensteinleiden ca. um das Doppelte erhöht, und zwar unabhängig von Komorbiditäten, wenn auch die Dialyse an sich im Gegensatz zur CKD ein eher seltenes Ereignis ist (El-Zoghby et al., Clin J Am Soc Nephrol 2012). Hier scheinen vor allem Patienten mit asymptomatischen Steinen, aber auch mit symptomatischen Stein-Rezidiven ein besonders erhöhtes Risiko für dialysepflichtige Nierenerkrankung zu haben (Dhondup et al., Am J Kidney Dis 2018).
In pathohistologischen Untersuchungen zeigten sich Anzeichen für Inflammation und tubulointerstitielle Fibrose in der Umgebung von Kalziumoxalat- und Kalziumphosphat-Kristallen, die eine chronisch schleichende Verschlechterung der Nierenfunktion bei Patienten mit Nephrolithiasis erklären könnten. Neben dieser kristallinduzierten Inflammation können auch rezidivierende Obstruktionen und Infektionen sowie die Steintherapie an sich (Lithotripsie, Lithotomie) zur CKD führen.

Nierensteine und Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen

In den letzten Jahren wurden Nierensteine als unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen identifiziert. Daten aus den USA zeigen ein um 31 % erhöhtes relatives Risiko für Myokardinfarkt (Rule et al., J Am Soc Nephrol 2010), Daten aus Kanada zeigen nach Adjustierung ein erhöhtes relatives Risiko auch für Koronarintervention/Bypassoperation und Schlaganfall (Alexander et al., Clin J Am Soc Nephrol 2014). Insbesondere junge Frauen mit einer Nierensteinanamnese ohne typische kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Diabetes, Hypertonie oder andere Komorbiditäten zeigen ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Das bedeutet, dass Nierensteine evtl. ein Indikator für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko sein können und somit vor allem junge Frauen hinsichtlich der klassischen Risikofaktoren internistisch abgeklärt und entsprechend behandelt werden sollten.

Rezidive

Insbesondere Stein-Patienten mit symptomatischen Rezidiven haben ein signifikant erhöhtes Risiko für eine progressive CKD bis hin zu dialysepflichtigen Nierenerkrankung. Im Allgemeinen beträgt das Rezidivrisiko ca. 30 % in 10 Jahren (Rule et al., J Am Soc Nephrol 2014). Risikofaktoren für ein Nierensteinrez
idiv ist das Gesamtvolumen aller Steine bei Diagnosestellung (Selby et al., Urology 2015), die Zusammensetzung des Nierensteins (Harnsäure > Struvit > Kalziumphosphat > Kalziumoxalat; Singh et al., Mayo Clin Proc 2015) sowie eine positive Familienanamnese für Nephrolithiasis (Rule et al., J Am Soc Nephrol 2014). Bei asymptomatischen Stein-Patienten ist vor allem ein schnelles Steinwachstum mit höherem Rezidivrisiko assoziiert.

Therapie

Zur Primärprophylaxe von Nierensteinen gibt es keine prospektiven und randomisierten Daten. Um ein Steinrezidiv zu verhindern (Sekundärprophylaxe), sollte die Flüssigkeitszufuhr auf mehr als 2 l pro Tag gesteigert werden (Borghi et al., J Urol 1996). Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass eine Diät mit einem normalen Kalziumgehalt, reduziertem tierischen Protein und reduziertem Kochsalzgehalt das Risiko eines Steinrezidivs signifikant reduziert (Borghi et al., N Engl J Med 2002). Eine Therapie mit Thiaziddiuretika reduziert die renale Kalziumausscheidung, und in mehreren Studien konnte die Effektivität in der Risikoreduktion eines Steinrezidivs gezeigt werden. Ebenso kann eine medikamentöse Erhöhung der oralen Zitratzufuhr das Rezidivrisiko senken (Zisman, Clin J Am Soc Nephrol 2017).

RESÜMEE: Die Lebenszeit-Prävalenz der Nephrolithiasis in der Allgemeinbevölkerung beträgt knapp unter 10 %, es handelt sich also um eine relativ häufige Erkrankung. Zu den Risikofaktoren zählen eine Hyperkalzurie, eine Hyperoxalurie, eine Hypozitrat­urie und ein niedriges Harnvolumen sowie eine positive Familienanamnese. Kalziumhältige Steine machen ca. 80 % aller Nierensteine aus. Patienten mit Nephrolithiasis haben ein höheres Risiko für eine chronische Nierenerkrankung sowie für kardiovaskuläre Erkrankungen. Die Therapie zur Rezidivprophylaxe beinhaltet ausreichend Flüssigkeitszufuhr, Diät (normaler Kalziumgehalt, Reduktion von tierischem Eiweiß und Salz) sowie Hydrochlorothiazid und Zitrat.